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Ausgabe 117-1/2009

"Schule, das ist mal große Komödie, mal große Tragödie"

Gespräch mit Laurent Cantet, Regisseur des Films "Die Klasse"

Interview

Die fünfte Regiearbeit von Laurent Cantet, "Entre les murs" (Deutscher Titel: "Die Klasse") hat auf den 61. Filmfestspielen von Cannes im Mai 2008 am Abend der Gala-Premiere nicht nur frenetischen Beifall und Standing Ovations erhalten, sondern gleich den nach dem US-Oscar zweitwichtigsten Filmpreis überhaupt: die Goldene Palme. Inzwischen wurde der Film, der mit einem schmalen Budget von circa 2,3 Millionen Euro produziert wurde, in über 40 Länder verkauft und lief in Frankreich im September 2008 in den Kinos an. Es ist also ein eher kleiner Film, der nahezu ausschließlich in einer Pariser Schule, in einer Klasse und dem Lehrerzimmer spielt. Ein Schauplatz nur. Ein nahezu geschlossener Ort. Ein hermetischer Mikrokosmos. Ein Kammerspiel demnach. Und, "Entre les murs", das bedeutet letztendlich auch "zwischen den Wänden", trägt die Konnotation des Eingeschlossenseins. Laurent Cantet (Jahrgang 1961), der zuvor mit Filmen wie "Vers le Sud" ("In den Süden", 2005) mit Charlotte Rampling oder "L'emploi du temps" (2001) im Kino präsent war, ist ein unbequemer Regisseur, der in seinen Arbeiten Tabu-Themen aufgreift wie vor der Familie verleugnete Arbeitslosigkeit etwa oder Sex-Tourismus betuchter älterer europäischer Damen in der Karibik. An diesen Tabus rüttelt Cantet. Es sind dabei allesamt Filme mit einem stark sozialkritischen, die Dinge hinterfragenden Blick. So wie nun auch "Entre les murs".

KJK: Monsieur Cantet, Sie haben Ihren Film überwiegend mit Laiendarstellern gedreht, und vor allem mit François Bégaudeau in der Rolle des Schullehrers. Bégaudeau ist kein Schauspieler, er war Lehrer im richtigen Leben, und er saß mit Ihnen am Drehbuch für die Verfilmung seines eigenen Romans. Nun spielt er gewissermaßen sich selbst ...
Laurent Cantet: "... Ja, das was er im Film von sich zeigt, das ist dem gewiss recht nahe, was er als Schullehrer war. Natürlich waren es dann die spezifischen Momente, die Situationen, die Dialoge, die für den Film entstanden."

Der Film lebt nicht zuletzt auch von der Ambivalenz der beidseitigen Provokationen zwischen Lehrer und einer kleinen Minderheit in der Schulklasse.
"Ich habe versucht, keine Figur zu entwickeln, die eine Art Modellcharakter hat, die perfekt ist in ihrer Form. Dieser Lehrer ist menschlich, ist human, nimmt Risiken auf sich, geht auch in seiner Provokation fast zu weit. Und so opponieren dieser Lehrer und einige der Schüler. Doch alles, was er macht, zeigt: Er ist ein Mensch."

Haben Sie jemals darüber nachgedacht, einen professionellen Schauspieler in der Rolle des Lehrers zu besetzen, oder war es von Anfang an klar, dass François Bégaudeau diese Rolle übernimmt?
"Es war von Anfang an klar, dass es ein Lehrer sein wird, der dies spielt. Vor allem auch, weil ich glaube, dass die realen Erfahrungen beider Seiten eine Bereicherung für den Film sind – seitens der Schüler und seitens des Lehrers. In Teilen beruht darauf der Film. Hinzu kommt, dass es mir wichtig war, dass ein Aspekt des Projekts die Improvisation zur Grundlage hat. Und ich glaube, dass kein Schauspieler wirklich in der Lage gewesen wäre, in dieser Improvisation wiederum so genau, so präzise zu sein. Was mich außerdem sehr interessierte, das war der sehr familiäre Blick François Bégaudeaus auf diese Methode."

Hat François Bégaudeau zuvor schon einmal gespielt?
"Er hat mit ein paar Freunden ein paar kleine Filme gemacht, in denen er auch mitspielte. Er ist im Übrigen auch jemand, der an die Kamera gewöhnt ist, da er in nicht wenigen Fernsehsendungen auftrat oder daran mitwirkt."

Als Autor hat er bis dato fünf Bücher veröffentlicht ...
"... Ja, und er ist dabei, zwei weitere zu schreiben. Und während der Zeit der Dreharbeiten befand er sich natürlich in einer Doppelrolle: Einerseits war er der Schauspieler, andererseits war er auf gewisse Weise auch mein Repräsentant innerhalb der Szenen. So trafen wir uns etwa während des Drehs immer vor Drehbeginn in einem Café in der Straße, wo sich die Schule befand, im 19. Arrondissement in Paris, und verbrachten dort eine Stunde zusammen, entwickelten gemeinsam eine Strategie, um unser Ziel innerhalb dieser Improvisation zu erreichen. Und er, der später vor der Kamera stand, war derjenige, der den Zugang zu den Schülern herstellte. Ich ergänzte dann am Set hier und da, gab Hinweise, wollte etwa, dass er hier oder dort noch weiter geht."

Wie lange dauerten schließlich die Dreharbeiten bei dieser zeitintensiven Arbeitsweise?
"Wir haben sieben Wochen gedreht – davon fünf mit den Schülern, und zwei mit den Lehrern. Die ersten vier Wochen des Drehs fanden ausschließlich im Klassenraum statt."

Schule – das ist im Grund ein universelles Sujet.
"Ich glaube, Schule ist alles: Mal eine große Komödie, mal eine große Tragödie. Mal befindet man sich auf der einen Seite, mal auf der anderen. Mal im großen Glück, weil man etwas teilen kann. Mal in Momenten großer Niedergeschlagenheit. Und nichtsdestotrotz muss man weitermachen und daran glauben."

Wie im Leben: einem roten Faden folgen, vielleicht.
"Ja, einem roten Faden folgen – wobei diese Schüler ja allesamt bereits ihre Geschichten mit sich bringen, ihre sozialen Dispositionen und Prägungen. Dessen muss sich die Schule bewusst sein."

Der rote Faden in Ihrer bisherigen filmischen Arbeit jedenfalls, das ist das Soziale. Arbeitslosigkeit etwa in "L'emploi du temps". Schwarzen-Prostitution im Film "In den Süden". Nun ist der Brennpunkt eine Schule in Paris.
"Das sind alles Themen, die mich allein schon als Bürger interessieren, so oder so. Ich denke, meine Filme beschäftigen sich einfach auch mit der Komplexität dieser Welt, in der wir leben. In dieser Realität, in der auch ich lebe. Und ich erzähle von Individuen, die auf diesem großen Bazar ihren Platz suchen."

Interview: Thilo Wydra

 

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