Produktion: Studio Ghibli / Tokuma Shoten Co.; Japan 2001 – Regie und Buch: Hayao Miyazaki – Animationsleitung: Masashi Ando, Kitaro Kosaka, Megumi Kagawa – Leitung Digitale Animation: Mitsunori Kataama – Schnitt: Takeshi Seyama – Musik: Joe Hisaishi -Länge: 125 Min. – Farbe – FSK: o. A. – Verleih: Constantin – Altersempfehlung: ab 12 J.
Preise ohne Ende hagelte es für dieses phantasievolle Anime aus dem fernen Japan, dessen Schöpfer Hayao Miyazaki gerne mit Walt Disney verglichen wird. "Chihiros Reise ins Zauberland" gewann unter anderem nicht nur den Goldenen Bären der Berlinale 2002, was für eine Zeichentrickproduktion fast schon als sensationell zu bezeichnen ist, er erhielt auch am 23. März 2003 den Oscar für den besten Animationsfilm und verwies damit Mitkonkurrenten wie den Fox-Überflieger "Ice Age" oder Disneys "Lilo & Stitch" auf die Plätze. Künstlerisch gibt es an dem farbenprächtigen, ideenreichen und tricktechnisch bestechenden Werk nichts auszusetzen, die Geschichte indes kommt doch ein wenig hanebüchen daher, zumindest aus europäischer Sicht betrachtet.
Das Ganze beginnt mit einer – noch nachvollziehbaren – Rahmenhandlung, in der die kleine Chihiro mit ihren Eltern im Auto auf dem Weg von Tokio in einen Vorort, in den sie umziehen werden, unterwegs ist. Auf dieser Fahrt gelangen sie an einen geheimnisvollen Tunnel, den sie durchschreiten und der die drei zu einem gigantischen, aber menschenleeren Vergnügungspark führt. Dort stürzen sich die Eltern sogleich auf ein reichhaltiges Büffet mit kulinarischen Köstlichkeiten und werden prompt in Schweine verwandelt. Chihiro, nun allein auf sich gestellt, irrt zunächst hilflos umher und trifft in der Folge auf den freundlichen Jungen Haku, der manchmal ein Drache, in Wirklichkeit aber ein Fluss ist, die mächtige Hexe Yubaba, die ein Badehaus für Götter betreibt und sich von Riesenbaby Boh schikanieren lässt, und das mysteriöse Ohngesicht (Kaonashi), das ohne Vorwarnung alles verschlingt, was sich ihm in den Weg stellt. Dazu gesellen sich noch diverse Geister wie der abscheulich stinkende Flussgott, die putzige Armee aus kleinen Rußkügelchen namens Susuwatari sowie Yubabas Haustier, der Yu-Vogel, dessen Gesicht dem seiner Herrin gleicht. Zwischendurch gibt es auch ein wenig Handlung. Denn natürlich versucht Chihiro immer wieder, den Zauber, mit dem ihre Eltern belegt wurden, rückgängig zu machen, was ihr letztlich auch gelingen wird.
Es versteht sich von selbst, dass Regisseur Miyazaki in seiner befremdlich wirkenden Variante von "Alice im Wunderland" unzählige japanische Mythen und Märchen verarbeitet hat. Dadurch lässt sich auch erklären, warum "Chihiros Reise ins Zauberland" in seinem Entstehungsland über 21 Millionen Menschen vor die Leinwand locken konnte und damit sogar erfolgreicher war als "Titanic". Ein Ergebnis, das hierzulande unerreichbar bleiben wird, und dennoch kann man sich den faszinierenden Bildern, Metaphern und Allegorien kaum entziehen, bieten sie doch eine Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten. So kann man in dem Werk Coming-of-Age-Elemente und diverse ökologische Botschaften ebenso entdecken wie Reflexionen über Selbstfindungssuche, gesellschaftskritische Anmerkungen, philosophisch angehauchte Sinnsprüche oder andere den Horizont erweiternde Weisheiten.
Daraus lässt sich aber auch schon ableiten, dass es sich hierbei um keinen Kinderfilm im klassischen Sinne handelt. Zum einen eben wegen der komplexen, verstörenden Thematik, zum anderen, weil der Spannungsbogen bis zur Auflösung am Ende, wenn die drei den Vergnügungspark wieder verlassen, oben gehalten wird und es somit fast hundert Minuten lang (der Film selbst dauert über zwei Stunden) keine Erholungsphasen zwischen den teils blutigen, teils tödlichen Attacken der hässlichen, monsterartigen Götter und Geister gibt.
Was nicht weiter verwundert, schließlich zeichnet Miyazaki auch für das extrem gewalttätige, mit einer Zwölfer-FSK versehene Anime "Prinzessin Mononoke" verantwortlich; der Film lief 2001 erfolglos in den deutschen Kinos. Die synchronisierte Fassung von "Chihiros Reise ins Zauberland", die mit Sidonie von Krosigk ("Bibi Blocksberg") in der Titelrolle und Nina Hagen als Yubaba zwar prominent, aber nicht unbedingt adäquat besetzt wurde, wird nun mit einer FSK ohne Altersbeschränkung auf die Leinwand gebracht. Nicht ganz nachvollziehbar, aber das ist ja wahrlich nicht der erste fragwürdige Beschluss der altehrwürdigen Wiesbadener Behörde.
Thomas Lassonczyk
CHIHIROS REISE INS ZAUBERLAND im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.
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