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Ausgabe 101-1/2005

"Für Kinder darf diese Geschichte nicht tragisch enden"

Gespräch mit der Elsa Kvamme, Regisseurin und Drehbuchautorin des Films "Fia!"

(Interview zum Film FIA!)

KJK: Das Thema "Pflegekind/Pflegefamilie" ist für einen Kinderfilm eher ungewöhnlich. Wie sind Sie darauf gekommen?
Elsa Kvamme: "Auf einer meiner vielen Reisen sah ich zu einer Zeit, als alle Kinder eigentlich in der Schule sind, einen etwa achtjährigen Jungen mit seiner kleinen Schwester, die von der Mutter an der Hand gehalten wurden. Ich merkte, der Junge wollte nicht, dass ich ihn sehe. Ich habe noch oft solche Kinder getroffen, auch ältere, Kinder, die nichts finden, die auf der Straße sind, sich prostituieren oder drogensüchtig sind. Viele von ihnen haben dieselbe Geschichte, nämlich sehr jung eine große Verantwortung zu tragen, dabei loyal und mutig sein zu müssen. Das war für mich der eine Ausgangspunkt. Der andere ist, dass Eltern sehr viele Rechte haben, sie können ein Kind hin- und herschieben, zwei Monate hier, zwei Monate dort, sie benutzen die Kinder wie einen Ball und das ist schrecklich für ein Kind. Schließlich bin ich auf das Buch 'Fia Barnet' von der norwegischen Autorin Gunn Bohmann gestoßen, die auch mit solchen Kindern arbeitet. Es hat mich sehr berührt, aber im Kino muss man vieles anders zeigen. Bereits als Kind dachte ich, im Kino muss alles viel größer sein. In diesem Sinn bin ich kindlich geblieben, ich möchte, dass die Emotionen im Kino sehr stark sind, größer als bei einer realistischen Geschichte, dass alles mit den Augen der Kinder gesehen wird."

Haben Sie die Romanvorlage stark verändert?
"Ja, aber den Handlungsfaden selbst habe ich beibehalten, dass das Mädchen von der Mutter getrennt wird, dass sie zunächst gegen die Pflegeeltern ankämpft, dass sie sich schwört, sie nicht zu lieben. Auch das Drama mit dem Hund und das Ende der Geschichte habe ich nicht verändert. Aber die Idee mit dem Clown und die Szenen in der Schule kamen von mir."

Wie haben Sie die Hauptdarstellerin Klara Døving gefunden?
"Das war wirklich ein Wunder. Ich hatte sie zusammen mit ihrer Mutter zufällig getroffen, ihre Mutter kannte ich, weil sie vor zehn Jahren einmal in einem kleinen Theaterstück als Schauspielerin für mich tätig gewesen ist. Damals war sie gerade mit Klara schwanger, danach hatte ich kaum mehr Kontakt mit ihr, zumal sie die Schauspielerei aufgab. Als ich Klara nun sah, entsprach sie genau der Vorstellung, die ich mir von Fia gemacht hatte, und fragte Klara, ob sie für die Rolle vorsprechen wolle. Noch am Abend rief die Mutter an und sagte zu. Nach drei Proben stand ihre Besetzung fest und ich konnte mir nicht vorstellen, noch eine bessere zu finden. Das war ein großes Glück, denn normalerweise sind für so eine wichtige Kinderrolle Tausende von Castings erforderlich, ich hatte insgesamt nur etwa 30."

Wie haben Sie mit Klara gearbeitet? Die Rolle fordert sehr viel von ihr.
"Zunächst war es ein großer Vorteil, dass sie schon älter war, als es ihrer Rolle entspricht, aber für ihre zehn Jahre ist sie noch relativ klein gewesen. Jüngere Kinder hätten mit den starken Gefühlen, die diese Rolle erforderte, noch nicht richtig umgehen können. Klara hat das Drehbuch nie gelesen; ich habe ihr die Geschichte erzählt und einmal war sie ganz böse und fragte, ob Fia denn zu ihrer Mutter zurückkehren werde, sie müsse das wissen. Drei Wochen vor dem eigentlichen Drehbeginn sind wir mit ihr und den anderen Schauspielern einzelne Szenen durchgegangen und haben uns über die jeweiligen Gefühlslagen verständigt. Das war wichtig, denn wir konnten nicht chronologisch drehen. Beim Drehen selbst war Klara sehr präzise, erhielt auch Unterstützung von ihrer Mutter. Es war sehr einfach, mit ihr zu arbeiten, sie war nie müde, obwohl die Drehtage für sie sehr lang waren."

War sie dann mit dem Film selbst zufrieden?
"Ich glaube, ja. Sie ist eine scheue Person, will kein Star sein, ist stolz auf sich, aber auch kritisch. Sie meinte, in zwei Szenen sei sie wirklich schlecht gewesen. Ich fand das gar nicht! Gerade in der einen Szene im Tivoli mit der Mutter kommt deutlich heraus, dass sie der Mutter nur etwas vorspielt, eigentlich aber sehr enttäuscht ist."

Sowohl die Pflegeeltern als auch der Sozialarbeiter beurteilen im Film ihre eigene Kindheit als schwierig, wieso wird das erwähnt?
"Gegenüber einem Kind muss man ehrlich sein. Pflegekinder sind schwierig und es ist normal, dass man auch böse auf sie wird. In Norwegen wurde die Szene, in der die Pflegemutter böse auf Fia wird und sie schlägt, sehr kontrovers beurteilt, einige fanden gar, dann dürfe sie keine Pflegemutter sein. Aber genau das ist der Punkt, man muss nicht perfekt sein, man muss lieben und um die Liebe der Kinder kämpfen. Wenn alle nur nett sind, wird es keine echte Entwicklung geben. Alle, die mit Kindern arbeiten, wissen über die Grenze, nach der man selbst kindlich wird, ganz spontan wie ein Kind reagiert. Allerdings muss man anschließend mit dem Kind darüber sprechen und ihm erklären, wie es zu solchen Gefühlsausbrüchen kommen konnte, etwa welche Erfahrungen man selbst als Kind gemacht hat."

Das Jugendamt fällt seine Entscheidungen sehr spontan, stellt die Mutter vor vollendete Tatsachen.
"Vielleicht kam das im Film etwas zu kurz. In der Buchvorlage und in meinem Manuskript kommt klar heraus, dass die beiden Sozialarbeiter viel mit der Mutter diskutiert haben, ihr auch Briefe schrieben, die Fia alle wegwirft. Da sie bereits acht Jahre alt ist und längst zur Schule gehen müsste, war klar, dass nun konkret etwas passieren musste. Hätte ich diese Auseinandersetzungen mit dem Sozialamt stärker in den Mittelpunkt gerückt, wäre es vielleicht nicht mehr so einfach gewesen, Fias starke Liebe zu ihrer Mutter noch glaubhaft zu vermitteln – und der Film wäre viel länger geworden."

Wieso geschieht Fias Annäherung an die Pflegefamilie zuerst über den Pflegevater und nicht über die Pflegemutter?
"Das ist sehr natürlich, denn sie kannte ihren richtigen Vater nicht und die Mutter wollte nicht über dessen Tod sprechen. Sie begreift das erst in der Szene, als sie mit dem Pflegevater ihren Vogel begräbt. Ich habe ein ähnliches Verhalten auch schon bei anderen Kindern erlebt. Oft wünschen sie dann, dass dieser neue Vater die leibliche Mutter heiratet, aber das wäre ein Drama geworden."

Haben Sie diesen Film speziell für Kinder gemacht?
"Ja, aber ich hatte trotzdem Angst, er könnte für Kinder nicht funktionieren. Wir machten in der Schnittphase des Films mehrere Testvorführungen, bei denen die Kinder alle sehr positiv reagierten und vom Film berührt waren. Allerdings ist er in Norwegen kommerziell nicht so erfolgreich wie ich es mir erhofft hatte, zumal ich ihn auch als Familienfilm sehe, den sich die ganze Familie gemeinsam ansieht. Er hatte dort bisher etwa 40.000 Zuschauer, das ist nicht schlecht, aber die erfolgreichsten Kinderfilme haben bei uns bis zu 200.000 Zuschauer. Viele kommerziell erfolgreiche Kinderfilme sind allerdings 'Plastik', sie werfen nur kleine Scheinprobleme auf, aber die Wirklichkeit ist heute für Kinder sehr schwer und viele haben Angst, dass die Eltern sie verlassen könnten und aus ihrem Leben verschwinden. Ich wollte, dass die Kinder bewusster mit diesen Gefühlen in Kontakt kommen."

Im Gegensatz zur Realität hat der Film ein klares Happy End. War das von Anfang an klar?
"Ja, das hat mit dem Unterschied zwischen einem Kinderfilm und einem Film für Erwachsene zu tun. Für Kinder darf diese Geschichte nicht tragisch enden. Und ich halte das Ende auch für realistisch, denn für Fia eröffnet sich ein neues Leben, in dem sie Kind sein darf, neue Freunde gewinnt. Aber sie verlässt die Mutter nicht – sie kann jederzeit wieder in Fias Welt eintreten."

Interview: Holger Twele

 

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