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Ausgabe 113-1/2008

MAN IN THE CHAIR

Produktion: Elbow Grease Pictures; USA 2006 – Regie und Buch: Michael Schroeder – Kamera: Dana Gonzales – Schnitt: Terry Cafaro – Musik: Laura Karpman – Darsteller: Christopher Plummer (Flash Madden), Michael Angarano (Cameron Kincaid), M. Emmet Walsh (Mikey Hopkins), Robert Wagner (Taylor Moss), Tracy Walter (Mr. Klein), Joshua Boyd (Murphy White), Mimi Kennedy (Mama Kincaid), Mich Pileggi (Floyd) u. a. – Länge: 107 Min. – Farbe und s/w – Weltvertrieb: Shoreline Entertainment, Los Angeles, Fax +1-310-2010729, e-mail: mruskin@slefilms.com, Altersempfehlung: ab 16 J.

Wie wird man Regisseur, wie zum "Mann auf dem Stuhl"? Der 17-jährige Film-Enthusiast Cameron Kincaid weiß nur, dass er während der Weihnachtsferien einen guten Film machen muss, wenn er ein Stipendium an der Filmschule von Los Angeles gewinnen will. Mit welcher Geschichte und wie er das überhaupt bewerkstelligen soll, steht in den Sternen. Denn eigentlich hat Cameron nur Schwierigkeiten: mit den Klassenkameraden, seinem Stiefvater und auch mit den Gesetzeshütern, die ihn wegen Autodiebstahls für eine Nacht hinter Gitter bringen. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg – und so klemmt sich Cameron hinter den meist betrunkenen Flash Madden, der ihm durch seine witzigen, sachkundigen und aggressiven Kommentare in seinem Stammkino aufgefallen ist. Er verfolgt den wie ein "Penner" aussehenden Mann bis in die komfortable Senioren-Residenz für Hollywoods ehemalige Filmgrößen. Dort lebt Flash, denn er war früher ein bekannter Mann. Angefangen hat er als Beleuchter bei Orson Welles, als der 1941 seinen legendären Film "Citizen Kane" gedreht hat. Er ist der einzige, der von diesem Team noch am Leben ist. Für eine kubanische Zigarre pro Tag und einen Bourbon jeden zweiten erklärt er sich bereit, Cameron bei der Verwirklichung seines Traumes behilflich zu sein.

Dem Jungen schwebt eine Geschichte mit fliegenden Skatern und Motorrädern vor, aber Flash merkt sofort, dass da jemand unbedingt einen Film machen will, aber keine Vorstellung hat, was er eigentlich erzählen will. Also bringt er ihn zu seinem alten Freund Mikey, einen ehedem berühmten Drehbuchautor. Doch diese Begegnung wird für den Jungen ein Schock: Mikey vegetiert in einem verwahrlosten, schmutzigen Krankenhaus-Appartement, von Betreuung keine Spur. Cameron ist so entsetzt, dass er tatsächlich mal einen Abend zu Hause verbringt und sich im Internet über die miserable Lebens-Situation alter Leute in den USA sachkundig macht. Danach beschließt er, genau diese Missstände zum Thema eines dokumentarischen Kurzfilms zu machen. Mikey aber macht beim nächsten Besuch einen Rückzieher, er traut sich ein Buch nicht mehr zu. Während Flash in seiner Senioren-Residenz eine Crew zusammenstellt, nimmt Cameron Mikey mit in die Bibliothek, zeigt ihm am PC, wie man "googelt" und dass seine Lebensleistung keineswegs vergessen ist. Mit neuer Kraft macht der sich nun an die Arbeit, Flash aber ist von dem neuen Thema gar nicht angetan. Kein Mensch interessiere sich für hilflose alte Leute, um sie schere man sich genauso wenig wie um die herrenlosen Hunde, die täglich in LA eingefangen und getötet würden. Auch das eigenmächtige Vorgehen von Cameron macht Flash wütend – vom Whisky benebelt, bläst er schließlich den ganzen Film ab.

Damit enttäuscht er nicht nur den Jungen, sondern die alten Schauspieler, Maskenbildner, Cutter und Kameraleute, die sich durch sein Projekt plötzlich wieder lebendig fühlten. In einer heftigen Auseinandersetzung wirft Cameron Flash an den Kopf, dass er bloß ein versoffener, zynischer und verbitterter alter Mann sei, der sich einen Teufel um andere schere und nur um sich selber drehe. Beide, der junge und der alte Außenseiter, machen eine tief greifende Verwandlung durch und es gibt noch etliche spannende und Herz zerreißende Geschehnisse, bis Cameron zum guten Ende tatsächlich der "man in the chair" wird.

Das Buch hat Regisseur Michael Schroeder selber geschrieben, ein Amerikaner Jahrgang 1952, der schon etliche Filme, darunter mehrere Thriller und Science-Fiction-Produktionen, gemacht hat. Und in jeder Szene spürt man: Hier hat ein Profi all seine Liebe – übrigens auch seinen Besitz – in eine Hommage an das klassische Kino gesteckt, diese mit seinem Glauben an das Gute im Menschen und einer gehörigen Portion Sozialkritik veredelt und zu einer ebenso humorvollen wie unterhaltsamen Mixtur verarbeitet, die zwischen generationsübergreifendem Drama und Komödie angesiedelt ist. Das ist in der Dramaturgie ein wenig unausgewogen, beschert einem im Ganzen gesehen aber ein Kino-Erlebnis, bei dem viele Szenen sich in die Erinnerung eingraben. Mit großem Respekt und menschlicher Wärme erinnert Schroeder an die Menschen, die mit ihrer Arbeit zum "goldenen Zeitalter" des amerikanischen Films beigetragen haben. Mit Szenen aus Filmen von Welles, Hawks oder Hitchcock erinnert er an die Klassiker, was einen reizvollen Kontrast bildet mit den oft mit der Handkamera gedrehten Außenaufnahmen, die den jungen Leuten vertraut sind aus ihren mit dem Handy gedrehten Sequenzen. Und er legt die Missstände bloß, die eine Gesellschaft produziert, die sich nur um sich selbst dreht und den Kontakt zu den alten Menschen verloren hat.

Getragen wird der Film von dem wunderbar eindringlichen Christopher Plummer in der Rolle von Flash. Unvergesslich sein Gang, seine knappe Sprache, das Gesicht, das alle menschlichen Regungen spiegelt. Und wenn er das Geschehen auf der Leinwand kommentiert mit den Worten: "Charlton Heston spielt einen Indianer!" oder "Man sollte sich niemals in kurzen Hosen zeigen!", dann ist damit schon alles gesagt. Ihm zur Seite stehen fabelhafte Schauspieler wie M. Emmet Walsh als Drehbuch-Autor, der mit kindlicher Freude die Internet-Welt entdeckt und wieder aufblüht, als er gebraucht wird, und Robert Wagner als smarter, mächtiger Großproduzent, der das Geld für den Film rausrückt, weil er Flash einst die Frau abspenstig gemacht hat. Sein glaubwürdiger junger Gegenspieler Michael Angarano verfügt über ein jugendliches Talent mit einer durchaus komischen Ausstrahlung. Doch der über 80-jährige Christopher Plummer überragt alle und hat sich mit dieser Rolle selbst ein Denkmal gesetzt. Es verwundert nicht, dass er von Anfang an hinter Schroeders Projekt stand und er für diese Rolle bereits für den Oscar vorgeschlagen wird.

"Man in the chair" ist im Dezember 2007 in Amerika angelaufen. Er war inzwischen auf vielen Festivals zu sehen und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet: als bester amerikanischer Independent Film, für das Schauspieler-Team, für Plummer als besten Schauspieler, für die Regie und das Drehbuch. Hoffen wir, dass der Film, der bei der Berlinale 2007 im Programm von 14plus vorgestellt wurde, auch in unsere Kinos kommt.

Uta Beth

 

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