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Ausgabe 115-3/2008

DER ROTE ELVIS

Produktion: totho film; Deutschland 2007 – Regie und Buch: Leopold Grün – Kamera: Thomas Janze – Schnitt: Dirk Uhlig – Musik: Monomango, Oliver Fröhlich, Jan Weber – Länge: 94 Min. – Farbe – FSK: ab 6 J. – Verleih: Neue Visionen – Altersempfehlung: ab 14 J.

Im Westen kannte niemand den 1938 auf einer Hühnerfarm in der Nähe von Denver-Colorado als Sohn eines Mathematiklehrers und einer Hausfrau geborenen Dean Reed, dessen Leichnam 1986 in Ostberlin aus dem Zeuthener See geborgen worden war. Im Osten war er zu Beginn des neuen Jahrtausends weitestgehend vergessen. Umso erstaunlicher erschien dann die Nachricht, dass Tom Hanks zu Recherchen wegen dieses Dean Reed in Deutschland weilt und unabhängig davon der 1968 geborene Dokumentarfilmregisseur Leopold Grün eine filmische Spurensuche zu dessen Person plant. Vom Fortgang des Projekts des Oscarpreisträgers ("Forrest Gump") hörte man seither nicht mehr viel. Dafür hatte Grüns Dokumentation 2007 im "Panorama" der Berliner Filmfestspiele ihre Erstaufführung und danach einen viel beachteten Start in den deutschen Kinos.

Es sind zwei Motive, die Leopold Grün an der Lebensgeschichte Dean Reeds offenbar besonders interessiert haben. Zum einen die Frage nach politischen Hintergründen, die vor nicht allzu langer Zeit Menschen die Gewissheit geben konnten, dass sie unter einer bestimmten ideologisch geprägten Idee bei entsprechendem Einsatz die Welt von ihren Übeln erlösen könnten. Zum anderen kulminieren in der Figur des Dean Reed auch alle Konflikte eines tragisch gescheiterten Künstlers, der einiges konnte, immer mehr wollte, nirgendwo außergewöhnlich war und der sich in diesem Spannungsfeld zerrieb. Hier Brüche aufzuzeigen, Widersprüche zu hinterfragen und Kausalitäten sichtbar zu machen, das war die große Herausforderung, der sich der Film in erster Hinsicht stellte. Leopold Grün erzählt seine Geschichte ausschließlich über Originaldokumente und Aussagen von Zeitzeugen. In der entsprechenden Auswahl steckt natürlich zunächst der subjektive Blick des Autors und Regisseurs, doch er hält dabei soviel Abstand zu seinem Gegenstand, dass ausreichend Freiräume bleiben, damit der Zuschauer eigene Interpretationen und Wertungen finden kann.

Bei Recherchen in den USA traf Grün eine Exilrussin, die Dean Reed persönlich gar nicht gekannt hatte, die aber die Grabstelle, wohin Reeds Mutter dessen Urne nach der Maueröffnung überführt hatte, völlig selbstlos pflegt. Sie tue dies, weil der Sänger einst in der Sowjetunion so vielen Menschen große Freude bereitet hätte. Parallel kommt ein Radiomoderator in Denver zu Wort, der über Reed als den großen Vaterlandsverräter spricht. Der Regisseur Will Roberts, der bereits 1985 einen Dokumentarfilm über Dean Reed gedreht hatte, stellt seine Sicht der Dinge dar. Er erzählt sehr sachlich und abwägend, wie er seinen Landsmann damals erlebt hat. Roberts hat auch wichtiges Filmmaterial zur Verfügung gestellt. Darin kann man Reed als glühenden Protestsänger inmitten chilenischer Bergarbeiter erleben. Grün reiste auch nach Chile, wo sich sowohl Isabel Allende Bussi, die Tochter des einstigen chilenischen Präsidenten, als auch Bergarbeiter und Musikproduzenten begeistert an den "Yankee" erinnerten, der sie so leidenschaftlich im Kampf gegen die Diktatur unterstützt hatte und in dem sie das Bild eines anderen Amerikas verkörpert sahen. Der Individualität des Künstlers näher kommen aber die Stimmen Armin Mueller-Stahls und der DEFA-Regisseure Celino Bleiweiß und Günter Reisch, aus dessen Archiv spektakuläre Privataufnahmen in den Film montiert worden sind. Hierbei stellt sich immer wieder die Frage, was hat Reed in den abgezäunten Mikrokosmos DDR getrieben? Es war die Sucht nach Harmonie, der Wunsch nach Geborgenheit für jemanden, der enge Bindungen nicht aushalten konnte und es war auch die trügerische Verlockung, als Einäugiger unter den Blinden ein König sein zu können. Bleiweiß inszenierte 1973 mit Dean Reed in der Hauptrolle die Eichendorf-Adaption "Aus dem Leben eines Taugenichts". In dieser Rolle findet sich die eigentliche Persönlichkeit des getriebenen Amerikaners weitaus markanter wieder, als in all den bemüht politisch korrekten "Western" aus den Babelsberger Studios, in denen er so gern den guten Cowboy gegeben hatte. Ein verträumter "Taugenichts", der ohne sich festlegen zu wollen, partiell auf der Glückssuche ist und dabei allenthalben Bewunderung findet. Hannelore Elsner, die in diesem Film ihre erste und einzige DEFA-Rolle spielte, erinnerte sich jüngst in einem Gespräch, dass sie diesen Taugenichtsdarsteller damals eigentlich schon viel zu alt fand. Damit hat sie indirekt eines der Hauptprobleme des Spätromantikers Reed angesprochen. Er weigerte sich, die Vergänglichkeit der Dinge, einschließlich seine eigene, anzuerkennen. Das macht Leopold Grüns Film insbesondere in den Gesprächen mit dessen früherer Frau Wiebke Reed und seiner langjährigen Geliebten Maren Zeidler deutlich. Renate Blume, die letzte Ehefrau Reeds, kommt im Film leider nicht selbst zu Wort. Sie hat die Rechte an ihren Erinnerungen an Tom Hanks verkauft.

Leopold Grüns Film regt jene, die im Osten den Sänger und Schauspieler Dean Reed kannten, zum Nachdenken über eigene Lebensbrüche an. Er ist für jene im Westen, die ihn nicht kannten, eine interessante Entdeckung, da Reed mit dem Experiment in den realen Sozialismus zu gehen, etwas unternommen hat, wovor mancher Sympathisant der Idee sich wohlweislich hütete. Gleichzeitig macht der Film deutlich, wie eng die jüngste Geschichte trotz "eisernen Vorhangs" miteinander verwoben ist. Vor allem aber ist der Film eine spannende Auseinandersetzung mit individuellen, sozialen und gesellschaftlichen Visionen und Risiken, die jemand eingeht, der versucht, geltende Konventionen zu durchbrechen.

Klaus-Dieter Felsmann

 

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