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Ausgabe 95-3/2003

CITY OF GOD

CIDADE DE DEUS

Produktion: 02 Filmes / VideoFilmes / Globo / Lumiere / Miramax / Studio Canals / Wild Bunch; Brasilien / USA / Frankreich 2002 – Regie: Fernando Meirelles, Kátia Lund – Buch: Bráulio Mantovani, nach dem gleichnamigen Roman von Paulo Lins – Kamera: César Charlone – Schnitt: Daniel Rezende – Musik: Antonio Pinto, Ed Cortes – Darsteller: Alexandre Rodrigues (Buscapé), Douglas Silva (Dadinho), Leandro Firmino da Haro (Zé Pequeno), Philippe Haagensen (Benny), Alice Braga (Angélica) u. a. – Länge: 128 Min. – Farbe – FSK: ab 16 – Verleih: Constantin (35mm) – Altersempfehlung: ab 16 J.

In der Barackensiedlung mit dem euphemistischen Namen 'Cidade de Deus' (Stadt Gottes) wachsen in den 60er-Jahren der schüchterne Buscapé und der rücksichtslose Dadinho auf. Während Dadinho auf Kokainhandel und Raubüberfälle setzt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, träumt Buscapé davon, Fotograf zu werden. In den 70er-Jahren steigen der machtgierige Dadinho, der sich jetzt Zé Pequeno nennt, und sein besonnener Kumpel Benny zu gefürchteten Anführern der größten Drogenhändlerbande in der Favela auf. In den 80er-Jahren kontrolliert der hässliche Zé das Viertel quasi als Alleinherrscher, bis er die Freundin des attraktiven Straßenbahnschaffners Mane vergewaltigt und ihn zum Zusehen zwingt. Manes Rachefeldzug löst einen blutigen Bandenkrieg aus, dessen Exzesse Buscapé fotografiert. Mit den Fotos schafft er als einziger den Sprung in eine bürgerliche Existenz.

Wichtige internationale Preise für Filme wie "Central Station", "Amores Perros", "Der Sohn der Braut" und "Die Versuchung des Padre Amaro" zeigen, dass sich im lateinamerikanischen Kino wieder etwas rührt. Stärkster Beweis dafür ist die packende brasilianische Slum-Chronik "City of God" von Fernando Meirelles, der mit überbordender Erzähllust den gnadenlosen Überlebenskampf von Jugendbanden in einer der Favelas von Rio de Janeiro schildert. Brasilien reichte den 2,6 Millionen Euro teuren Film für das Oscar-Rennen um den besten nicht-englischsprachigen Film ein.

Vorbilder für das schonungslose filmische Bandenporträt des brasilianischen Regisseurs Meirelles und seiner Co-Regisseurin Kátia Lund gibt es viele. Auch wenn Meisterwerke wie Scorseses "Good Fellas" und "Gangs of New York", Tarantinos "Pulp Fiction", Hills "Butch Cassidy and Sundance Kid" und "Matrix" der Wachowski-Brüder die Ästhetik von "City of God" beeinflusst haben, so finden Meirelles/Lund doch in frappierend souveräner Manier einen eigenständigen Erzählton, der von einer hitzigen Musik gestärkt wird.

Wichtigste Stilmittel sind die quicklebendige Kameraführung – César Charlone wechselt zwischen Reißschwenks, Handkamera und überraschenden Beschleunigungen – und die ruppige Montage, die abrupte Schnittfolgen und Jump Cuts ebenso gekonnt beherrscht wie Rückblenden über Jahrzehnte hinweg. Dazu kommen stilsicher eingesetzte Erzählbremsen, die der Off-Erzähler Buscapé nutzt, um die Vorgeschichte wichtiger Figuren einzubringen. Dass die Milieuzeichnung sehr authentisch wirkt, ist nicht verwunderlich: Meirelles hat über acht Wochen an Originalschauplätzen gedreht und dabei in erster Linie junge Laien eingesetzt. Mit ihnen hat er sechs Monate geprobt, allerdings ohne Drehbuch, wobei die Nachwuchsdarsteller die Dialoge im Wesentlichen selbst kreiert haben.

Aus europäischer Perspektive ist die Darbietung einer schier endlosen Kette von Gewalttaten von und an Kindern nur schwer zu ertragen. Doch man muss diese sinnlose Brutalität im Kontext einer extremen Armut sehen, die sich ihre eigenen Regeln schafft. Die Gewaltexzesse sind zudem nie Selbstzweck, sondern manifestieren strukturelle Missstände, die eine derart extreme Ghettoisierung erst ermöglichen und dann verstetigen.

Wenn ein Drehbuchautor den Erzählstoff eines 700 Seiten-Romans auf einen 130-Minuten-Film wie "City of God" komprimiert, kommen schon mal ein Handlungsmotiv oder eine viel versprechende Figur abhanden. Und bei Dutzenden von Figuren geht im Film manchmal der Überblick über deren Beziehungen verloren. Auch der Kontrast zwischen dem Hoffnungsträger Buscapé und den verlorenen Jung-Gangster-Seelen hätte weniger schematisch gestaltet werden können. Doch das sind nur marginale Einwände gegen ein furios inszeniertes Sozialdrama, das in der scharfsinnigen Analyse der Mechanismen der organisierten Kriminalität und der Behördenkorruption wenig Anlass zur Hoffnung gibt.

Reinhard Kleber

 

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