(Interview zum Film SWEET MUD)
KJK: Risse platzen auf über dem Titel, es ist Nacht, ein Junge liegt schlaflos im Bett, jemand fährt an hohen Zäunen entlang Patrouille und über eine Hausanlage hört man einen Säugling herzzerreißend nach seiner Mutter schreien – das ist ein düsterer Anfang an einem Ort, der sich der Gleichheit der Menschen, dem Gemeinwohl und einer besseren Zukunft verschrieben hat.
Dror Shaul: "Ja, ich zeige die Welt eines israelischen Kibbuz' der 70er-Jahre aus dem Blickwinkel eines zwölfjährigen Jungen ganz so, wie er sie erlebt: schwarz und weiß, ohne Abstufungen. Dvir wird den Kibbuz am nächsten Morgen verlassen und das wird dann am Ende des Films gezeigt, und zwar sehr heiter mit einem Hubschrauber von oben gefilmt. Für einen Film mit einem Budget von nur 1,7 Millionen Dollar eigentlich ziemlich unbescheiden, aber wir wollten den Hubschrauber unbedingt haben, um die Gefühle bis in den Himmel zu heben. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob Dvir und seine Freundin mit ihren Fahrrädern überhaupt bis zum Flughafen kommen, ob sie tatsächlich in die Schweiz gehen oder schon nach ein paar Kilometern mit einem Jeep wieder zurückgebracht werden. Wichtig allein ist die Tatsache, dass sie ihrem Kibbuz den Rücken kehren und die Zuschauer ihre erste mündige Entscheidung nach der Bar Mizwa nachvollziehen können.
'Sweet Mud' ist aber kein Film über die Kibbuzim. Vielmehr erzählt er von einer nicht funktionierenden Mutter-Sohn-Beziehung vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die auch nicht funktioniert. Meist werden die Kinder ja vor den Anforderungen der Gesellschaft durch die Eltern behütet, hier schützt das Kind seine psychisch kranke Mutter vor der Gesellschaft und die erwartet das auch noch von ihm. Das kann nicht gut gehen."
Beruht der Film auf eigenen Erfahrungen?
"Ja, ich bin in Kissufim aufgewachsen, einem Kibbuz, der 1950 nur wenige Kilometer von der israelischen Grenze zum Gaza-Streifen gegründet wurde. Ich bin dort 1971 geboren und wie die anderen Kinder auch mit wenigen Wochen in ein Kinderhaus gebracht worden. Natürlich erinnere ich mich nicht daran, dass wir unsere Eltern nur wenige Stunden am Nachmittag hatten, dass wir nachts immer allein waren und nicht sofort gestillt, gewiegt und getröstet wurden. Aber wir alle, die so aufgewachsen sind, wissen, dass uns etwas gefehlt hat. Wir leiden noch heute darunter, ob uns das nun bewusst ist oder nicht. In der Hinsicht sind wir Opfer einer Gesellschaft, die unsere Eltern und Großeltern unter großem persönlichem Einsatz mit Idealismus und viel Engagement aufgebaut haben. Die Kinderhäuser wurden ja eingerichtet, um Frauen die gleichen Chancen wie den Männern zu geben. Das war ein Fehler und auch die Idee der Gleichheit erwies sich als Illusion, denn für die Schwachen ist ein Kibbuz wirklich kein idealer Platz. Nach einem finanziellen Einbruch und einer tiefen sozialen Krise Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre hat sich das Leben in den Kibbuzim radikal verändert: Die Kinderhäuser wurden aufgelöst, das Gemeineigentum abgeschafft – und ob ein Freund für zwei oder drei Wochen zu Besuch kommen darf, wird seitdem auch nicht mehr auf der Vollversammlung entschieden."
Sie haben "Sweet Mud" Ihrer Mutter gewidmet. Was an dieser Geschichte ist autobiografisch?
"Nun, im Ablauf ist nichts so passiert, wie es im Film erzählt wird. Doch auch mein Vater starb, bevor ich ihn kennen lernen konnte, und meine Mutter war ebenfalls psychisch labil. Beide waren mal sehr stark und erfolgreich, sie gehören zu den Gründern von Kissufim, aber es gab einige Todesfälle und diese familiäre Tragödie hat nicht nur ihr, sondern auch das Leben von meinen beiden älteren Brüdern und mir belastet."
Aber Sie sind nicht weg gegangen?
"Nein, ich habe Kissufim erst nach meinem Militärdienst verlassen. Dann bin ich nach Tel Aviv gezogen und habe bei verschiedenen Filmprojekten als Produktionsassistent, als Drehbuchautor und für die Werbung gearbeitet. 'Sweet Mud' ist mein dritter Spielfilm."
Wie hat man darauf in Israel reagiert?
"Natürlich waren wir unsicher, wie der Film bei uns ankommen würde. Deshalb haben wir dieses Projekt, dessen Drehbuch im Rahmen von Workshops des Sundance Film Festivals entstanden ist, lange geheim gehalten. Zumal ich nach meinem zweiten Film, einer Satire über den Rassismus innerhalb der israelischen Gesellschaft, von der Kritik in Grund und Boden verdammt und von vielen aufgefordert wurde, für immer mein Land zu verlassen. Aber 'Sweet Mud' wurde in Israel ein Riesen-Erfolg. Nicht nur, dass er 2006 als bester Film in vier Kategorien von der Israelischen Film Akademie ausgezeichnet und offiziell für den Oscar nominiert wurde, er hat auch die Leute in meinem Kibbuz angerührt. Vor der Uraufführung bin ich nämlich damit nach Kissufim gefahren. Ich wollte, dass die Leute meinen Film dort zuerst sehen und zwar mit mir im Raum. Aber ich habe mich für den Fall, dass man uns steinigen würde, dorthin von einer Fernsehcrew begleiten lassen. Wir wurden jedoch überrascht: Die Leute haben sich mit der Geschichte total identifiziert, sie waren erschüttert und weinten sogar. Innerhalb der Kibbuz-Bewegung, die inzwischen reif für die Kritik ist, hat der Film zu einer großen Umarmung geführt. Es gab dazu auch viele Internet-Storys von Leuten, die geschrieben haben: 'OK, es hat lange gedauert, bis jemand den Mut hatte, die Dinge beim Namen zu nennen, und nun ist es raus.' Die Reaktion ist also erstaunlich positiv.
Vor ein paar Wochen hat man in Kissufim sogar ein Filmfestival veranstaltet und von mir neben 'Sweet Mud' auch meinen ersten Fernseh-Film 'Operation Grandma' aufgeführt, eine Farce über drei Brüder, die ihre tote Oma aus der Stadt zur Beerdigung in ihr Kibbuz überführen. Da saß ich nun an einem verregneten Winterabend wieder im Speisesaal von Kissufim und hatte ein ganz eigenartiges Gefühl, weil ich daran denken musste, dass meine Mutter immer wieder gesagt hat, eines Tages würde sie ein Buch schreiben, die ganze Welt würde noch von ihr hören. Je mehr es mit ihr bergab ging, desto hartnäckiger hat sie das wiederholt. Für mich klang das furchtbar pathetisch, es machte mich damals nur traurig. Aber auch im wirklichen Leben können Wunder geschehen: Heute erzähle ich von ihr nicht nur in Israel, sondern auf Festivals in der ganzen Welt, in Tokio, Toronto, Pusan (Korea), Sundance – dort wurde der Film mit dem 'World Cinema Jury'-Preis ausgezeichnet – und jetzt hier in Berlin!"
Was können Sie uns über Ihren Hauptdarsteller erzählen?
"Wenn ein Regisseur etwas aus seinem Leben erzählt, ist es immer sehr schwer, die Hauptrolle zu besetzen, weil es natürlich etwas darüber aussagt, wie er sich selbst sieht. Ich habe eigentlich mehr nach einem Jungen gesucht, der weniger hübsch, weniger zart war, mehr nach einem Kind, dem man ansieht, dass es schon einiges im Leben durchgemacht hat – eher ein Straßenkind mit Narben im Gesicht. Wir haben uns insgesamt 1500 Jungen angeguckt und Tomer überzeugte uns mit seinem großen Talent, seiner ganzen Persönlichkeit. Er hat das, was man sense memory nennt, und das ist ein Geschenk für jeden Regisseur. Er kann sich nämlich durch die Erinnerung an einen Geschmack, ein Bild oder bestimmte Farben in eine emotionale Stimmung bringen und diese Gefühle immer wieder neu abrufen. Er konnte buchstäblich alles spielen und 20 Minuten später den gleichen oder womöglich besseren Take noch einmal. Von ihm ging ein Zauber aus, der uns alle dahin schmelzen ließ.
Danach haben wir seine Filmmutter gesucht und in Ronit Yudkevitch gefunden, einem sehr bekannten Model bei uns. Dies war ihre zweite Filmrolle und es war wunderbar, mit ihr und Tomer zu arbeiten, weil die beiden sich während der Dreharbeiten immer näher gekommen sind. Ich glaube, die Harmonie zwischen den beiden ist ein Teil des Erfolgs von 'Sweet Mud'."
Was ist an Modder oder Schlamm eigentlich süß? Bitte sagen Sie uns etwas zum Titel.
"Gern. Der hebräische Titel setzt sich zusammen aus 'Adama': Erde und 'meshuga'at': verrückt. Das ist ein starker Ausdruck für etwas, das es eigentlich nicht geben kann, weil eine Substanz nicht verrückt sein kann. Aber Adama hat noch viel mehr Bedeutungen, darin steckt Adam, der erste Mensch, auch Dam: Blut. Außerdem gibt es noch eine Beziehung zu Ima: Mutter. Der hebräische Titel wirft die Frage auf, ob der Ort krank ist oder die Mutter. Im Englischen käme so was wie 'Crazyland' oder'crazy motherland' raus, aber das deckt nicht ab, was gemeint ist. Auf 'sweet mud' hat mich eine iranische Dichterin gebracht. Das ist eine sehr poetische Übersetzung, aber zugleich auch ein bei uns ganz geläufiger Slangausdruck für einen türkischen Kaffee mit Zucker. Mud wegen des Satzes, der in der Tasse zurückbleibt. Wenn man also an den bittersüßen Kaffeesatz denkt, ist 'Sweet Mud' sogar der bessere Titel, weil er alles abdeckt: die Süße der kindlichen Hoffnungen und die Bitterkeit, die das Leben für jeden Menschen bereithält."
Warum geht Miri eigentlich nicht mit Stephan und den Kindern fort?
"In Israel wird diese Frage meist von Männern gestellt. Die Frauen fragen niemals, sie sagen: Sie kann gar nicht gehen, man würde sie einfach nicht fort lassen. Beim Schreiben haben wir viel Zeit damit zugebracht, zu entscheiden, wie viele Informationen wir den Zuschauern geben. Wir haben also absichtlich offen gelassen, warum Dvirs Mutter krank geworden ist, warum sein Vater Selbstmord begangen hat und warum Miri bei Dvirs letzter Bar Mizwa-Prüfung einen Nervenzusammenbruch bekommt – ich möchte dazu auch nichts nachträglich sagen. Wir wollten Dvir und die Zuschauer nur wissen lassen, dass es eine Version seiner Familien-Geschichte gibt, die im Kibbuz nicht erzählt wird. So beschäftigt man sich damit vielleicht noch, wenn der Film längst zu Ende ist."
Mir scheint, der israelische Film ist im Wandel begriffen. Stimmt dieser Eindruck und haben Sie schon neue Projekte?
"Die israelischen Filmemacher haben angefangen, mehr persönliche Geschichten zu erzählen – es gibt weniger Filme über, sagen wir mal, eine palästinensische Frau, die sich in einen israelischen Soldaten verliebt. Damit sind wir auf einem guten Weg und ich zähle mich mit Stolz zu dieser neuen israelischen Welle. Ich habe zwei neue Film-Projekte, die ich in Israel drehen will. Durch 'Sweet Mud' habe ich ja mehr berufliche Kontakte weltweit gewonnen, z. B. auch in Los Angeles. Ich bekomme von dort Drehbücher angeboten und natürlich möchte ich auch woanders einen Film machen, aber im Moment plane ich meine Zukunft in Israel. Auch wenn das Land sehr klein und es sehr schwer ist, die Finanzierung für einen Film zusammen zu bekommen."
Interview: Uta Beth
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