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Ausgabe 108-4/2006

MILCH UND OPIUM

DOODH AUR APHEEM

Produktion: Starke Filme, New Delhi, Indien 2006 – Regie und Buch: Joel Palombo – Kamera: Pankaj Bhakuni, Joel Palombo – Schnitt: Tenzin Tsetan Choklay – Musik: Deepak Costelino – Darsteller und Musiker: Swaroop Khan, Nizam Khan, Mohamad Khan, Manjoor Khan, Deepak Costelino – Länge: 83 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Starke Filme, New Delhi, e-mail: joelpalombo@yahoo.com – Altersempfehlung: ab 10 J.

Von einem, der auszog, sein Glück zu machen, erzählt Joel Palombo in seinem ersten Spielfilm, einem märchenhaften "Roadmovie" zwischen Fiktion und Dokumentation. Held der Geschichte ist der 14-jährige Swaroop, ein junger Muslim aus einer Kaste von Sufi-Musikern, die in dem einsamen Wüsten-Dorf Keralia im indischen Bundesstaat Rajasthan zu Hause ist. Rajasthan war das sagenhafte Land der Könige und Adligen, in deren Burgen und Paläste die Musiker regelmäßig aufspielten und bis zur Unabhängigkeit Indiens 1957 ein gutes Auskommen hatten. Seit der Entmachtung der Könige aber fristen sie ihr Leben als Wander-Musiker.

Neugierig auf alles, was sich jenseits der Wüste befindet, setzt Swaroop durch, dass er seinen Onkel Nizam auf der nächsten Tour begleiten kann. Der ist alles andere als begeistert, wechselt kaum ein Wort mit seinem Neffen, kümmert sich nur um sich selbst, ist egoistisch und launisch, auch gegenüber seinen Kollegen Manjoor und Mohamad, die sie in Jaisalmer treffen und mit denen sie fortan auftreten. Zu Fuß, per Bus, per Anhalter und im Zug durchqueren sie das Land, kommen über Bikaner bis Neu-Delhi, wo sie auch am berühmten Grabmal des Sufi-Heiligen Hazrat Nizamuddin (1325 v. Chr.) spielen. Doch nach dem Konzert in der Tempelanlage kommt es zum Streit: Nizam, der permanent Opium kaut und seinen Kollegen mit seinem aufgesetzten religiösen Eifer und seiner Geldgier schon länger auf die Nerven geht, betrügt sie um ihren gerechten Anteil. Manjoor und Mohamad gehen ihre eigenen Wege, auch der Onkel verschwindet. Wird er zurückkommen oder lässt er Swaroop allein am Ganges zurück – ohne Geld, ohne Essen, in einer ihm völlig fremden Welt?

Santosh, ein junger Priesterschüler, bringt ihn in der nahen Klosterschule für die Nacht unter und beschließt, auch Musiker zu werden. Gemeinsam brechen sie am nächsten Morgen auf, nicht ohne dass Swaroop seinem Onkel Nizam, der doch zum Ganges zurückgekehrt ist und fest schläft, Kastagnetten und Geld abnimmt. Ohne Gewissensbisse. Doch wo sollen sie spielen? Ein Landsmann, den sie in einer der ärmlichen Vorstädte treffen, weiß es auch nicht – und so fahren sie mit der Metro in ein Einkaufscenter, wo Santosh den staunenden Swaroop von allen Attraktionen wegzieht, weil sie doch nur Geld kosten. Lesen könnte er da sowieso nichts, weil da nichts mehr in Hindi geschrieben steht, sondern nur noch in Englisch. Nachdem sie auch nach Stunden keine Rupie eingespielt haben, kehrt Santosh in sein Kloster zurück – Swaroop ist nun völlig allein in einer Welt, die mit seiner Vorstellung von seiner indischen Heimat nicht das Geringste gemein hat. Bis zum vermeintlich guten, überraschenden und in Hochstimmung versetzenden Ende mit einem Cross-over traditioneller Sufi- und Country & Western-Musik macht das Publikum einen faszinierenden Trip durch ein Indien, das sich rasant verändert.

Traumhaft der Morgen in dem Wüstendorf mit den Gras bewachsenen Rundhäusern aus Lehm und dem Pfau auf der Steinmauer, den wenigen Akazien, schwarzen Ziegen und weißen Kühen. Endlos der Weg durch den Wüstensand in flirrender Hitze. Ein Erlebnis: die fatalistische Ruhe, die sich beim Warten auf den Überland-Bus einstellt, auf dessen Dach sich Swaroop und der endlich einmal gut gelaunte Nizam den Fahrtwind um die Nase wehen lassen. Aber schon, wenn man die kühlen engen Straßen nach Jaisalmer betritt, wo der Palast der Könige steht und kleine Jungen vor einem Bollywood-Plakat musizieren, und sich gleich neben dem Friedhof der Adeligen moderne Windkrafträder drehen, stutzt man. Wie passt das alles zusammen? Die seelenlosen Betonblocks in den Elendsvierteln Neu-Delhis, die Slums, in denen die Menschen auf dem Boden mitten im Dreck schlafen, und die sich über mehrere Stockwerke hinziehenden gläsern-kühlen Einkaufscenter, die man mit der modernen, gleißend hellen Metro erreicht, deren Anblick nach dieser langen Reise in den Augen richtig weh tut.

Eine Reise, auf der der jugendliche Held erwachsen wird, und die geprägt wird durch die phantastische Musik. Denn ob im Freien, in Privathäusern, vor dem Grab des Sufi-Heiligen Hazrat Nizamuddin oder in einem Restaurant im Shopping Center – gesungen, getrommelt oder getanzt wird immer und überall. Unvergesslich, wenn die Gruppe zu einem im Bus gezeigten älteren Pop-Film spielerisch ihren musikalischen Kommentar abgibt, unvergessen das Live-Konzert in der Eisenbahn, die an neben den Gleisen campierenden Zigeunern vorbeifährt. Auch deren Musik hat Einfluss genommen auf die der Manganyars, der reisenden Sufi-Musiker aus der Gegend von Jaisalmer. Die schauspielerischen Leistungen der Musiker sind beachtlich und musikalisch betrachtet ist dieser Film eine in die Landschaft gesetzte Nummern-Revue von herausragendem Niveau, so dass sich wohl (fast) jeder eine CD dieser Aufnahmen wünscht. Oder: dass der Film einen Verleih bekommt, wenigstens aber auch auf DVD erhältlich ist. Das sollte nicht unmöglich sein, denn immerhin konnte der digital gedrehte Film dank der Berlinale im 35mm-Format vorgeführt werden.

Uta Beth

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 108-4/2006 - Interview - "Ich möchte ein Kino, das zum Fragen herausfordert"

 

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