(Interview zum Film DER ZEHNTE SOMMER)
KJK: Nach den erfolgreichen Kästner-Remakes "Pünktchen und Anton", "Emil und die Detektive", "Das fliegende Klassenzimmer", nach "Bibi Blocksberg" und "Der kleine Eisbär" kommt nun ein neuer deutscher Kinderfilm ins Kino, die es wahrscheinlich schwerer haben wird als die verfilmten Bestseller. Wie bekannt ist eigentlich das Buch "Der zehnte Sommer des Kalli Spielplatz" von Dieter Bongartz?
Jörg Grünler: "Das Buch erschien 1998, hatte wunderbare Kritiken, aber es war kein Bestseller. Der Autor hat Teile seiner Jugend in Dülken beschrieben, es ist authentisch."
Es wurde auch in Dülken gedreht. Wie war das?
"Es war schon ein Wagnis, dorthin zu gehen. Die Leute waren misstrauisch, als wir kamen. Dachten, als wir die Straßen inspizierten, wir seien Immobilienmakler oder Einbrecher. Die Gardinen bewegten sich und die Handys liefen heiß. Die Straße im Film existiert tatsächlich. Wir haben nur ein paar Fassaden abgedeckt und die Satellitenschüsseln abgebaut. Die Dülker haben mitgespielt. Aber es war schon anstrengend für die Leute, zehn Drehtage in der Straße, nachts mit Scheinwerfern. Vom Wetter her konnten wir nicht so drehen wie wir wollten, überall war es schön, nur dort war es immer bewölkt."
Der Film spielt in den 50er-Jahren, ist Ihnen diese Zeit noch vertraut?
"Ich habe das selbst erlebt als Jugendlicher, deshalb war mir nichts fremd. Meine Mutter war auch eine richtige kleinbürgerliche Hausfrau. Man ging nicht aus, war neidisch auf Frauen, die etwas lebenslustiger waren, erst recht, wenn sie aus dem Ausland kamen. In den 50er-Jahren waren die Kinder mehr sich selbst überlassen. Ich erinnere mich gut daran – nach den Schularbeiten sind wir raus zum Spielen, den ganzen Tag waren wir auf der Straße, ohne Aufsicht."
Was uns irritiert hat: Der Film spielt 1960, ist da eine Kriegsverletzung des Mannes für die Ehefrau noch so ein zentrales Thema?
"Viele kamen ja erst in den 50er-Jahren aus der Kriegsgefangenschaft. Natürlich, das war nicht mehr unmittelbares Thema, aber bei Kallis Vater im Film schon."
Wie alt ist der Vater im Film?
"Das Alter wird nicht genannt, aber er ist um die vierzig. Mit neunzehn zog er in den Krieg, mit zwanzig, einundzwanzig wurde er angeschossen, die Tochter ist siebzehn, Kalli neun. Im Unterschied zum Roman, wo der Vater ein Prolo, ein Loser ist, haben wir ihn im Film mehr zum Charmeur gemacht."
Sie haben den Charakter des Vaters verändert, wie sieht's mit Frau Hilfers und ihren Töchtern aus?
"Im Roman ist die Frau Hilfers irgendwie nuttig, das wäre ein Schuss nach hinten gewesen. Die Szene, in der Kalli seinen Vater und Frau Hilfers im Treppenhaus beobachtet, ist sehr wichtig für mich. Dass nämlich er sie küsst und nicht sie ihn, dass die Sehnsucht mehr bei ihm liegt. Wir hatten uns eine Biografie der Frau Hilfers gemacht: Sie hat eine deutsche Mutter, einen ungarischen Vater, ging dann aus Budapest weg nach Paris und landete nach dem Krieg als Flüchtling in Dülken. Ich habe sie über dem Boden inszeniert, fast märchenhaft, sonst wäre es ein Sozialdrama geworden."
Die Wohnung der Frau Hilfers erscheint im Film als eine sündige, schwüle Inszenierung ...
"Aber nur aus der Sicht des Jungen. Es ist einfach das, was er nicht kennt und was ihn fasziniert."
Haben Sie am Drehbuch mitgearbeitet?
"Ja. Das erste Drehbuch von Dieter Bongartz, dem Autor des Romans, lag vor. Dann setzten wir uns zusammen mit der Produzentin Elke Ried und arbeiteten an einer zweiten Fassung. Dabei entstand auch der Erzähler. Ich mag Filme mit Erzähler, mag die literarische Ebene, zum Beispiel 'Welcome Vienna' von Axel Corti. 'Mit Lügen soll man nicht geizen' – ein schöner Satz im Buch, den man nicht inszenieren kann. Also haben wir Kalli als Erzähler eingeführt, am Anfang mit märchenhafter Ironie, dann sehr dramatisch und schließlich sehr ernst. Kalli macht ja auch eine Entwicklung in diesem zehnten Sommer durch."
Veränderte sich das Drehbuch während der Dreharbeiten?
"Man hat ein Gespür während des Drehens. Es gab Gespräche mit dem Autor. Mit seinem Einverständnis wurden die Rollen hochgehoben. Bongartz war beim Drehen nicht dabei, aber er sah die Muster und war einverstanden. Ich schreibe selber viel, da ist auch ein Vertrauen. Bei 'Krücke' nach einer Buchvorlage von Peter Härtung war das ähnlich. Der Autor hat meinen Text voll akzeptiert."
Wie kam es überhaupt zu dieser Regie?
"Die Herstellungsleiterin bei Zieglerfilm war einst Assistentin bei meinem Film 'Krücke'. 'Der zehnte Sommer' lag als Projekt vor. Sie wollten ganz bewusst einen Familienfilm drehen – es ist ein Film für Kinder und Erwachsene. Zum Beispiel die Gespräche zwischen Kallis Mutter und Frau Hilfers – wir haben uns gefragt, lassen wir das drin oder nicht. Kinder können bei so etwas ja schnell aussteigen. Ich fragte Kinder und sie haben es nicht als blöd empfunden, sind nicht ausgestiegen. Wenn ich heute noch einmal drehen würde, würde ich Kalli bei diesem Gespräch zuhören lassen. Der ganze Film nur aus der Sicht von Kalli – das wäre sehr konsequent gewesen."
War das Budget von 2,7 Millionen Euro ausreichend für den Film?
"Es war schon sehr knapp, auch die Drehtage, ich hätte gern fünf oder sieben mehr gehabt. Wir hatten nur 35 Drehtage mit den Kindern und einem Affen – das heißt eigentlich zwei Meerkatzen, eine fürs Klettern, eine fürs Schmusen – das war schon ziemlich schwierig. Wir wollten zum Beispiel eine Szene haben, wo die Kinder im Kino sitzen und sich einen richtigen Märchenfilm ansehen, also nicht nur mit Überblendungen arbeiten. Aber das war wie manches andere finanziell einfach nicht drin. Es gab ein paar Sitzungen, wo man richtig kämpfen musste. Will man fürs Kino Originalmusik, zum Beispiel die Schlager von Conny und Peter aus jener Zeit, so kostet allein das zigtausend Euro. Und ein Originalplakat im Aushang des Lichtspielhauses Dülken hätte allein zweitausend Euro gekostet, das nur als Beispiel. Wir bekamen von einem Dortmunder Theater, das eine 50er-Jahre-Show gemacht hatte, die entsprechende Musik. Und wir hatten das Glück, dass uns die Autos aus den 50er-Jahren von den Besitzern aus der Umgebung fast kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Die Antiquitäten holten wir uns aus Belgien und den Niederlanden, die sind fundusmäßig gut bestückt."
Wurde viel digital nachbereitet?
"Der Himmel, die Wolken, das Gewitter und Kallis Traum von seiner Vorstellung mit dem Äffchen."
War die Kindersuche langwierig?
"Eine Woche vor Drehbeginn hatten wir noch kein Mädchen für die Rolle der Franzi und Michelle Barthel, die wir ausgesucht hatten, wäre beinahe nicht gekommen, weil sie vorher von einer anderen Produktion eine Absage erhalten hatte und nicht mehr daran glaubte."
Haben Kalli und Franzi gut zusammengepasst?
"Ja, die haben sich gleich gemocht. Im Film geht es ja auch um die erste Liebe zwischen Franzi und Kalli. Michelle stand zum ersten Mal vor der Kamera, im Gegensatz zu Martin Stührk als Kalli. Er hat Kameraerfahrung – und Charme, ist auch im sonstigen Leben nicht so 'verdorben', spielt Fußball, ist der Kleinste in der Klasse. Er ist ja schon zwölf und sieht aus wie zehn, das war gut für die Rolle. Er versteht die Ironismen, man glaubt ihm das. Er ist auf eine ganz liebenswerte Art merkwürdig."
Wurden viele Jungen für diese Rolle gesichtet?
"Naja, hundert oder zweihundert, aber alles Kinder, bei denen es über ein gutes Aufsagen nicht hinausging. Mein Kameramann hatte zuvor mit Martin Stührk gedreht, er kannte ihn gut, wir luden ihn ein nach Köln und nahmen ihn sofort."
Wie fanden sich die Kinder in der Zeit zurecht, in der "Der zehnte Sommer" spielt?
"Am Anfang waren die Jungen irritiert über die Sachen, die sie anziehen mussten, kurze Lederhosen und Sandalen. Franzi hingegen hat ihre Kleider genossen. Wir versuchten, während der Dreharbeiten eine entsprechende Atmosphäre herzustellen. So hat beispielsweise die Kinderbetreuerin auch in diese Richtung gearbeitet, hat mit den Kindern gebastelt, ist mit ihnen hinausgegangen zum Spielen."
Gab es die Ãœberlegung, die Geschichte in die heutige Zeit zu verlegen, zu modernisieren?
"Wir haben sie bewusst in den 50er-Jahren belassen. Es ist eine kleine Zeitreise für die Kinder und auch für die Erwachsenen – ohne Wertung."
Die Mutter von Franzi kommt ja sehr streng und oberzickig daher ...
"Ja, aber Franzi setzt sich darüber hinweg, emanzipiert sich."
Ohne krass bestraft zu werden, immerhin bei dieser Mutter dann doch erstaunlich.
"Da gibt es einen schönen Satz, eine alte dramaturgische Weisheit: Hauptrollen darf man nicht überziehen, aber Nebenrollen, da darf man in Richtung Karikatur gehen."
Wie gefiel den mitspielenden Kindern der fertige Film?
"Sie haben ihn zum ersten Mal im Berliner Zoo-Palast bei der Welturaufführung im Rahmen der Berlinale gesehen. Für alle ein großes Erlebnis. Überhaupt Kino – es ist doch gut, wenn Kinder ins Kino gehen. Beim Kinderfilmfest Berlin gab es auch den Appell von Thomas Krüger, dem Vorsitzenden des Kinderhilfswerkes an die Filmemacher: Macht mehr Kinofilme für Kinder und Eltern!"
Welche Erfahrungen machten Sie mit Kinderfilmen?
"In Deutschland ist Kinderfilm noch immer zweite Klasse. Ich denke, man muss wirklich an die Schulen gehen. Film sollte Bestandteil des Unterrichts werden. Die Verleihe müssten bewusst Schulen ansprechen, damit die Lehrer regelmäßig mit ihren Kindern ins Kino gehen. Film ist als Kunstgenre in Deutschland noch immer nicht anerkannt und die Lehrer sind dahingehend nicht geschult. Es ist auch noch so, dass Theaterregisseure auf Filmregisseure herabblicken und in der Kunst hat die Fotografie früher Fuß gefasst als der Film. Ganz anders in Frankreich, da enthält jede Nachrichtensendung selbstverständlich auch Berichte aus der Kultur."
Mit Jörg Grünler sprachen Gudrun Lukasz-Aden und Christel Strobel
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Bio-Filmografie
Jörg Grünler wurde 1945 in Apolda/Thüringen geboren. Nach der Tätigkeit als Kulturredakteur studierte er von 1970 bis 1973 an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Seit 1974 arbeitet er als freier Autor und Regisseur, bis 1991 nur fürs Fernsehen, u. a. "Das feuerrote Spielmobil", "Anderland" und weitere Kindersendungen für das ZDF, später eine Vielzahl von Fernsehreihen und Serien wie z. B. "Münchner Freiheit – Pennergeschichten", "Ein Fall für zwei", "Eurocops", "Die Komissarin", "Zwei Männer", "Von der Rolle". 1992 legte Jörg Grünler mit "Krücke" (Regie und Drehbuch) sein Spielfilmdebüt vor, das mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde. 1994 folgte "Lemgo"; "Der zehnte Sommer" ist sein dritter Kinospielfilm.
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