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Ausgabe 103-3/2005

EDELWEISSPIRATEN

Produktion: Palladio Film GmbH / WDR / X Filme Creative Pool; Deutschland 2004 – Regie: Niko von Glasow – Buch: Kiki von Glasow – Kamera: Jolanta Dylewska – Schnitt: Oli Weiss, Andreas Wodraschke – Musik: Andreas Schilling – Darsteller: Iwan Stebunov (Karl Ripke), Simon Taal (Peter Ripke), Bela B. Felsenheimer (Hans Steinbrück), Jochen Nickel (Josef Hoegen), Anna Thalbach (Cilly Serve), Jan Decleir (Ferdinand Kütter) u. a. – Länge: 95 Min. – Farbe – Verleih: Palladio Film / 3Rosen Filmverleih und Central Film; Kontakt: 3Rosen GmbH Filmverleih, Cornelia Weiß, Traunsteiner Str. 7, 10781 Berlin, Tel. 030-23636330, Fax 030-23636339, e-mail: cweiss@3rosen.com – Altersempfehlung: ab 14 J.

"Edelweißpiraten" nannten sich unangepasste Jugendgruppen, die sich im Kölner Raum schon kurz nach der Machtergreifung der Nazis bildeten. Die Jugendlichen, fast alle aus der Arbeiterschicht, machten Wanderungen, sangen an Lagerfeuern bündische Lieder und prügelten sich mit der Hitler-Jugend. Im Zweiten Weltkrieg sabotierten einige Gruppen die Kriegsmaschinerie, bewaffneten sich und gingen in den Untergrund. Allein bei der Kölner Gestapo waren 2.000 "Edelweißpiraten" aktenkundig. Von der Gestapo als "Ehrenfelder Bande" verfolgt und festgenommen, wurden am 10. November 1944 in Köln-Ehrenfeld dreizehn Deutsche, darunter sechs Edelweißpiraten hingerichtet. Nach dem Krieg wurden die "Edelweißpiraten" vielfach als Kriminelle abgestempelt, weil sie im Kriegschaos stahlen und plünderten, um im Untergrund zu überleben. Im Unterschied zur allseits geachteten "Weißen Rose" der Geschwister Scholl in München kämpfen ehemalige "Edelweißpiraten" in Deutschland noch heute um ihre Anerkennung als Widerstandskämpfer.

Der Regisseur Niko von Glasow, der unter seinem ursprünglichen Namen Niko von Brücher Filme wie "Hochzeitsgäste" und "Maries Lied" drehte, hat mit seiner Frau, der Drehbuchautorin Kiki von Glasow, dieses wenig bekannte Kapitel der deutschen Geschichte aufgegriffen. In siebenjähriger Arbeit entstand ein Drehbuch, das auf den historischen Ereignissen, Gestapo-Akten und Gesprächen mit Überlebenden und Angehörigen von Opfern beruht.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges wird der Edelweißpirat Karl von amerikanischen Soldaten aus dem Gefängnis befreit. Er erinnert sich an den Bombenkrieg in Köln, wo er 1944 mit seinen Kameraden Anti-Kriegsparolen an Mauern schrieb. Karls jüngerer Bruder Peter ist bei der HJ. Sie leben allein, seit die Mutter bei einem Bombenangriff ums Leben kam und der Vater an der Front ist. Der ältere Bruder Otto ist gefallen, seine Verlobte Cilly haust mit ihren zwei Kindern in einer Kellerwohnung. Bei Cilly verstecken die Edelweißpiraten den verletzten KZ-Flüchtling Hans, in den Cilly sich verliebt. Als Karls Vater fällt, schließt sich auch der desillusionierte Peter den Piraten an. Hans wird sein neues Idol. Als Hans und einige Edelweißpiraten ein Attentat auf die Gestapo-Zentrale planen, verweigert sich Karl. Doch die Pläne fliegen auf. Die Nazi-Schergen stürmen Cillys Wohnung, finden zwei versteckte Jüdinnen und das Waffenlager. Beim Versuch, Cilly zu befreien, werden die meisten Edelweißpiraten gefasst. Karl will Peter retten und verrät aus Liebe ihn und Hans. Sie werden brutal gefoltert. Doch Hans weigert sich, ihn im Stich zu lassen und hält sich an den Wahlspruch: "Edelweißpiraten sind treu".

Mit großer Intensität spielen Anna Thalbach die Cilly und Bela B. Felsenheimer (bekannt als Sänger der Musikgruppe "Die Ärzte") den Bomben-Hans. Vier der jungen "Piraten" werden von Kölner Schülern dargestellt. Als Off-Erzähler fungiert Jean Jülich, einer der wenigen Edelweißpiraten, die noch leben. Der Film wurde komplett in 60 Tagen in St. Petersburg gedreht.

Die Kamera bleibt immer nah an den Personen, fängt die lebensbedrohlichen Situationen hautnah ein, düstere Bilder und bleiche Farben herrschen vor. Allerdings machen die ungestüme Kameraführung und ein ruppiger Schnitt die räumliche Orientierung manchmal zum Rätselspiel. Ein gravierender psychologischer Schwachpunkt in der Dramaturgie ist der plötzliche Sinneswandel von Peter: Dass der unreife Junge sich in Minutenschnelle vom braven Hitlerjungen zum todesmutigen Widerständler wandelt, nimmt man der Figur nicht ab.

Die schonungslose Inszenierung ist insgesamt keine leichte Kost: Hungernde Kinder, marodierende Banden, skrupellose Nazis, Menschen in verzweifelter Lebensgier werden reichlich vorgeführt, manchmal dick aufgetragen oder auch klischeehaft. Die Schrecken der alliierten Bombenangriffe werden ebenso explizit dargestellt wie die Überfälle der Widerständler und die Verbrechen der Gestapo-Männer. Vor allem wegen der an die Grenze des Erträglichen gehenden Folterungen und der ausführlichen Hinrichtungsszene, dem pathetisch überhöhten Höhepunkt der Tragödie, erscheint eine Altersempfehlung ab 14 Jahren angebracht.

Trotz der Inszenierungsschwächen ist "Edelweißpiraten" ein wichtiger, ein verdienstvoller Film, der angesichts erstarkender rechtsextremistischer Tendenzen und revisionistischer Positionen zu vielen Diskussionen über die Lehren der Geschichte für die Gegenwart Anlass gibt. Außerdem kann er dabei helfen, die Edelweißpiraten endlich zu rehabilitieren und ihre Leistungen als Widerstandsgruppe gegen den Nazi-Terror zu würdigen. (Filminformationen unter www.edelweisspiraten.com)

Reinhard Kleber

P.S.: Der Kölner Regierungspräsident Jürgen Roters, der sich inzwischen mit dem Thema befasst hat, kam nach dem Studium der historischen Akten zu dem Schluss, dass die Aktionen der Edelweißpiraten in der "Ehrenfelder Gruppe" als politischer Widerstand einzustufen sind. Zum gleichen Ergebnis kam auch bereits eine neuere wissenschaftliche Arbeit der Rhein-Ruhr-Universität Duisburg-Essen. In einer Feierstunde am 16. Juni 2005 in Köln wurden vier der ermordeten Ehrenfelder Edelweißpiraten posthum als politische Widerstandskämpfer anerkannt.

 

 

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