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Ausgabe 99-3/2004

"Am meisten fühle ich mich von ganz normalen Menschen überall auf der Welt inspiriert"

Gespräch mit Paul Morrison, Regisseur und Autor des Films "Davids wundersame Welt" (Wondrous Oblivion)

(Interview zum Film DAVIDS WUNDERSAME WELT)

KJK: "Wondrous Oblivion" – der Eröffnungsfilm des Kinderfilmfest der Berlinale 2004 – war ihr erster Film mit Kindern in den Hauptrollen. War es für Sie schwierig, mit Kindern zu arbeiten?
Paul Morrison: "Die beiden Kinder, die hier die Hauptrollen spielen, sind etwas ganz Besonderes, sie sind sehr einfühlsam und intelligent, wunderbare Darsteller. Für mich machte es keinen Unterschied, dass sie Kinder waren. Ich redete mit ihnen genauso wie mit den Erwachsenen. Der einzige wirkliche Unterschied bestand in der Arbeitszeit, denn Kinder dürfen nur einige Stunden täglich drehen. Das sorgte für große Disziplin während der Produktion, was sich für alle positiv auswirkte."

Wie fanden Sie die beiden Kinderdarsteller Sam Smith and Leonie Elliot?
"Ich habe etwa 400 Jungen für die Rolle des David vorsprechen lassen und war schon am Verzweifeln, als der Casting-Direktor dann endlich Sam fand. Er kommt weder aus einer Schauspielerfamilie noch spielte er früher in einer Schultheatergruppe mit, aber er hatte schon an einem Kurzfilm mitgewirkt. Bei Leonie war ich gleich bei ihrem ersten Vorsprechen so beeindruckt, dass ich wusste, wir haben hier die richtige Besetzung gefunden."

Haben Sie Ihren Film speziell für ein jüngeres Publikum gemacht?
"Nein, der Film richtet sich nicht speziell an Kinder. Ich war daher bei der ersten Vorstellung auf dem Kinderfilmfest in Berlin sehr froh, dass mein Film sowohl bei Kindern als auch beim erwachsenen Publikum sehr gut aufgenommen worden ist, und er funktionierte zu meiner Überraschung sogar bei ganz jungen Kindern. Aber gemacht wurde er eher für ein älteres Publikum und einige Handlungsstränge richten sich auch an Erwachsene. Gleichwohl kamen die Kinder auch da gut mit."

Waren Sie denn überhaupt zufrieden, dass Ihr Film für die Kinderfilmsektion ausgewählt worden ist und nicht für eine andere Sektion des Festivals?
"Ich empfand es als große Ehre, dass mein Film die Kinderfilmsektion eröffnet hat. Andererseits war ich auch etwas in Sorge, weil ich den Film eben nicht speziell für Kinder gemacht habe, aber das ging in Ordnung so. Das Publikum war großartig und die Kinder stellten im Anschluss sehr intelligente Fragen. Was könnte man sich mehr wünschen? Der Applaus dort wird mich für die nächsten zwei Jahre beflügeln."

Können Sie etwas zum Humor in Ihrem Film sagen?
"Der Humor ergibt sich aus dem Charakter von David. Dieser ist zu Beginn des Films beim Cricketspiel wirklich schlecht, dennoch liebt er diese Sportart. Er ist voller Begeisterung und zugleich tollpatschig. Damit er das glaubhaft vermitteln konnte, arbeitete Sam einige Wochen mit einem Clown zusammen. Sams Verhalten macht einen wesentlichen Teil des Humors im Film aus. Darüber hinaus glaube ich, wenn man etwas lustig oder sonderbar darstellt, wirkt es auch tiefgründiger und ruft stärkere Gefühle hervor als etwas Trauriges."

Welche Bedeutung hat das Cricketspiel im Film?
"Die Briten haben den Cricketsport erfunden und im ganzen britischen Imperium verbreitet. Dann brachten die Menschen aus den Kolonien diesen Sport zurück nach Großbritannien und haben uns dort geschlagen. Er hat also eine vielschichtige soziale Bedeutung für uns und auch für die Menschen aus der Karibik, die hierher gekommen sind."

Wie arbeiten Sie Ihre Hauptthemen heraus?
"Ich beginne nicht mit der Arbeit an einem Film, indem ich darüber nachdenke, welches Thema ich behandeln möchte. Am meisten fühle ich mich von ganz normalen, einfachen Menschen überall auf der Welt inspiriert, gerade wenn sie etwas Heldenhaftes an sich haben. Ich begann hier mit dem Charakter von David und mit der Situation, die eingangs im Film gezeigt wird, als David den Ball verfehlt. Und dann untersuchte ich seinen Charakter, seine Familie, sein Umfeld, wie es auf diesen Charakter reagiert und was mit den Leuten in der Nachbarschaft passiert. Wenn ich also eine Geschichte schreibe, entwickelt sie sich automatisch aus dem heraus, was mir wichtig ist, denn so arbeitet mein Geist. Es ist sehr gefährlich, wenn ein Autor oder ein Regisseur zu früh an die Thematik und dann erst an die Story denkt, denn dann werden die Leute später kommen und fragen, worum es im Film eigentlich gegangen ist."

Liebe und Freundschaft zwischen den Kulturen sind die bevorzugten Themen ihrer beiden letzten Spielfilme. Warum?
"Das trifft nicht nur auf meine letzten Spielfilme zu, sondern gleichermaßen auch auf alle Dokumentarfilme, die ich zuvor gedreht habe. Das ist eben die wichtigste Aufgabe in unserer Gesellschaft, der wir uns weltweit stellen müssen. Der Dokumentarfilm und der Spielfilm nähern sich diesem Thema lediglich von unterschiedlichen Seiten. Nachdem ich den Spielfilm für mich entdeckt habe, werde ich auf dieser Ebene weiter arbeiten, zumal es da viel mehr Leute gibt, die einem bei der Erzählung einer Geschichte helfen."

Toleranz und multikulturelle Gesellschaften sind eigentlich sehr aktuelle Themen. Warum haben Sie die Handlung des Films in den 60er-Jahren angesiedelt?
"Weil das genau die Zeit war, in der Großbritannien sich zur multikulturellen Gesellschaft entwickelt hat. Dieser Übergang von den 50er-Jahren zu den 60ern, den ich selbst als Kind erlebt habe, bedeutete für Großbritannien einen Wendepunkt. Damals waren die Gegensätze auch besonders deutlich, heute sind sie viel mehr verdeckt."

Und warum stehen dann Leute aus Jamaika und nicht aus anderen Ländern im Mittelpunkt?
"Die größte Einwandererwelle Ende der 50er-Jahre kam aus der Karibik. Erst später kamen die Leute aus Asien und dann aus Afrika hinzu. Als ich ein Kind war, gab es diese berühmten Aufstände in Nottinghill. Und ich kann mich auch noch daran erinnern, als die erste Familie aus Westindien in unsere Nachbarschaft zog und meine Großmutter deshalb sehr wütend wurde, obwohl sie eigentlich sehr lieb und verständnisvoll war."

Warum waren Davids jüdische Eltern letzten Endes stärker isoliert als die Zuwanderer aus der Karibik? Dennis ist im Gegensatz zu Davids Vater sehr selbstbewusst.
"Die Juden kamen eigentlich viel früher nach Großbritannien, in der Zeit um 1900 und dann auch in den 30er-Jahren. Aber hier ist die Familie von David in der Straße ziemlich isoliert, die Großeltern starben im Holocaust, die Nachbarn sind alle nichtjüdisch und der Vater hat sein Geschäft dort errichtet, wo er am ehesten fehlenden Bedarf vermutete. Es stimmt, dass die westindische Familie eigentlich der jüdischen Familie hilft, die Isolation zu überwinden."

Davids "Coming-of-Age" korrespondiert mit der Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft in Großbritannien. Kann man diese beiden Entwicklungsstränge direkt vergleichen?
"Ja, es ist ein Film über das Heranwachsen. David muss erwachsen werden, seine Mutter muss sich entwickeln und unabhängiger von ihrem Mann werden, sein Vater muss lernen, ein richtiger Vater zu werden. Die Gesellschaft um diese Familie herum durchläuft ebenfalls einen Entwicklungsprozess und lernt, tolerant zu sein und mit Menschen zusammen zu leben, die anders sind."

Ihr Film endet optimistisch. Sind Sie persönlich auch so optimistisch in Bezug auf die Entwicklung unserer Gesellschaft hin zu mehr Toleranz?
"Manchmal bin ich es und manchmal wieder nicht. Mein nächster Film wird wohl eher pessimistisch sein. Es geht um eine schwule Liebesgeschichte. Aber bei diesem Film ('Wondrous Oblivion') habe ich meinen Pessimismus und meine Niedergeschlagenheit überwunden."

Interview: Holger Twele

 

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