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Ausgabe 122-2/2010

ECHO DES REGENBOGENS

SHUI YUET SUN TAU

Produktion: Sky Cosmos Development Ltd., Hongkong; Hongkong / China 2009 – Regie und Buch: Alex Law – Kamera: Charlie Lam – Schnitt: Kong Chi Leung, Chan Chi Wai – Darsteller: Buzz Chung (Big Ear), Aarif Lee (Desmond), Simon Yam (Vater), Sandra Ng (Mutter) u. a. – Länge: 120 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Mei AH Entertainment, Hongkong Kowloon, email: meiah@meiah.com – Altersempfehlung: ab 10 J.

Mit einem stibitzten Goldfischglas auf dem Kopf wird Big Ear zum Astronauten und die vertraute Umgebung zu einer anderen Welt. Es ist das Jahr 1969. Hongkong ist britische Kronkolonie, Big Ear acht Jahre alt und ständig auf Streifzug durch das Sheung Wan-Viertel, in dem er aufwächst. Sein Vater führt ein bescheidenes Schuhgeschäft am einen, sein Onkel einen Friseurladen am anderen Ende der schmalen Wohn- und Ladenstraße. Auch wenn die Mutter erfindungsreich und wortgewandt die Schuhe an den Kunden bringt, kommen sie gerade eben so über die Runden. Groß sind deshalb die Hoffnungen und Erwartungen, die auf Desmond ruhen, Big Ears über alles geliebtem und bewunderten großen Bruder, der ein herausragender Schüler und Athlet an der britisch geführten Schule ist. Desmond hat noch jeden Hürdenlauf gewonnen, und auch die schöne Flora erwidert seine frisch erblühten Gefühle, die er zu einem melancholischen Liebeslied vertont. Dass Flora aus reichem Hause stammt, erfährt Desmond eher zufällig, und der unterschiedliche Sozialstatus verliert an Relevanz, als sie auch in schweren Zeiten zu ihm steht. Und diese schweren Zeiten brechen mit Wucht über die Familie ein: Ein Taifun zerstört ihr Laden- und Wohnhaus, und als Desmond seinen ersten Wettkampf verliert, folgt die Diagnose Leukämie, die alles von Grund auf verändert für Big Ear und seine Familie.

Der überraschende Preisträger des Gläsernen Bären beim Berlinale-Kinderfilmfest Generation/Kplus ist von der eigenen Lebensgeschichte des Hongkong-stämmigen Regisseurs Alex Law inspiriert. Die episch angelegten Kindheitserinnerungen an ein behütetes, dabei nicht leichtes Leben wurden in der historischen Wing Lee Street gedreht, in der die Originalarchitektur aus den Sechzigerjahren noch erhalten ist (nun allerdings soll dieser Distrikt modernen Neubauten weichen, wie es vielen anderen Vierteln Hongkongs bereits ergangen ist). Diese Authentizität und eine wunderbar stimmige Ausstattung sorgen für eine fast märchenhaft nostalgische Atmosphäre, die sich auch in der sentimentalen Filmmusik widerspiegelt. Nur zu gern taucht man ein in diesen Mikrokosmos mit seinen bunten Läden und dem geschäftigen Treiben auf der Straße, wo die Nachbarn gemeinsam vor ihren Häusern die Mahlzeiten einnehmen und sich über Freud und Leid austauschen. Ein Dach überm Kopf ist das Wichtigste im Leben, so lautet die Maxime von Big Ears Familie, die von Liebe, Güte und Strenge zusammengehalten wird. Genau dieses Dach nimmt ihnen der Orkan, der damit auch symbolisch Vorbote für den noch größeren Schicksalsschlag ist, die tödliche Erkrankung des älteren Sohnes und Hoffnungsträgers für eine bessere Zukunft – alles wird durcheinandergewirbelt, nichts bleibt, wie es war. Der Film findet dafür eindrucksvolle, mitunter sogar fast heitere Bilder, etwa wenn sich Vater und Mutter mit ihrem ganzen Gewicht an das Dach hängen. Eine virtuose Kamera fängt das Ballett der im Wirbelsturm tanzenden Schuhe aus dem zu Bruch gegangenen Schaufenster ein, verleiht der Zerstörung eine poetische Note.

Die Sechzigerjahre waren auch in Hongkong konfliktreiche Zeiten, nach Kulturrevolution und folgender Überbevölkerung. Der Film streift dies lediglich, beispielsweise wenn die Bewohner des Viertels sich mit der britischen Kolonialherrschaft arrangieren, indem sie deren Vertreter mit Geld- und Sachgeschenken bei Laune halten. Deutlicher, weil im krassen Gegensatz zu der Geborgenheit in der Familie stehend, prangert der Film die Zustände im Gesundheitswesen an, das eine Zweiklassengesellschaft betreibt und sich die medizinische Grundversorgung teuer bezahlen lässt. Fürsorglichkeit oder gar Mitgefühl mit den Patienten? Fehlanzeige. Es ist dem Regisseur aber nicht an Gesellschaftskritik gelegen – die Perspektive des aufgeweckten achtjährigen Big Ear interpretiert die Geschehnisse nicht intellektuell, sondern gibt sie als unmittelbar Erlebtes wieder, was einen emotionalen Zugang auch für jüngere Zuschauer ermöglicht.

Man muss dem Film leider vorhalten, dass er zu lang geraten ist; zumindest für westliche Sehgewohnheiten weist er gerade im zweiten und dritten Akt einige Längen auf. Ungeachtet dessen war das Berlinale-Publikum jedenfalls tief bewegt und zu Tränen gerührt; die elfköpfige Kinderjury für den Gläsernen Bären zeigte sich von der "besonderen Atmosphäre" und den in der Tat herausragenden Schauspielern überzeugt, die die "berührende Geschichte zweier Brüder auf eindrucksvolle Weise nähergebracht" haben.

Das titelgebende Echo des Regenbogens übrigens ist jedem Regenbogen zueigen – das umgekehrte Farbspektrum dieses Doppelgängers bricht das Sonnenlicht weniger stark und ist daher schwächer und seltener zu sehen. Die Symbolik liegt auf der Hand. Am Ende erscheint ein solcher doppelter Regenbogen, von den Protagonisten unbemerkt. Der jüngere Bruder, nun selbst ein Teenager, führt das Leben des Älteren in seinem Andenken fort, als sein Echo. – Fazit: "Echo des Regenbogens" ist ein sehenswertes Melodram, das dank seiner Darsteller und Bildsprache nicht unerträglich kitschig daherkommt. Und warum sollte man nicht mal wieder aus vollem Herzen im Kino weinen?

Ulrike Seyffarth

 

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