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Ausgabe 94-2/2003

LOST HEAVEN

THE DANGEROUS LIVES OF ALTAR BOYS

LOST HEAVEN

Produktion: Egg Pictures; USA 2001 – Regie: Peter Care – Drehbuch: Jeff Stockwell und Michael Petroni, nach dem Roman von Chris Fuhrman – Kamera: Lance Acord – Animation: Todd McFarlane – Schnitt: Chris Peppe – Musik: Marco Beltrami – Darsteller: Jodie Foster (Schwester Assumpta), Vincent D'Onofrio (Pater Casey), Emile Hirsch (Francis), Kieran Culkin (Tim), Jena Malone (Margie) u. a. – Länge: 104 Min. – Farbe – Vertrieb: Warner Vision, KFW (DVD) – Altersempfehlung: ab 14 J.

Beten, arbeiten, gehorsam sein – unter diesen Prämissen fuhren Schwester Assumpta und Pater Casey in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts eine katholische Schule irgendwo im Süden der USA. Für Francis, Tim und deren Freunde sind die Prinzipien der Lehrer eine einzige Provokation. Sie fühlen sich hinsichtlich ihrer eigentlichen Probleme missverstanden und provozieren die Träger des autoritären Schulregimes mit allen Mitteln. Als Motto dienen ihnen die revolutionär emphatischen Verse des Frühromantikers William Blake. Ihren unterdrückten Gefühlen versuchen die Jungen in eigenen expressiven Comics Ausdruck zu verleihen. Erst als die Spirale der verbissenen Auseinandersetzungen zu einem tödlichen Unfall führt, beginnen beide Seiten an der jeweils verhärteten Position zu zweifeln.

"Ich möchte, dass die Menschen Dinge hören und sehen, die ich höre und sehe. Und ich möchte, dass sie sich daran erinnern, wie es war, Kind zu sein. Ich möchte nicht, dass sie vollständig herauswachsen. Jeder Erwachsene ist aus einem Kind hervorgegangen." So Chris Fuhrman im Zusammenhang mit seinem Roman "The Dangerous Lives of Altar Boys", auf dem der vorliegende Jugendfilm beruht. Den jungen Leuten billigt Fuhrman bei der Suche nach einem selbst bestimmten Weg extreme Denkmodelle zu, ohne dass diese schließlich einseitig als allein gültige Alternative verabsolutiert werden. Das Rebellieren wird als zwar schmerzlicher, aber notwendiger Prozess begriffen. Letztendlich, so die Botschaft, ist dies ein wesentlicher Weg, um die Gesellschaft lebendig zu halten. Erst über die Auseinandersetzung erwächst auch die Möglichkeit zu einem toleranten Miteinander der Generationen.

Dieser Ansatzpunkt war auch für Regisseur Peter Care und Mitproduzentin und Hauptdarstellerin Jodie Foster ausschlaggebend bei ihrem Engagement für die filmische Adaption des Stoffes. Jodie Foster betont ausdrücklich, dass sie in der Geschichte viele Elemente ihrer eigenen Kindheit wiederfand. Die Familienstrukturen etwa, aus denen die Protagonisten des Films kommen, erinnern an die Verhältnisse, in denen die 1962 geborene Foster aufgewachsen ist.

Ob Familien formal vorhanden sind oder nicht, die Heranwachsenden müssen ihren Weg weitestgehend allein gehen. Die Lehrerin Schwester Assumpta betrachtet es als ihre Mission, hier einen Ausgleich zu schaffen. Doch weil sie das mit übertriebenem Eifer und intoleranter Besessenheit tut, gerät sie in das Zentrum eines tragischen Konflikts mit jenen, für die sie sich eigentlich aufopfert. Als katholische Schwester scheint ihr oberflächlich betrachtet ein solches Rollenbild wie auf den Leib geschneidert. Es wäre aber zu eng gesehen, die Konflikte nur aus solcher äußerlichen Konstellation abzuleiten. Die Schule "Zur Heiligen Agatha" mit den in ihr handelnden Personen ist eher als Modell für größere Strukturen zu sehen. Peter Care bestätigt diesen Gedanken. Er hat es vermieden, den Handlungsort aus der Literaturvorlage, Savannah/Georgia, durch Bilder zu konkretisieren. Für ihn spielt die Geschichte irgendwo und auch irgendwann. Das Thema des Films bekommt dadurch einen weitestgehend allgemeinen Charakter.

Die zentrale Figur der Geschichte ist Francis. Das wird nicht immer sofort deutlich, weil sein Freund Tim dynamischer erscheint und eher im Vordergrund agiert. Doch Francis ist die Figur, die vor den schwierigeren Konflikten steht und die letztendlich eine wesentliche Entwicklung durchläuft.

Zunächst ist für Francis Tim der einzige Partner. Beide durchleben Höhen und Tiefen einer intensiven Jungenfreundschaft. Doch dann taucht Margie auf. Es entwickelt sich eine fast idyllische erste Liebe. Die erfährt aber bald eine kaum zu übertreffende Erschütterung. Das Mädchen gesteht dem Freund ihre vorausgegangene Inzestbeziehung mit ihrem Bruder. Hier kann nicht einmal Mitleid etwas mildern, weil Margie dabei auch noch ihren aktiven Part zugibt und sich nicht etwa hinter irgendwelchen gewaltsamen Zudringlichkeiten versteckt. Mit einer solchen Konstellation geht der Film ein großes Risiko ein. Doch es ist nicht zuletzt den jungen Schauspielern zu danken, dass sich die ungeheuerliche Begebenheit nicht verselbstständigt, sondern als extremer Ausdruck der seelischen Not der jungen Leute wahrgenommen wird. Die problematische Beziehung wird aus einem sozialen Umfeld heraus erklärt, das alle offenen Gefühlsansprüche unterdrückt. Hinter Wänden einer bigotten Moral wird Lust und Freude in die Zufälligkeiten der Illegalität gedrängt. Francis sucht in seiner seelischen Not Hilfe. Aber er findet niemanden, dem er sich anvertrauen kann.

Für die Kennzeichnung der inneren Konflikte der Helden wurde eine, gerade für einen Jugendfilm höchst interessante cineastische Darstellungsform gefunden. Gefühle und Gedanken versuchen die Jungen in einem selbst gemalten Comic auszudrücken. Expressive Zeichenfiguren symbolisieren Freude und Trauer, Liebe und Enttäuschung, Freiheitssehnsucht und Unterdrückungsempfindungen und vor allem den Hass auf die scheinbar alle Übel symbolisierende Lehrerin. Diese Figuren werden zu einer eigenständig wirkenden Geschichte animiert, die Momente griechischer Heldenmythologie mit Zitaten moderner Actiongeschichten kombiniert. Jeweils durch harte Schnitte in die Realhandlung eingefügt, bildet dieser selbstständig wirkende Comicfilm einen durchgehenden Kommentar zur eigentlichen Geschichte.

Letztere findet durch den Tod von Tim ein tragisches Ende. Kurz vor seinem Unfall hatte der Junge noch einen angefahrenen Hund auf der Straße gefunden. Angesichts des sterbenden Tieres spricht Tim hier quasi den Nachruf auf den bald folgenden eigenen Tod. Ihm habe keiner geholfen. Die Welt sei brutal und beschissen. Im Finale des Films wird dieses trostlose Fazit in positivem Sinne aufgefangen. Mit ausdrücklicher Billigung durch Assumpta liest Francis beim Gedenkgottesdienst Verse aus William Blakes "The Marriage of Heaven and Hell". Unter Verwendung tiefer religiöser Symbolik preist der Dichter mit außerordentlicher Bildkraft u. a. den Triumph der Freiheit über Tyrannei. Dieser Moment in der Kirche steht als Bild der Toleranz und dies wird zu einem Bild der Liebe weitergeführt, als Francis und Margie zum Abschluss Blakes Buch zum Gedenken an Tim am einstigen geheimen Treff der Jugendfreunde niederlegen.

Der interessante Jugendfilm, den man durchaus in der Tradition von Peter Weirs Klassiker "Der Club der toten Dichter" sehen kann, wurde in Deutschland leider nur durch Warner bzw. das Katholische Filmwerk im DVD-Format herausgebracht. Er hätte eine Chance auf der großen Leinwand durchaus verdient.

Klaus-Dieter Felsmann

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.LOST HEAVEN im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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