Zum Inhalt springen

Ausgabe 108-4/2006

"Ich möchte ein Kino, das zum Fragen herausfordert"

Gespräch mit Joel Palombo, Regisseur, Drehbuchautor und Produzent des indischen Spielfilms "Milch und Opium" / "Doodh aur Apheem"

(Interview zum Film MILCH UND OPIUM)

KJK: Wie kommt es zum Titel Ihres ersten Spielfilms? Ich meine, Opium ist klar, weil Swaroops Onkel regelmäßig Opium konsumiert. Aber wo ist die Milch?
Joel Palombo: "Die Milch symbolisiert Swaroops Jugend und Unschuld, im übertragenen Sinn aber auch die 'gute alte Zeit', die man im Englischen als 'Die Tage von Milch und Honig' bezeichnet. Mein Film thematisiert den durch die Globalisierung so rasant beschleunigten Wandel in einer industrialisierten Welt – und wenn sich etwas so stark verändert wie das heutige Indien, hat es immer negative und positive Auswirkungen. Es schmeckt bitter wie Opium, aber auch süß wie Milch und Honig."

Wie lange sind Sie jetzt schon in Indien und was hat sich seither verändert?
"Neun Jahre und in dieser Zeit ist das Leben in Neu-Delhi so anders geworden, dass ich zu meiner Mutter gesagt habe, sie muss bald kommen, wenn sie noch etwas von der indischen Kultur sehen will. Das ist natürlich überspitzt formuliert, aber ich weiß nicht, wohin das noch alles führt. Nur mal ein Beispiel: Als ich dort ankam, waren indische Frauen in westlicher Kleidung die Ausnahme, heute kann man an bestimmten Plätzen lange suchen, um überhaupt eine Frau im Sari zu finden. Und im Straßenbild überwiegen die westlichen Automarken – so wie der Van, den ich im Film fahre."

Stimmt, Sie sind ja der Typ aus Detroit, der ständig nach etwas Neuem sucht. Dabei könnte man Sie vom Aussehen durchaus für einen Inder halten.
"Ich weiß, ich bin offenbar ein Chamäleon. Manche halten mich für einen Inder, manche für einen Pakistani. Als ich in der Türkei lehrte, hat man mich für einen Türken gehalten und in Mexiko für den Sohn eines Mexikaners. Aber ich bin wirklich 1967 in der amerikanischen Autostadt Detroit geboren – mein Großvater ist aus Italien eingewandert. Mein Vater war Photograph und hat in Detroit auch an der Kunstschule gelehrt. Ich bin erstmal in seine Fußstapfen getreten und habe dann meinen Abschluss in Bildhauerei gemacht. Danach bin ich eine Zeitlang in Deutschland gewesen, in Hamburg, wo ich meine Frau kennen gelernt habe. Sie hat dort studiert und sich entschlossen, Lehrerin für visuelle Kunst zu werden. Mich hat sie überredet, das Gleiche zu tun und wir sind gemeinsam erst in die USA, dann für drei Jahre in die Türkei und anschließend nach Indien gegangen, wo ich Malen, Zeichnen und Keramik unterrichte. In den letzten vier Jahren biete ich auch Filmklassen an."

Wie sind Sie denn zum Filmen gekommen?
"Ich habe mich immer für den Film interessiert, aber an der Kunsthochschule in Detroit wurde das nicht gelehrt. Das war noch vor der digitalen Revolution. Mein erster Kurzfilm war die Dokumentation eines meiner Kunst-Happenings von 2003, 'Ranger Pujah'. Da haben wir die amerikanische Ikone des einsamen Cowboys auf einem Bild von 7,80 Metern Länge in einer Prozession zum heiligen Yamuna River getragen und dort nach dem indischen Begräbnis-Ritual der Hindus versenkt – Ranger ist ja der Cowboy und Pujah heißt in Hindi Gebet. Für mich war das ein surrealer Beitrag zum Thema Globalisierung, das auf zwei entgegengesetzte Arten gesehen und erlebt werden kann."

Da gibt es eine Parallele zum Ende Ihres Spielfilms: Während ein junger Zuschauer nach Swaroops Konzert mit Deepak Castelino, einer gelungenen Mixtur aus traditioneller indischer Sufi- und amerikanischer Country- Musik, an ein 'süßes' Happy End glaubt, entstehen beim Erwachsenen doch eine Menge 'bitterer' Fragen: Ist der Erfolg von Dauer und wohin führt eigentlich diese Begegnung Swaroop? Oder anders gefragt: Welchen Weg geht Indien?
"Ja, genau das ist mein Thema und die beabsichtigte Reaktion. Ich möchte ein Kino, das zum Fragen herausfordert, will mich selbst in den kulturellen Dialog einmischen. Das sage ich auch immer meinen Studenten: Konsumiert nicht nur, seid nicht so passiv, sondern produziert selbst etwas, nehmt teil am Diskurs! Nach indischer Kino-Tradition wäre übrigens ein tragisches Ende für meinen Film das Normale, aber ich wollte auch Hoffnung ausstrahlen, denn die Wahrheit ist nie eindeutig 'süß' oder 'bitter'."

Können Sie uns etwas über die Sufi-Musik erzählen, die Ihr Film uns so nahe bringt? Und was genau sind die Manganyar?
"Die Manganyar sind eine Kaste von Sufi-Musikern, die hauptsächlich aus der Gegend von Jaisalmer kommen – der Name heißt so viel wie 'einer der bettelt'. Fast alle von ihnen sind zum Islam übergetreten, aber wie einst ihre Vorfahren an den Höfen der Könige singen sie die traditionellen Hindi-Lieder. Die Sufis glauben, dass sie durch Musik, Dichtung und Kunst in Verbindung mit Gott treten können. Und so singen und tanzen sie, pilgern von Ort zu Ort, leben von den Almosen jenseits der Straße und dem Geld, das sie für Ihre Darbietungen einsammeln können. Das hat schon etwas Romantisches und für uns ganz Unzeitgemäßes. Die Sufis sind sehr tolerant, sie glauben, dass es viele Wege zu Gott gibt, und das ist wunderbar.
Am Schrein des Sufi-Heiligen Hazrat Nizamuddin in Neu-Delhi z. B., wo wir das Live-Konzert aufgenommen haben, sind die Hindi ebenso willkommen wie die Buddhisten und Christen. Man sollte im Westen nicht vergessen, dass es im Islam ganz viele Spielarten gibt, und der Sufismus verkörpert die mystische Seite des Islam. Übrigens sind alle Musiker in dem Film Muslime, die Hindi-Texte singen."

Wie haben Sie sie denn gefunden?
"Als ich beschloss, einen Film über diese besondere Musik zu drehen, habe ich mir etliche Konzerte angehört und dabei auch den 14-jährigen Swaroop Khan erlebt. 'Mensch, ist der gut', habe ich gedacht, er singt und spielt nicht nur fabelhaft, er sieht auch noch gut aus und hat viel Charisma. Nach dem Konzert bin ich hinter die Bühne gegangen und habe ihn für den Film interessiert. Deepak Castelino ist ein bekannter Gitarrist und Banjo-Spieler – der Amerikaner tritt hauptsächlich in Neu-Delhi auf. Als ich ihm mein Konzept der Mixtur aus Sufi und Country&Western-Musik vortrug, rechnete ich damit, dass er mich für verrückt erklärt. Aber er sagte nur: 'Ja, ich kenne diese Leute und denke, das könnte klappen.' Er hat dann auch alle Songs geschrieben. Manjoor Khan wiederum ist einer der bekanntesten jungen Manganyar-Trommler und Mohamad Khan mit seiner wunderbaren Stimme ist überall auf der Welt aufgetreten. Er hat uns auch geholfen, die Musiknummern zu koordinieren.
Die meisten Probleme hatten wir mit dem Onkel. Auch dafür hatten wir einen tollen, dynamischen Musiker, aber gerade, als es mit dem Film losgehen sollte, wurde er für ein Konzert nach Spanien verpflichtet. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, habe mit vielen Manganyar Musikern gesprochen und Probeaufnahmen gemacht. Nizam Khan – ja, sie heißen alle Khan, sind aber nicht miteinander verwandt – haben wir zwei Tage vor Beginn der Dreharbeiten schließlich in Jaisalmer gefunden."

Wie viel Zeit hatten Sie?
"Insgesamt 23 Tage, was extrem wenig ist. Ich hatte ja nur meine Ferien zur Verfügung. Abgesehen davon, dass ich im letzten Augenblick das Script für Nizam umschreiben musste, hatten wir mit der Wüstenhitze zu kämpfen. Nachts war es wunderbar – es war ziemlich kalt, wir haben draußen geschlafen, der Wind fuhr durch unsere Haare, die Sterne blinkten. Tags aber war es höllisch heiß und so windig, dass überall in unser Equipment Sand kam und wir keinen Ton aufnehmen konnten. Ich wollte aber kein Playback und so haben wir versucht, in Innenhöfen zu drehen, auch wenn die Sandstürme in der Wüste traumhaft schön sind. Die Dreharbeiten waren wirklich ein Abenteuer."

Haben Sie eigentlich Vorbilder?
"Als unabhängiger Filmemacher ohne Budget orientiere ich mich am italienischen Neo-Realismus, vor allem an Fellini, ich mag Mohsen Makhmalbaf, überhaupt die Symbol-Sprache der iranischen Filmregisseure, die unaufwändig mit geringen Budgets sehr kreativ arbeiten und tolle Geschichten erzählen. Ja, und ich liebe 'Grizzly man' von Werner Herzog."

Mit Joel Palombo sprach Uta Beth

 

Permalink für Verlinkungen zu dieser Seite Dauerhafter, direkter Link zu diesem Beitrag


Filmtitel - "A":

 

AB DURCH DIE HECKE| DIE ABENTEUER DER KLEINEN GIRAFFE ZARAFA| DIE ABENTEUER DES BURATTINO| DIE ABENTEUER DES HUCK FINN| DIE ABENTEUER DES PRINZEN ACHMED| DIE ABENTEUER VON HUCK FINN| DIE ABENTEUER VON PICO UND COLUMBUS| DIE ABENTEUER VON TIM UND STRUPPI – DAS GEHEIMNIS DER EINHORN| ABGEROCKT| ABOUNA| DIE ABRAFAXE – UNTER SCHWARZER FLAGGE| ACHTZEHN – WAGNIS LEBEN| ADIEU PAPA| AFTERSCHOOL| AIR BUD – CHAMPION AUF VIER PFOTEN| ALABAMA MOON| ALADDIN| ALADINS WUNDERLAMPE| ALAN UND NAOMI| ALASKA| ALASKA.DE| DER ALBANER| ALFIE, DER KLEINE WERWOLF| ALI ZAOUA| ALICE IM WUNDERLAND| ALICE IN DEN STÄDTEN| ALIENS IN COLORADO| ALLE KINDER DIESER WELT| ALLEIN IN VIER WÄNDEN| ALLERLEIRAUH| ALLES IST MÖGLICH| ALMOST FAMOUS – FAST BERÜHMT| ALS DER WEIHNACHTSMANN VOM HIMMEL FIEL| ALS GROSSVATER RITA HAYWORTH LIEBTE| ALS HÄTTE ICH DICH GEHÖRT| AM ENDE EINES LANGEN TAGES| AM ENDE EINES VIEL ZU KURZEN TAGES| AM HIMMEL DER TAG| AME & YUKI – DIE WOLFSKINDER| AMY| AMY UND DIE WILDGÄNSE| ANASTASIA| DAS ANDERE UFER| ANDRÉ| ANNA ANNA| ANNA WUNDER| ANNE LIEBT PHILIPP| ANTBOY| ANTON| ANTONIA| DIE ARCHE IN DER WÜSTE| ARIELLE – DIE MEERJUNGFRAU| ARRIETTY – DIE WUNDERSAME WELT DER BORGER| ARTHUR WEIHNACHTSMANN| ASCHENPUTTEL – 1954| ASCHENPUTTEL – 1989| ASCHENPUTTEL – 1922| ASTERIX IN AMERIKA| ASTERIX UND OBELIX GEGEN CÄSAR| ATLANTIS – DAS GEHEIMNIS DER VERLORENEN STADT| ATMEN| ATTENBERG| AUCH SCHILDKRÖTEN KÖNNEN FLIEGEN| AUF DEM KOMETEN| AUF DEM WEG ZUR SCHULE| AUF DER JAGD NACH DEM NIERENSTEIN| AUF IMMER UND EWIG| AUF LEISEN PFOTEN| AUF WIEDERSEHEN KINDER| AUFREGUNG UM WEIHNACHTEN| DAS AUGE DES ADLERS| AUS DER TIEFE DES RAUMES| AUSFLUG IN DEN SCHNEE| DAS AUSGELASSENE TRIO UND DER GEHEIMNISVOLLE MR. X| AUSLANDSTOURNEE| EIN AUSSERIRDISCHER SOMMER| AVIYAS SOMMER| AZUR UND ASMAR|


KJK-Ausgabe 108/2006

PDF-Download Originalausgabe (PDF)

 

Anzeigen:

Einzelne Ausgaben:

Filmtitel nach Alphabet:

Zusatzmaterialien:

Volltext-Suche:

 

 


Sonderausgaben bestellen!