Produktion: d.i.e.film GmbH/Constantin Film; Deutschland 2008 – Regie: Marcus H. Rosenmüller – Buch: Marcus H. Rosenmüller, Christan Lerch, nach dem gleichnamigen Roman von Anna Maria Jokl – Kamera: Torsten Breuer – Schnitt: Georg Söring, Grit Meyer – Musik: Gerd Baumann – Darsteller: Markus Krojer (Alexander),Dominik Nowak (Maulwurf), Zoë Mannhardt (Lotte), Benedikt Hösl (Langer Gruber), Thomas Wittmann (Hugo/Heini), Paul Maria Beck (B-Karli), Brigitte Hobmeier (Alexanders Mutter), Sigi Zimmerschied (Konditor Schneider) u. a. – Länge: 103 Minuten – Farbe – FSK: ab 6 J. – FBW: wertvoll – Verleih: Constantin Film – Altersempfehlung: ab 8 J.
Winter 1931 in einer bayerischen Kleinstadt: Der Siebtklässler Alexander träumt bilderreich davon, den diesjährigen Malwettbewerb mit dem Thema "Der Beruf meines Vaters" zu gewinnen, schon um Lotte zu imponieren, in die er heimlich verliebt ist. Aber wahrscheinlich wird sein Freund Maulwurf, kluger Kopf und Erfindergeist, der die tollsten Experimente "für die Wissenschaft und Zukunft" macht, den Sieg davon tragen. Denn der hat eine sensationelle Farbe entwickelt, die strahlend weiß leuchtet – wie der Schnee, der die Straßen des Ortes bedeckt: die Perlmutterfarbe.
In der Schule herrscht Abgrenzung zwischen der A- und der B-Klasse, die sogar räumlich auf dem Gang markiert ist. Nicht, dass die Jungen persönlich etwas gegeneinander hätten ... Ausgerechnet der B-Karli hat nun ein prächtiges Buch über die Menschen der Welt, das Alexander für sein Bild braucht. Karli will es nicht hergeben. Es kommt zum Gerangel und Alexander rennt mit dem Buch – und schlechtem Gewissen – davon. Zuhause paust er einen Chinesen aus dem Buch ab und findet in seiner Schultasche das Fläschchen mit Maulwurfs Perlmutterfarbe. Durch welchen Zufall es da hineingekommen ist, weiß nur der Kinozuschauer. Wiederum durch einen Zufall fließt die Perlmutterfarbe in B-Karlis Buch. In Panik wirft Alexander den verkleckerten Prachtband ins Feuer. Und damit beginnt eine verhängnisvolle Geschichte, die Alexander immer tiefer in die Lüge verstrickt. Als am nächsten Tag in der Schule nach der Perlmutterfarbe gefahndet wird, senkt er beschämt den Blick. Und schweigt. Der lange Gruber, neu in der Klasse, hat etwas beobachtet und erpresst Alexander. Nicht einmal seiner bisher über alles geliebten Mutter kann sich Alexander anvertrauen, hat er doch gerade von ihrer großen Lebenslüge erfahren. Gruber hetzt die A gegen die B auf, bildet eine Bande, schwört sie ein: "Der Freund von meinem Feind ist Feind". Alexander ist dabei – mit tiefer Scham und Selbsthass. Doch zum Schluss überwindet er seine Feigheit und kommt ganz groß heraus ...
Marcus H. Rosenmüllers Film "Die Perlmutterfarbe", eine Geschichte über Freundschaft, Lüge und Wahrheit, basiert auf dem gleichnamigen "Kinderroman für fast alle Leute" der jüdischen Schriftstellerin Anna Maria Jokl (1911-1965), den sie 1937 im Prager Exil schrieb, kurz bevor die Nationalsozialisten auch dort die Macht übernahmen, und der auf Umwegen erst 1948 im Berliner Dietz Verlag erschien. Herausgekommen ist ein bayerischer Heimatfilm für und mit Kindern vor dem Hintergrund des heraufziehenden Nationalsozialismus. Rosenmüller hat den Zeitbezug aber nicht zum Thema gemacht: "Die Stimmung ist schon da ... Aber mir war absolut klar, dass man eben nicht irgendwo im Bild Hakenkreuze sehen muss. Ich wollte das subtiler machen."
Kleiner Held und Identifikationsfigur ist Alexander, dargestellt von Markus Krojer, der auch schon bei Rosenmüllers Debütspielfilm "Wer früher stirbt ist länger tot" die kindliche Hauptrolle spielte. Er gibt dem schlechten Gewissen ein Gesicht, man leidet mit ihm, wenn er immer tiefer in die Katastrophe schlittert. Sein Dialekt und der der anderen mitspielenden Kinder, die mit Lust und Überzeugungskraft bei der Sache sind, wird es jungen Zuschauern außerhalb Bayerns wohl schwer machen, alles zu verstehen. Der überaus sorgfältig ausgestattete Film ist reich an authentischen Schauplätzen – die stillgelegte Maxhütte zum Beispiel, wo sich die Jungen heimlich zu verwegenen Spielen treffen – und an szenischen Einfällen: Maulwurfs aufsehenerregende Erfindungen, die abenteuerlichen Experimente, die Sehnsüchte der Kinder, nach einem Stück Sahnetorte zum Beispiel. Die Erwachsenen agieren in fest umrissenen Rollen: die Furcht oder auch gute Laune verbreitenden Lehrer, die unberechenbare Bibliothekarin, der kinderfeindliche Bäckermeister Schneider, Alexanders Mama, die auch ihre Sehnsüchte hat. So entsteht ein opulenter, musikalisch einfühlsam komponierter Bilderbogen, mit traumschönen Kameraeinstellungen von poetischen Spuren im Schnee etwa oder metaphorisch loderndem Feuer. Es sind viele stimmige Einzelteile, von Marcus H. Rosenmüller mit Liebe zum Detail inszeniert, die sich jedoch nicht immer zum großen Ganzen fügen, den Film etwas überfrachten.
In literarischer Vorlage und Filmausstattung lassen sich Vergleiche mit den "Kindern aus Nr. 67" von Usch Barthelmes-Weller und Werner Meyer (1980) ziehen – beide Filme skizzieren am Beispiel eines Mikrokosmos (hier bayerische Schule, dort Berliner Hinterhaus) das Klima der 30er-Jahre, machen gefährliche Veränderungen nachvollziehbar, und insofern ist auch "Die Perlmutterfarbe" ein Kinderfilm für die ganze Familie, der Einblick in eine vergangene Zeit gibt, zugleich aber von universeller und immer aktueller Bedeutung ist.
Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 117-1/2009 - Interview - "Ich habe den Film nicht nur für Bayern gemacht!"
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