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Ausgabe 96-4/2003

"Wir alle haben Erfahrungen mit Einsamkeit, Angst, Trauer und Sehnsucht nach Liebe und Freundschaft"

Gespräch mit Henrik Ruben Genz, Regisseur des dänischen Spielfilms "Hodder der Nachtschwärmer"

(Interview zum Film HODDER RETTET DIE WELT / HODDER DER NACHTSCHWÄRMER)

KJK: Für Ihren Kurzfilm "Bror, min Bror" ("Teis & Nico") haben Sie 1999 den Gläsernen Bären der Berlinale bekommen. Hat es Sie, nachdem Sie Dokumentarfilme und eine Fernseh-Serie gemacht haben, wieder zum Kinderfilm gezogen?
Henrik Ruben Genz: "Nein. Obwohl die Situation in Dänemark ungleich besser ist als in anderen Ländern, haben Kinderfilme auch bei uns nicht das gleiche Prestige wie Erwachsenenfilme, und mit dem Kurzfilm hatte ich meinen Beitrag für den Kinderfilm schon geleistet. Weshalb Tina Dalhoff, die Produzentin der Nordisk Film, auch befürchtete, dass ich ablehnen würde, als sie mir im August 2001 den 'Hodder' anbot. Ich arbeitete damals gerade am Drehbuch für meinen ersten Spielfilm, aber nach dem 11. September schien der mir irgendwie zu belanglos. 'Hodder' kam genau richtig: Das war ja kein Action-Film, sondern eine ganz existenzielle und vielfältige Geschichte von Bjarne Reuter über menschliche Beziehungen und Gefühle, über Phantasie und Wirklichkeit."

Die Grenzen zwischen Hodders Realität und seinen Phantasien scheinen in Ihrem Film fast aufgehoben.
"Genau. Wir wollten, dass das Publikum die Welt mit Hodders Augen sieht. Natürlich ist die Wirklichkeit dadurch ein bisschen verzeichnet. Hodders Lehrerin oder die Mitschülerin aus Island kommen garantiert nicht im realen Leben so vor."

Haben Sie lange nach Ihrem Hauptdarsteller suchen müssen?
"Unglaublich lange. Insgesamt 560 Jungen haben wir gecastet und bei den ersten 499 war kein Hodder dabei. Viele von ihnen hatten richtig 'tote' Augen, da war überhaupt kein Leben drin. Ich weiß nicht warum, vielleicht weil die Eltern sie unbedingt zu Stars machen wollen. Als ich Frederik Christian Johansen dann endlich fand, hatten wir nicht mal Zeit, ein wenig zu üben – vom Casting ging es direkt zur Aufnahme. Aber Frederik hatte wirklich alles: Seine Augen spiegelten, was in ihm vorging, er konnte spielen und am allerbesten, bei ihm war alles in Ordnung, die Kontakte zu seiner Familie, zur Schule und seinen Freunden. Es war wichtig für mich, dass da einer robust mit der Filmerei umgehen konnte."

Ein Junge mit besten Sozialkontakten und stabilen Familienverhältnissen muss im Film vorwiegend einsam und unglücklich sein. Wie konnte Frederik diese Rolle spielen?
"Ich denke, wir alle haben schon von klein auf Erfahrungen mit Einsamkeit, Angst, Trauer und Sehnsucht nach Liebe und Freundschaft gesammelt – wir allen haben diese Gefühle in uns. Auch Frederik hat in seinem Leben Stellen gefunden, wo er sich einsam, ängstlich oder traurig gefühlt hat und das hat er sich bei der Arbeit wieder herangeholt."

Hatten Sie einen guten Kontakt zueinander?
"Ja, sehr. Er hat auch oft bei uns gewohnt, weil sein Zuhause mindestens eine Autostunde entfernt war und wir unter unseren fünf Kindern auch einen Jungen in seinem Alter haben. Wir sprachen viel miteinander, über sein eigenes Leben und das, was in den Film-Szenen passiert, was Hodder da fühlen oder denken mag. Und Frederik hat dann in seinem Leben nach entsprechenden Gefühlen gesucht. Auch für seine letzte Szene mit der Fee, in der er sie erst wütend beschimpft und dann zusammenbricht, hatte er etwas gefunden, über das er uns zwar nicht erzählt hat, aber das er mit in diese Szene hinein nahm. Es war sehr berührend, denn als wir diese Szene übten, hat er von selbst geweint und für uns war ganz deutlich, dass auch in Frederiks Leben etwas kaputt gegangen war."

Nach der Vorführung in Berlin hat er erzählt, dass die Filmerei manchmal auch langweilig war.
"Ja. Das gilt besonders für die Szenen mit der Fee, weil die gar nicht anwesend war, er also ins Nichts agierte. Aber wir haben ihn wirklich ganz gut behütet und in seinen Drehpausen hat er etwas ganz anderes gemacht: seinen eigenen Film nämlich. Den hat er aus den Filmschnipseln, die im Studio herumlagen, am Schneidetisch selbst zusammengesetzt und uns am Ende der 45 Drehtage stolz vorgeführt."

Wie viel Zeit hatten Sie für die Vorbereitung?
"Die Arbeit am Drehbuch dauerte vom November 2001 bis zum Beginn der Dreharbeiten im März 2002. Aber schon Mitte Januar haben wir den Film-Stil, die Dekorationen, die Farbgebung, die Kameraeinstellungen, die Locations, die ganze Textur des Films festgelegt. Ich wollte den Film keiner bestimmten Zeit zuordnen, sondern strebte eine gewisse Zeitlosigkeit an, um tiefer in die Geschichte eindringen zu können. Die alltägliche Wirklichkeit sollte zugunsten einer mehr stilisierten Realität zurückgedrängt werden, weshalb man zum Beispiel keine Skateboards oder Computer im Film sieht. Ich finde, dass die supermodernen Filme schnell altmodisch werden – im Gegensatz zu den klassischen Filmen, deren Inhalte und Themen nach zehn und mehr Jahren noch frisch wirken. Ich denke da an die nüchterne und distanzierte Weise, mit der Wim Wenders in seinen alten Filmen die Wirklichkeit gezeigt hat. Seine Film-Sprache hat mich als Junge sehr beeindruckt."

Sie haben diese Filme als Junge gesehen?
"Ja. Meine beiden älteren Brüder hatten mich mitgenommen. Ich wusste nicht, worum es in seinen Geschichten ging, aber seine Bilder haben sich tief in mir festgesetzt. Ich meine, wir stehen ja alle auf den Schultern von irgendwem, und ich stehe zumindest auf einer Schulter von Wim Wenders, Jim Jarmusch und ähnlichen Filmemachern."

Wir bewundern die dänische Kinderkultur, die auch Themen wie Scheidung, Krankheit und Tod für Kinder einfühlsam und wahrhaftig behandelt. Sucht man bei Ihnen inzwischen nach existenziellen Konflikten, weil die Sozialbeziehungen nicht mehr genügend hergeben?
"Schwer zu sagen. Das soziale Miteinander ist in der Tat in Dänemark ziemlich gut. Hier war der Ausgangspunkt ernst und wenn man Kinder ernst nimmt, muss man ein ernstes Thema auch ernsthaft gestalten. Das gilt auch für den Humor, auch da darf man sich nicht mit Tortenschlachten und billigen Witzen zufrieden geben. Und man muss sich selbst wieder in das Leben eines Kindes einleben, um seine Geschichte erzählen zu können und weiterzubringen. Kindheit ist ja immer eine schwierige Zeit, auch wenn man das erst viel später realisiert."

Wie war die Ihre?
"Ich bin das mittlere von fünf Geschwistern, ich war in dieser Beziehung also ganz anders dran als Hodder, aber das Gefühl der Einsamkeit kenne ich auch. Bei so vielen Geschwistern muss man seinen eigenen Kampf kämpfen, um mithalten zu können. Und auch ich habe unter der Abwesenheit der Eltern gelitten – ich meine, sie waren beide am Leben, aber sie haben sehr viel gearbeitet."

Woran arbeiten Sie gerade?
"Zurzeit mache ich eine Fernseh-Serie, Alltagskomödien, die ja in Dänemark sehr populär sind. In 'Nikolai & Julie' geht es um Partnerschaftsprobleme von 30-Jährigen, die jeden Sonntag um Acht ausgestrahlt werden. Dann folgt eine Serie über einen Rechtsanwalt und danach hoffe ich, einen Spielfilm für Erwachsene machen zu können. Aber worüber weiß ich noch nicht."

Was ist mit dem Projekt, an dem Sie vor 'Hodder' gearbeitet haben?
"Das habe ich auf Eis gelegt."

Das Gespräch mit Henrik Ruben Genz führte Uta Beth

 

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