Produktion: Fuoricampo; Italien 2008 – Regie: Attilio Azzola – Buch: Attilio Azzola, Mario Nuzzo, Beba Slijepcevic – Kamera: Valerio Ferrario, Selene De Rui – Schnitt: Massimo Sbaraccani, Attilio Azzola – Musik: Mauro Buttafava, Gipo Gurrado, Mell Morcone – Darsteller: Roisin Grieco, Amine Slimane, Antonio Somella, Manuel Ferreira, Maria Pietroleonardo, Maria Teruzzi u. a. – Länge: 93 Min. – Farbe – Kontakt: Fuoricampo Milan, e-mail: eridanio@hotmail.com – Altersempfehlung: ab 12 J.
Der Film ist das in vieler Hinsicht bemerkenswerte Ergebnis eines sich über ein Jahr erstreckenden Film-Workshops, den der italienische Regisseur und Autor Attilio Azzola mit Jugendlichen in Mailand durchführte. Entstanden ist ein Spielfilm über das Lebensgefühl italienischer Jugendlicher von heute: realistisch, ausdrucksstark und in der filmischen Umsetzung professionell.
Die wie ein Triptychon gegliederte Handlung stellt im ersten Teil die 16-jährige Leonora, Leo genannt, in den Mittelpunkt. Sie lebt gemeinsam mit ihrer Mutter und Großmutter. Die Frauen kommen gut miteinander aus und Leos schulisches Umfeld weist nichts Außergewöhnliches auf. Nach zehnjähriger Abwesenheit taucht plötzlich ihr Vater wieder auf. Der Bühnenstar und Theaterdozent erteilt Schauspielunterricht. Das ansonsten normal verlaufende Alltagsleben gerät durcheinander. Leo färbt sich die Haare feuerrot (wie in "Lola rennt") und meldet sich inkognito für das Seminar an, was sie aber nicht lange durchhalten kann. Bei einer Übung, bei der unterdrückte Gefühle zum Ausdruck gebracht werden sollen, bricht es aus ihr heraus und sie attackiert ihren Vater vor der Klasse. Später kommt es dann zu einer vorsichtigen Annäherung zwischen Vater und Tochter.
In der zweiten Episode ist Ali Trabelski der Protagonist, ein junger Mann tunesischer Herkunft und ein talentierter Manga-Zeichner. Sein Vater ist Gärtner und unterrichtet ihn in Flora und Botanik. Ali verehrt seine Mitschülerin Sara und nimmt zunächst über das Internet Kontakt zu ihr auf. Er versucht, sie durch seine Comics und ausgewählte Blumenarrangements zu beeindrucken. Eine sorgfältig vorbereitete reale Begegnung scheitert an der Enttäuschung von Sara, die sich ihren Helden ganz anders vorgestellt hat. Ali sucht daraufhin seinen Schicksalsschlag in der Natur zu überwinden. Er legt sich unter einen schattigen Baum und gibt sich seinen Tagträumen hin.
Um Michele Mancia, einen alten und ehrwürdigen, aber auch etwas sperrigen Professor, geht es im dritten und abschließenden Akt – im Triptychon der eigentliche Mittelteil. Hier laufen die Fäden aus den vorangestellten Bildern zusammen. Um ihr Taschengeld aufzubessern, übernimmt Leo aushilfsweise für ein paar Tage die häusliche Pflege von Michele, zu dem sie zunächst keinen guten Draht hat. Als auch noch Ali in seinem Garten auftaucht, ist der Alte sehr verärgert. Das legt sich aber bald, denn Micheles Vorliebe für Tango-Melodien überträgt sich auf die Jugendlichen und schafft eine neue, kommunikative Atmosphäre.
Später bittet Michele Leo, seiner Angebeteten – Maria – einen Liebesbrief zuzustellen, doch die Adresse erweist sich als ein heruntergekommenes Haus. Leo findet heraus, dass Maria seit Jahrzehnten nicht mehr dort lebt und die Briefe nie ihr Ziel erreicht haben. Sie existiert als junge Frau aber noch in den Erinnerungen des Alten. Leo arrangiert einen Ausflug zu einem beliebten Tango-Treff und bittet ihre Großmutter, sich als Maria auszugeben. Das Vorhaben gelingt, die beiden Alten tanzen Tango. Leo und Ali auch – in der letzten Sequenz des Films verwandelt sich diese Einstellung vom Realfilm in ein Anime, was das zentrale Thema des Films, die Liebe, mit der Leichtigkeit der Umsetzung verbindet.
"Diari" ist ansprechend und anspruchsvoll; der Film verzichtet auf die in jugendlichen Milieus oft eingesetzten anbiedernden Gags und Mätzchen. Dafür präsentiert er als Identifikationsfiguren überzeugende Charaktere, die nachhaltig erinnerlich bleiben und bietet Gesichter, die man sich merken muss – beispielsweise die Darsteller von Leo und Ali: Roisin Grieco und Amine Slimane. Im mittleren Teil des Films sieht man an der Wand im Zimmer von Ali ein Poster des Films "Caro Diario" von Nanni Moretti. Das Lexikon des internationalen Films beschreibt ihn als eine "ebenso spielerische wie verspielte Odyssee, die geprägt ist von liebenswürdiger (Be-)Sinnlichkeit und intelligentem Witz", was auf das programmatische Vorbild für Ästhetik und Dramaturgie des Films "Diari" verweist. Es ist der erste Spielfilm des 1971 in Mailand geborenen Regisseurs und wurde auf dem Festival de Cannes 2008 mit dem Grand Prix Ecrans Juniors ausgezeichnet.
Horst Schäfer
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