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Ausgabe 120-4/2009

WELTSTADT

Produktion: Hochschule für Film & Fernsehen „Konrad Wolf“ Potsdam Babelsberg, in Koproduktion mit Arte; Deutschland 2008 – Regie und Buch: Christian Klandt – Kamera: Renè Gorski – Schnitt: Jörg Schreyer – Musik: Paul Rischer – Darsteller: Florian Bartholomäi (Til), Gerdy Zint (Karsten), Karoline Schuch (Steffi), Justus Carriere (Günter, Polizist), Hendrik Arnst (Heinrich, Imbissbudenbesitzer), Jürgen A. Verch (Jargo, der Obdachlose), Franziska Krumwiede (Karstens Mutter), Henrike von Kuick (Nadine, Steffis Freundin), Veit Lowack (Tills Chef) u. a. – Länge: 109 Min. – Farbe – FSK: ab 12 – Verleih: X Verleih – Altersempfehlung: ab 16 J.

In der Nacht zum 16. Juni 2004 überfielen zwei Jugendliche in einer Kleinstadt in Brandenburg einen schlafenden Obdachlosen, verprügelten ihn, nachdem sie bei ihm kein Geld fanden, und steckten ihn schließlich in Brand. Christian Klandt hat aus dieser wahren Begebenheit einen Spielfilm gemacht, den er zusammen mit der Hochschule für Fernsehen und Film "Konrad Wolf" realisierte und den er ironisch mit "Weltstadt" bezeichnete. Sein Film ist als klassisches Drama in der Einheit von Ort, Zeit und Handlung gehalten und erzählt, von der Rahmenhandlung am Morgen nach der Tat abgesehen, die 24 Stunden davor aus dem Leben der beiden Täter Till und Karsten sowie weiterer Bewohner des idyllisch gelegenen Ortes an der Spree.

Nachdem Till vom Meister erfahren hat, dass er nach der Lehre seiner Unzuverlässigkeit wegen nicht übernommen wird, bricht Till seine Malerlehre ganz ab, die er ohnehin nur dem Vater zuliebe angefangen hatte. Till weiß nicht, was er mit seinem Leben anfangen soll und unterscheidet sich darin kaum von seinem Freund Karsten, der nicht einmal die Schule beendete und nun Sozialstunden in einem Obdachlosenheim ableisten muss. Karstens Eltern sind geschieden. Der Vater ist Polizist im Ort und wird später die Ermittlungen gegen seinen Sohn führen, die Mutter erstickt Karsten mit ihrer Fürsorge, obwohl er deswegen bereits eine eigene Wohnung im gleichen Wohnblock genommen hat. Karsten löst seine Probleme mit Aggressivität und Gewalt und findet damit in dem eher schüchternen Till einen Freund und Bewunderer. Tills Freundin Steffi arbeitet als Aushilfe in einem Sonnenstudio und findet keine Stelle, zumal sie nicht nach Westdeutschland ziehen möchte. In Till hat sie keinen wirklichen Halt, denn er nutzt sie nur sexuell aus.
Parallel zu dieser Coming-of-Age-Geschichte erzählt der Film auch von der älteren Generation im Ort, insbesondere von Heinrich, der seit vielen Jahren eine Imbissbude betreibt, nun pleite ist und die Bude schließen muss, weil Investoren einen Parkplatz auf dem Gelände errichten wollen. Am Abend der Tat lädt er seine Freunde zu einem Abschiedsfest ein, während die Jugend am Stadtpark herumhängt und ihren Frust ebenfalls mit ein paar Flaschen Bier herunter spült. Was danach folgt, geschieht eher beiläufig, ohne Absicht. Im Rausch überschreiten Till und Karsten ihre Grenzen und laden ihre Wut an dem wehrlosen Obdachlosen ab.

Der Film lässt sich viel Zeit in seinen exakten Beobachtungen der Orientierungs-, Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, die Jung und Alt gleichermaßen betrifft, aber zu unterschiedlichen Reaktionen führt. Während Karstens Vater vom Eigenheim träumt und seinem Sohn lieber billige Importware als die teuren Markenschuhe schenkt, und Heinrich sich auch schon mal kurz in die alte DDR zurücksehnt, fühlen sich Till und Karsten einfach nur fehl am Platz und lassen die erfahrene Missachtung der anderen wütend an sich selbst und an anderen aus. Sogar die Hakenkreuzschmierereien anderer Jugendlicher an Heinrichs Imbissbude wirken da weniger politisch motiviert denn als stumme Protesthaltung. So entwirft der Film in vielen kleinen Szenen und Beobachtungen das Soziogramm einer in großen Teilen desillusionierten und orientierungslosen Gesellschaft und auch das Psychogramm der Täter weist weit über ein klassisches Täter-Opfer-Profil hinaus und wendet sich gegen einfache Ursache-Wirkungs-Schemata. Auch wenn Bezüge zur ostdeutschen Realität nach der Wendezeit deutlich werden, lässt sich die Geschichte problemlos auf andere deutsche Orte und Schauplätze übertragen. Kontemplative Musikuntermalung und sinnfällige Metaphern wie die "Selbstbilder", die sich Till und Karsten in ihre Haut ritzen, Steffis Brandwunden nach ihrem Versuch, den Obdachlosen zu retten, oder dessen in der Spree versunkenes Miniklavier, unterstützen eine nachdenkliche Haltung, die den Film noch lange nachwirken lässt. Nach mehr als einem Jahr, in dem der Film auf internationalen Festivals zahlreiche Preise gewann, kommt er nun endlich auch in die Kinos.

Holger Twele

 

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KJK-Ausgabe 120/2009

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