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Ausgabe 87-3/2001

DURCH WÃœSTE UND WILDNIS

W PUSTYNI I W PUSZCZY

Produktion: Waldemar Dziki Filmproduktion / Vision Filmproduktion, unter Beteiligung von Polsat; Polen 2001 – Regie: Gavin Hood – Buch: Gavin Hood, in Anlehnung an die Romanadaption von Robert Brutter und Maciej Dutkiewicz, nach dem gleichnamigen Roman von Henryk Sienkiewicz – Kamera: Jacek Januszyk – Schnitt: Milenia Fiedler – Musik: Krzesimir Debski – Darsteller: Adam Fidusiewicz (Stas Tarkowski), Karolina Sawka (Nel Rawlison), Mzwandile Ngubeni (Kali), Lungile Shongwe (Mea), Artur Zmijewski (Tarkowski), Andrzej Strzelecki (Rawlison), Krzysztof Kowalewski (Der Grieche) u. a. – Länge: 115 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Vision Film Distribution Company, Rydygiera 7, PL-01-793 Warschau, Tel. 0048-22-839 0753, Fax 0048-22-839 1367, e-mail: vision@vision.pl – Altersempfehlung: ab 8 J.

Mit einer solchen Story kann eigentlich gar nichts schief gehen: Pralle Exotik und wilde Tiere, Reisen und spannende Abenteuer zuhauf, ein Schuss Karl-May-Romantik gemixt mit einer kleinen Robinsonade und einem Hauch Jules Verne, dazu nationaler Befreiungskampf, gewürzt mit einer Spur pubertärer Liebe. Ein Märchen über Afrika!

Aufgeschrieben hat es vor fast neunzig Jahren der polnische Nationaldichter Henryk Sienkiewicz. Im letzten Jahr wurde es neu verfilmt und in diesem Jahr kam es in Polen in die Kinos: Man schreibt das Jahr 1885. In Ägypten regieren die Engländer, zwei europäische Ingenieure werkeln am Suezkanal. Deren Kinder, der vierzehnjährige Pole Stas Tarkowski und die mit ihm befreundete achtjährige Nel Rawlison, leben wie im Paradies. Doch im Süden brodelt es. Im Sudan herrschen die Mahdis, die gegen die Engländer aufbegehren. Der Mahdi-Herrscher beschließt, für seine von den Briten eingekerkerte Schwester die beiden Kinder zu entführen. Finstere Gesellen wetzen die Säbel, ab geht es nach Khartoum. Die kleinen Gefangenen geraten in die Hände von Sklavenhändlern, halten sich aber wacker und schließlich gelingt ihnen gemeinsam mit dem fast gleichaltrigen afrikanischen Sklavenpärchen Kali und Mea die Flucht. Nach anfänglichem Misstrauen und zögerndem Abtasten versteht man sich, freundet sich an. "Herrenmanieren" jedoch sind dem jungen Polen fremd, aber natürlich spricht man im Film fließend polnisch miteinander. Es beginnt eine abenteuerliche Odyssee, immer weiter und tiefer in den Süden Afrikas.

Tatsächlich weilte fast zur gleichen Zeit, genau 1891, Sienkiewicz selbst in jener Gegend, in die er seine vier Helden fliehen lässt. Damals wollte er einen Roman über den Sklavenhandel schreiben, der die Welt aufhorchen lassen sollte. Böse Zungen behaupteten allerdings, dass er einer unglücklichen Liebe wegen ins ferne Afrika aufbrach. Den beschwerlichen Weg, den die Kinder in seinem Roman mit Kamel, Elefant und zu Fuß zurücklegen, bereiste er allerdings bequemer: Mit dem Schiff von Suez zur Insel Sansibar und weiter zum Ort Bagamoyo an der Küste des damaligen "Deutsch-Ostafrika" (dem heutigen Tansania). Die Region des Kilimandscharo war sein nächstes Reiseziel, wo er jagen und das Land der Kannibalen kennen lernen wollte, die allerdings "keine Weißen essen", wie er in einem Brief vermerkte.

"Seine" Kinder indes, den strapaziösen und gefährlichen Ritt durch die Wüste überstanden, richten es sich im Busch ein, sie leben dort wie auf einer Insel. Sie ernähren sich von dem, was Natur ihnen bietet, trotzen den Gefahren des Dschungels. Als die kleine Nel, bereits vorher von Malaria-Anfällen geplagt, vom Fieber geschüttelt wird und selbst die Beschwörungsrituale von Kali und Mea nichts mehr ausrichten, gerät Stas in Panik. Er stürzt in den Dschungel und findet wie durch ein Wunder einen einsamen, todkranken Forschungsreisenden, der dem Jungen sein Chinin hinterlässt. Mit diesem Schweizer Geographen mag Sienkiewicz sich selbst gezeichnet haben, denn als er weiland seine Expedition unternahm, ereilte ihn am Fluss Kingani, wo er eigentlich nur Nilpferde bewundern wollte und wo jedoch, wie er später schrieb, "das Fieber um den Menschen kreist wie der Geier um die Leiche", selbst die todbringende Krankheit, die letztlich zum Abbruch der Reise führte.

Von der Malaria kräftig durchgeschüttelt – Sienkiewicz wusste also, wovon er schrieb! – gesundet die kleine Britin schließlich und die Filmhelden denken wieder ans Weiterkommen. Als ein Elefant zwischen den Felsen gefangen ist, fühlt sich der technische Genius des Ingenieurssohnes herausgefordert. Mittels Schießpulver bastelt Stas eine kleine Sprengladung und kann so das mächtige Tier befreien. Zum Verfuttern zu schade, wird die Kreatur zum freundlich schnaubenden Packesel und trägt die Kinder meilenweit durchs unwirtliche Land. Unterdessen suchen die Väter nach ihren Sprösslingen. Hoffnung verbleibt kaum, Spuren sind rar und das Wasser wird knapp. Dennoch gibt keiner auf. Und das ist gut so! Denn obgleich für die Kinder noch manche Abenteuer zu bestehen und hinterhältige Schurken zu besiegen sind, winkt am Ende das glitzernde Gestade des Indischen Ozeans, im Rücken die glücklichen Väter.

Der weiße Südafrikaner Gavin Hood hat diese unglaubliche Geschichte in seinem Heimatland und in Tunesien mit einem enormen Aufwand und selbstverständlicher Referenz an das amerikanische Erfolgskino sowie mit ausschließlich polnischen Mitteln in Höhe von etwa 4,5 Mio. Dollar inszeniert. Dabei war der Erfolg bei solch einem Buch schon vorprogrammiert. Als Sienkiewicz sein Werk vorlegte – geschrieben übrigens erst zwanzig Jahre nach dessen Afrika-Aufenthalt in der Schweiz – erlebte es einen nahezu unglaublichen Anklang bei den jungen Lesern. Zunächst als Fortsetzungsroman gedruckt, bedrängten sie den Schriftsteller mit Beschwerdebriefen, weil sie den Fortgang nicht abwarten konnten. Vom Buch selbst wurde in wenigen Tagen bereits die erste Ausgabe von 5000 Exemplaren verkauft, insgesamt hat es in Polen wohl mehr als 35 Auflagen erlebt. Obgleich in über 20 Sprachen übersetzt, wurde es in Deutschland kaum bekannt. Lediglich in der Bundesrepublik erschienen zwei, drei Ausgaben, die DDR verlegte es überhaupt nicht.

Im Jahre 1973 erschien diese afrikanische Reise in Polen zum ersten Mal auf der Leinwand, nach über dreijähriger Drehzeit in Ägypten, im Sudan und in Bulgarien. Die Drei-Stunden-Verfilmung von Wladyslaw Slesicki galt mit über 17 Mio. Zuschauern als der bis dato größte Kinoerfolg in der polnischen Filmgeschichte überhaupt. Zwei Jahre später konnten auch die Kinder im Osten Deutschlands den abenteuerlichen Weg von Stas und Nel bestaunen, in einer zweiteiligen Kinofassung unter dem Titel "Durch Wüste und Dschungel". Im Westen lief der Film mit der gleichen Titelübertragung wie auch das Buch – "Durch Wüste und Wildnis" – lediglich im Fernsehen.

Es scheint, dass mit dem Remake die Erfolgsgeschichte nicht abreißt. Jedoch sah es bei den Dreharbeiten zeitweise gar nicht gut aus. Ursprünglich sollte sich nämlich der Pole Maciej Dutkiewicz in den Regiestuhl setzen. Doch der wurde plötzlich krank und musste in Johannesburg ins Hospital. Um die Produktion nicht zu gefährden, sprang kurzfristig Nachwuchs-Regietalent Hood ein. Wegen des Timings hatte er wohl nur einen Tag Zeit, das Buch zu lesen: "Es ist eine große Geschichte mit einer außergewöhnlichen Kraft", gestand er gegenüber der Presse ein und "Ich fühlte sofort eine Beziehung zu diesen Roman".

Möglicherweise hat Hood, der dann auch am Drehbuch mitarbeitete, dem Film noch einen anderen, zusätzlichen Schwung verliehen als ursprünglich beabsichtigt. Mit bis auf den Punkt getriebener Spannung, mit exakt gesetzter Sentimentalität und opulenter Bildhaftigkeit hat er dieses glücklich endende Drama wohl weit über das getrieben, was allein schon durch die Originalität der Schauplätze und die Massenszenen gesichert gewesen wäre. Und ganz bestimmt hat er die Reaktionen der jungen Zuschauer einkalkuliert, ihren Nerv zu treffen gesucht und ihre Erwartungen bedient, die sie in eine solche Geschichte setzten. Überdies folgte Gavin Hood, in seinem Land lange Jahre mit dem Problem der Apartheid konfrontiert, einem Credo, das er in einem Interview folgendermaßen formulierte: "Im Film wollten wir zeigen, dass ein Mensch immer etwas vom anderen lernen kann. (...) Mir geht es überhaupt nicht um eine politische Richtung. Man muss anerkennen, dass es mit dem Leben gute und schlechte Seiten in jeder Kultur gibt, aber nicht einseitig behaupten, dass eine besser sei als die andere."

Wenn der Film in den ersten zwei Monaten seit dem Start in Polen fast 2 Mio. Besucher anzog – ein wenig relativiert natürlich durch die Tatsache, dass Sienkiewizc zum Schulstoff gehört –, dann mag dies neben der nie versiegenden Sehnsucht der jungen Zuschauer nach Ferne und Abenteuer auch der einprägsamen Musik von Erfolgskomponist Krzesimir Debski zu verdanken sein. Sie stellt eine gelungene Verknüpfung europäischer Schlagertraditionen mit folkloristischen Elementen der Schauplätze dar, ein furioses Feuerwerk musikalischer Einfälle unter Einbeziehung eines afrikanischen Chores, stellenweise spielerisch-verträumt und romantisch-verklärend, den kitschigen Ohrwurm nicht verbergend, immer aber durchsetzt mit magischer Exotik.

Das afrikanische "Reisefieber" in Polen geht weiter. Neben dem unvermeidlichen Merchandising, neuen Buchausgaben und Internet-Spielereien nutzte die polnische Ausgabe von "Cinema" im April diesen Jahres den überragenden Starterfolg des Filmes zur Herausgabe eines Specials "Kino auf Reisen", in dem selbstverständlich auch der Afrika-Film mit einer Menge Hintergrundinformationen begleitet wurde. Und vielleicht spiegelt sich im Film auch eine andere Botschaft für die heutigen Polen wider: Man muss durchhalten, auch wenn's schlecht kommt, selbst in schlimmsten Situationen zeigt sich immer ein Ausweg.

Volker Petzold

 

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