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Ausgabe 122-2/2010

SEBBE

Produktion: Garagefilm International AB, in Koproduktion mit Film i Väst und dem Schwedischen Fernsehen; Schweden 2009 – Regie und Buch: Babak Najafi – Kamera: Simon Pramsten – Schnitt: Andreas Nilsson – Musik: Tiger Lou, Taken by Trees, Laleh, James Backshaw u. a. – Darsteller: Sebastian Hiort af Ornäs (Sebbe), Eva Melander (Eva, seine Mutter), Kenny Wåhlbrink (Kenny), Emil Kadeby (Emil), Adrian Ringman (Adde), Leo Salomon Ringart (Leo), Åsa Bodin Karlsson (Kennys Mutter), Margret Andersson (Lehrerin) u. a. – Länge: 79 Min. – Farbe – Deutsche Erstaufführung: Berlinale 2010, Sektion Generation 14plus – Kontakt: Garagefilm International AB, Stockholm, e-mail: info@garagefilm.se – Altersempfehlung: ab 14 J.

Sebbe (Sebastian) ist gerade 15 geworden und in der Klasse ein Außenseiter. Weil er sich nicht wehrt und auch kaum etwas sagt, wird er von einigen sogar als "Schwuchtel" bezeichnet. Für drei seiner Mitschüler, die ihre "Männlichkeit" unter Beweis stellen müssen, wird er daher zum perfekten Opfer für schweres körperliches Mobbing. Wie immer in solchen Fällen war das für die Täter natürlich nur als Spaß gemeint. Nach dem Tod seines Vaters, an den sich der Junge kaum noch erinnern kann, lebt Sebbe zusammen mit seiner sehr jungen Mutter Eva in einer wenig einladenden tristen Vorortsiedlung. Eva wird selbst in ihrem Job gemobbt, ertränkt ihren Frust in Alkohol, verdient als Zeitungsausträgerin in der Nacht nicht einmal das Nötigste zum Überleben und schläft am Tag, wenn Sebbe zuhause ist. Ihre eigenen Aggressionen lädt sie auf ihren Sohn ab, den sie einesteils wirklich liebt, andernteils aber angeblich nicht einmal gewollt hat. Obendrein hat sie ständig ein schlechtes Gewissen, ihm nicht die nötige Geborgenheit eines Elternhauses geben zu können. Selbst also ein schlechtes Vorbild für ihren Sohn, beginnt auch dieser zunehmend zu rebellieren und sucht immer verzweifelter nach einer Orientierung im Leben. Dabei ist der in der Schule sehr mäßige Schüler zumindest handwerklich begabt und bastelt sich aus einer defekten Kettensäge von einer Müllkippe ein motorisiertes Fahrrad als Ersatz für seinen Traum von einem eigenen Motorrad. Trotz aller Rebellion liebt Sebbe seine Mutter, sie ist das einzige, was er hat. Als diese für sein Geburtstagsgeschenk zur Diebin wird, versucht er seine Mutter zu schützen. Doch diese setzt ihn in einer Mischung aus Wut und Scham kurzerhand vor die Tür. Die Situation beginnt für Sebbe zu eskalieren. Aus einem nahen Steinbruch entwendet er eine Kiste mit Dynamitstangen, versieht sie mit einem Zünder und marschiert in einer Mischung aus Verzweiflung, Unsicherheit und Rachegefühlen in seine Schulklasse, wo er aber zunächst gar nicht beachtet wird.

Was wie ein Amoklauf aussieht, erfolgt im Film eher beiläufig und gegen gängige Erwartungshaltungen. Statt billige Ursache-Wirkungsschemata von sich rächenden Underdogs aus sozial schwierigen Verhältnissen zu zeigen, bleibt der bemerkenswert dicht und künstlerisch stimmig erzählte Film ganz bei seinen Figuren und deren innerer Entwicklung. Der 1975 im Iran geborene Regisseur Babak Najafi, der mit elf Jahren 1987 nach Schweden kam und dort später ein Filmstudium absolvierte, verfilmte mit "Sebbe" sein eigenes Drehbuch. Es ist zugleich sein Debütspielfilm. Ihm kam es darauf an, eine Geschichte über die lebenslange Bindung zwischen Eltern und ihren Kindern zu erzählen, eine Bindung, die aufbauen und fördern, aber auch zerstörerisch wirken kann.

Das innere Drama der Figuren vollzieht sich wie eine klassische Tragödie, unausweichlich, mit letzter Konsequenz, mit oftmals harten Schnitten und am Schluss wenigstens einem winzigen Funken Hoffnung. Ausgesucht triste Farben, überwiegend in grau und blau, entsprechen der inneren Stimmung von Mutter und Sohn. Dem Cinemascope-Format gelingt es, die Vereinsamung und Isolation der Protagonisten gegenüber ihrer Umgebung auf der Bildebene zu unterstreichen. Auf der Tonebene besorgt das die sorgfältig ausgewählte, dezent im Hintergrund bleibende Filmmusik. An einer Stelle führt die Kamera zwei komplette 360-Grad-Schwenks im Klassenzimmer aus, die das Desinteresse der Mitschüler an Sebbe verdeutlichen. Niemand kann ihm wirklich helfen, selbst die um ihn bemühte Lehrerin nicht, er wird seinen eigenen Weg finden müssen. An einigen Stellen kommt eine vorsichtig geführte Handkamera zum Einsatz, die dicht an den Figuren dran bleibt. Es ist keine subjektive, sondern eine eher beobachtende Kamera. Sie gibt nicht die Perspektive der Figuren wieder, sondern läuft diesen buchstäblich oftmals hinterher. Dadurch sind deren Hinterköpfe im Bildvordergrund zu sehen und gleichermaßen die Richtung ihrer Bewegung, die ihnen mehr Flucht ist als Orientierung bietet.

"Sebbe" erhielt auf der Berlinale 2010 den Preis für den "besten Erstlingsfilm" und kurz davor in Uppsala den "Church of Sweden Award" 2010. Den Regisseur sollte man sich merken.

Holger Twele

 

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