Produktion: TV Man Union / Bandal Visual Co. / Engine Film / C-Style / CineQua Non Film; Japan 2004 – Regie, Buch, Produzent und Schnitt: Hirokazu Kore-eda – Kamera: Yutaka Yamasaki – Musik: Gontiti – Darsteller: Yuya Yagira (Akira), Ayu Kitaura (Kyoko), Hiei Kimura (Shigeru), Momoko Shimizu (Yuki), Hane Kan (Saki), You (Keiko, die Mutter) u. a. – Länge: 140 Min. – Farbe – FSK: ab 6 – Verleih: Rapid Eye Movies (OmU) – Altersempfehlung: ab 12 J.
Mit einer Engelsgeduld schildert der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda auf der Basis eines tatsächlichen Falls den Leidensweg einer Kinderschar, die von ihrer egoistischen Mutter sich selbst überlassen wird. Das über weite Strecken fast dokumentarisch wirkende Kammerspiel verlangt mit seinen 140 Minuten auch dem Publikum viel Geduld ab, belohnt die Mühe aber mit einem außergewöhnlichen Kinoerlebnis.
Die junge Keiko zieht mit ihren Kindern Akira, Kyoko, Shigeru und Yuki in ein kleines Apartment in Tokio ein. Um nicht als Mutter von vier unehelichen Kindern von vier verschiedenen Vätern entlarvt zu werden, schmuggelt sie die beiden jüngsten in Koffern ins Haus. Nur den ältesten Sohn, den zwölfjährigen Akira, stellt sie den Vermietern vor. Damit die verschwiegenen Kinder nicht entdeckt werden, dürfen sie nicht laut reden und nicht nach draußen gehen, nicht einmal auf den Balkon. Keines der Kinder hat je eine Schule besucht. Während Keiko arbeiten geht, sorgen Akira und Kyoko für den Haushalt. Eines Tages ist die Mutter fort. Sie hinterlässt nur etwas Geld und den Auftrag an Akira, auf die jüngeren Geschwister aufzupassen. Nur er soll das Haus verlassen, um einzukaufen. Die vier Kinder halten sich an die Regeln und meistern den schwierigen Alltag. Erst nach einem Monat kommt Keiko noch einmal mit Geschenken und verspricht, an Weihnachten wieder da zu sein. Doch sie kommt nicht mehr zurück.
Es ist schon bewundernswert, wie Kore-eda seine jungen Laiendarsteller zu einem derart unbefangenen Spiel vor der Kamera motivieren konnte. Für seine Leistung wurde Yuya Yagira in der Rolle des Akira auf dem Filmfestival in Cannes 2004 als bester Darsteller ausgezeichnet. Der 1962 in Tokio geborene Regisseur und Autor verarbeitete in seinem vierten langen Film einen tatsächlichen Fall: 1988 wurde in einer Wohnung in Tokio ein totes Mädchen gefunden. Das Kleinkind hatte mit drei Geschwistern in der gleichen Wohnung mehr als sechs Monate gehaust, nachdem die Mutter sie im Stich gelassen hatte.
In bedächtigen, zuweilen fast meditativen Bildern protokolliert der mehrfach ausgezeichnete Film, wie sich die Kinder die Zeit vertreiben, wie sie sich gegenseitig helfen, wie sie den Haushalt managen, bis wegen unbezahlter Rechnungen Strom und Wasser abgestellt werden. Er zeigt auch die fortschreitende Verstörung und körperliche Verwahrlosung der Geschwister, die sich mit dem Fortgang der Mutter nicht abfinden können. Gut herausgearbeitet wird dabei, wie Akira unter dieser Verantwortungslast fast zusammenbricht und doch vorzeitig heranreift. Eine versierte Hand beweist die Regie beim sparsamen, aber sehr effektiven Umgang mit Symbolen: So wird der anfängliche heimliche Kindertransport im Koffer in einer anrührenden Szene kurz vor Schluss wieder aufgegriffen. Der geradezu dokumentarische Erzählstil wird dadurch betont, dass Kore-eda fast nur mit natürlichem Licht und im Laufe der vier Jahrzeiten chronologisch drehte.
Gerade indem der 1962 in Tokio geborene Regisseur keine vordergründigen Schuldzuweisungen oder plakativen Anklagen liefert, regt seine lyrische Sozialstudie zum Nachdenken nach, etwa über den Mangel an Humanität und Solidarität, den unverschuldeten Verlust von Liebe und Fürsorge, den um sich greifenden Egoismus und die gesellschaftliche Anonymität. Vor allem aber wirft "Nobody Knows" die Frage auf: Wie kann verhindert werden, dass sich ein solcher deprimierender Fall mütterlichen und sozialen Versagens wiederholt?
Reinhard Kleber
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