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Ausgabe 107-3/2006

C.R.A.Z.Y. – VERRÜCKTES LEBEN

Produktion: Cirrus Communication / Crazy Films; Kanada 2005 – Regie und Buch: Jean-Marc Vallée nach einer Originalidee von Francoise Boulay und Jean-Marc Vallée – Kamera: Pierre Mignot – Schnitt: Paul Jutras – Musik: David Bowie – Darsteller: Michel Côté (Gervais Beaulieu), Marc-André Grondin (Zachary Beaulieu als Erwachsener), Emile Vallée (Zachary Beaulieu als Kind), Danielle Proulx (Laurianne Beaulieu) u. a. – Länge: 127 Minuten – Farbe – FSK: ab 12 – Verleih: Concorde – Altersempfehlung: ab 14 J.

Wie verloren man sich im eigenen Zimmer fühlen kann. Eingerahmt von Bruce Lee- und David Bowie-Fotos steht Zachary vor dem Spiegel. Weder Kind noch Mann. Verzweifelt, aber auch mit dieser pubertierenden Koketterie singt er laut Bowies Textzeilen über den Astronauten Major Tom, der gerade den Kontakt zur Bodenstation verliert. Man möchte glauben, dieses Lied wurde nur für diesen einen Moment geschrieben, in dem ein Kinderzimmer eines Heranwachsenden zu einer Raumstation wird, losgelöst von jeglicher Außenwelt.

Doch auch ein Bowie-Song geht zu Ende und dann findet sich unser jugendlicher Sänger wieder auf dem Boden der Tatsachen. Und sein Problem ist nicht das Asthma, wie uns seine erzählende Stimme immer wieder weismachen will. Aber wo genau seine Schwierigkeiten liegen, will er uns und sich lange nicht eingestehen. Ist es einfach sein Weg ins Erwachsenenleben, mit den Problemen der ersten Liebe und den Kämpfen um Anerkennung? Oder liegt da noch etwas im Verborgenen?

Wie ein Puzzle setzt sich durch den gesamten Film eines nach dem anderen zusammen. Und erst allmählich kann man einige längst gesehene Bilder in einen Sinnzusammenhang stellen. Denn unmerklich nähert sich Zachary dem Zentrum seiner Suche an: seiner Homosexualität und dem Kampf um die Akzeptanz der selbigen durch den Vater. Denn der lässt seinem Liebling viel durchgehen, nur gibt es eben dieses eine große Tabu. Und trotzdem macht sich Zachary auf den beschwerlichen Weg der Identitätsfindung zwischen häuslicher Einengung und jugendlicher Rebellion. Seine Reise, die ihn zum Ende hin sogar ins "heilige Land" nach Jerusalem führt, hat nicht zuletzt da etwas von einer biblischen Erlösungsgeschichte.

Physisches Zentrum von "C.R.A.Z.Y." ist dabei immer Zacharys Familie. Seine vier Brüder mit deren völlig verschiedenen Lebensentwürfen auf der einen Seite und den liebenden Eltern mit ihren sympathischen Spleenigkeiten auf der anderen Seite. Der kanadische Regisseur Jean-Marc Vallée stellt in gekonnter Weise die Familie als Ort der Kämpfe, Niederlagen, aber auch als Ort der Liebe und der Geborgenheit dar. Dabei stehen die Eigenheiten eines jeden als Sinnbild für die Ambivalenz menschlicher Beziehungen. Denn wenn Zacharys Vater, mit unwahrscheinlicher Präsenz von Michel Côté gespielt, seine leidenschaftliche Chansoninterpretation von Charles Aznavours "Emmenez moi" bei jedem Familienfest zum Besten gibt, dann ist das liebenswertes Ritual und peinliche Selbstinszenierung zugleich. Und mit dieser Ambivalenz der Gefühle macht es der Film weder dem Protagonisten noch dem Zuschauer leicht, vorschnell ein Urteil zu fällen. Eine sehr lebensnahe Entsprechung.

Obwohl der Film die 60er- und 70er-Jahre nicht zuletzt im wunderbaren Soundtrack wieder aufleben lässt, verkommt er in keinem Moment zum bloßen Retro-Chic, sondern hat eine stimmige Eleganz und Coolness wie ein Chanson von Aznavour. So ist "C.R.A.Z.Y." keine klassisch erzählte Coming-of-Age-Geschichte, sondern wirklich vielschichtiges und sensibel inszeniertes Kino mit Ironie und Humor. Ein sehenswerter Film, der durch seine ausdifferenzierte Inszenierung dem Genre einige neue Facetten hinzugewinnen kann und auch durch seine technische Machart besticht.

Emanuel Socher-Jukic

 

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KJK-Ausgabe 107/2006

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