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Ausgabe 115-3/2008

MEINE MUTTER, MEIN BRUDER UND ICH!

Produktion: d.i.e. film / Burkert Bareiss Development / Arte / BR; Deutschland 2007 – Regie und Buch: Nuran David Calis – Kamera: Helmut Pirnat – Schnitt: Nikola Gehrke – Musik: Martin Kälberer – Darsteller: Erhan Emre (Areg), Lida Zakaryan (Maria), Kurt Onur Ipekkaya (Garnik), Mira Bartuschek (Lilly), Corinna Harfouch (Susanne), Stefan Hunstein (Arzt), Peter Fitz (Pfarrer) u. a. – Länge: 102 Min. – Farbe – FSK: ab 6 – Verleih: Movienet – Altersempfehlung: ab 14 J.

Ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft, ohne Wurzeln ist ein Leben nicht möglich. Doch die Einsicht ist ein schmerzhafter Lernprozess für den 23 Jahre alten Areg, der als Zehnjähriger mit seinen Eltern aus Armenien nach Deutschland geflohen ist. Seine Mutter ist hier sowieso nie angekommen. Deutsch spricht sie so gut wie gar nicht, schreiben kann sie angeblich auch nicht. Selbst wenn dies ein stiller Betrug ist, wie sich später rausstellt: Als Maria spürt, dass das Ende naht, beschwört sie Areg, sie in ihrer Heimat zu begraben. Also buddelt er bei Nacht und Nebel die Urne seines verstorbenen Vaters aus und bringt die Mutter gemeinsam mit seinem kleinen Bruder in den Kaukasus.

Es ist eine scheinbar einfache und selbstredend autobiografisch gefärbte Geschichte, die Nuran David Calis, in Bielefeld geborener Sohn armenisch-jüdischer Einwanderer aus der Türkei, in seinem ersten Spielfilm erzählt. Und doch ist sie weitaus komplizierter, als die Handlung klingt. Natürlich ist Areg, von Erhan Emre eindringlich verkörpert, Repräsentant aller Entwurzelten, die ein Leben zwischen den Kulturen führen: weil sich zwei Seelen in ihrer Brust darüber streiten, wo ihre Heimat ist. Areg muss irgendwann einsehen, dass es keine Zukunft ohne Herkunft gibt. Katalysator dieser Erkenntnis ist seine Freundin Lilly. Auch wenn Calis' Botschaft etwas schlicht klingt, so bringt sie Aregs Dilemma doch auf den Punkt: "Wenn du mit dir selbst nicht im Reinen bist, bist du auch nicht bereit für die Liebe". Ohnehin inszeniert der junge Regisseur, der vor seinem Regiedebüt diverse Theaterstücke geschrieben und inszeniert hat, ungleich beschwingter, als es das erdenschwere Thema nahe legt. Garant dafür ist der junge Mittler zwischen den Welten: Aregs kleiner Bruder Garnik ersetzt der immer stärker unter ihrer Zuckerkrankheit leidenden Mutter, die zu erblinden droht, Augen und Ohren. Dank seiner Freundschaft zu einem armenischen Geistlichen ist Garnik ungleich offener für Marias Sehnsucht als Areg. Außerdem träumt er davon, im Heimatdorf der Eltern einen sagenhaften Goldschatz zu finden. Dass diese Ebene des Films so gut funktioniert, hat Calis ohne Frage dem mittlerweile 13-jährigen Kurt Onur Ipekkaya zu verdanken; der Junge ist ein Naturtalent. Ähnlich eindrucksvoll agiert die Armenierin Lida Zakaryan. Kontrapunkt zum Heimatthema ist Aregs Werdegang als Filmemacher. Vergeblich bewirbt er sich mit einem Kurzfilm an der Filmhochschule und landet schließlich bei einer Produktionsfirma, aufgrund eines Missverständnisses beim Vorstellungsgespräch allerdings zunächst als Putzmann. Es dauert eine Weile, bis die trinkfreudige Produzentin die wahren Talente des jungen Mannes entdeckt.

Ganz entscheidend für die Wirkung des Films ist auch seine Ästhetik oder richtiger gesagt: der Verzicht auf jeden Schnickschnack. Das war vermutlich auch eine Frage des Geldes, doch Calis macht eine Philosophie daraus. Die Bildgestaltung von Helmut Pirnat ist betont ruhig, fast gelassen, die Schnittfrequenz steht in bewusstem Kontrast zur hektischen Clipkunst. Das verleiht dem Film eine gewisse Zeitlosigkeit, die Aregs Wurzelsuche ungleich angemessener ist als eine unruhige Handkameraarbeit.

Tilmann P. Gangloff

 

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KJK-Ausgabe 115/2008

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