Zum Inhalt springen

Ausgabe 126-2/2011

"Manchmal braucht es nicht viel, um Träumen das Leben zu nehmen"

Gespräch mit Dorota Kędzierzawska, Drehbuchautorin und Regisseurin, und Arthur Reinhart, Kameramann, Ausstatter und Produzent des Spielfilms "Morgen wird alles besser"

(Interview zum Film MORGEN WIRD ALLES BESSER)

KJK: Im Mittelpunkt Ihrer neuen Arbeit, die auf der Berlinale 2011 nicht nur in der Sektion "Generation Kplus" als bester Spielfilm mit dem "Großen Preis des Deutschen Kinderhilfswerks", sondern auch mit dem renommierten "Friedensfilmpreis" ausgezeichnet wurde, steht der umwerfend charmante Oleg Ryba. Er verkörpert den sechsjährigen Petya, der zusammen mit seinem zehnjährigen Bruder Vaya und dem nur ein Jahr älteren Lyapa in der Hoffnung auf ein besseres Leben über die russische Grenze nach Polen flieht. Olegs hinreißendes Spiel, seine einzigartige Persönlichkeit "durchleuchtet die Welt – direkt ins Herz". So überschwänglich hat es die Jury für den Friedensfilmpreis in ihrer Begründung formuliert und auch die Jury des Deutschen Kinderhilfswerkes sprach vom "Licht", das die "außergewöhnlichen Darsteller in die düstersten Situationen" bringen. Wo und wie haben Sie Ihre 'Bahnhofskinder' gefunden?
Dorota Kędzierzawska: Akhmed Sardalov, der den Lyapa spielt, stammt aus Tschetschenien. Er ist mit seiner Familie nach Polen eingewandert. Die hat dort Asyl beantragt, auch bekommen, und wollte dann weiter zu seinem älteren Bruder nach Schweden. Wir haben die Familie zuletzt im Sommer gesehen, da wollte sie es noch einmal mit Schweden versuchen. Es war ihr bereits dritter Versuch und dabei sind sie wahrscheinlich geschnappt und diesmal von Schweden direkt nach Tschetschenien deportiert worden. Akhmeds Vater hatte eigentlich versprochen, sich vor ihrer Ausreise noch einmal bei uns zu melden, aber seit dem Sommer hatten wir keinen Kontakt mehr. Sicherlich werden wir von Akhmed irgendwann wieder hören. Die Geschwister Ryba haben wir in Dnepropietrovsk gefunden, das ist eine Kleinstadt im östlichen Teil der Ukraine, wo noch russisch gesprochen wird. Die Familie ist arm und hat es schwer.

Warum haben Sie Ihre Darsteller nicht in Russland gesucht?
Dorota Kędzierzawska: Es lag nahe, es erst mal in der Ukraine zu versuchen, weil es für russische Kinder problematisch sein könnte, jemanden zu spielen, der von Russland nach Polen gehen will. Dass wir Oleg gefunden haben, war fast Zufall. Denn meine Assistentin sollte zwar nach einem Geschwisterpaar suchen, doch als sie Evgeny entdeckt hatte, dachte sie nicht mehr daran.

Aber Evgeny und Oleg sind doch Brüder!
Dorota Kędzierzawska: Ganz recht. Aber von Oleg wussten wir nichts. Erst als ich selbst in die Ukraine gefahren bin, um den Jungen zu treffen, der mir auch eine sehr gute Wahl schien, zeigte mir seine Mutter ein Foto, auf dem auch Oleg mit drauf war. Der Junge mit den langen Haaren hat mich sofort interessiert. "Wer ist das?", hab' ich gefragt und Frau Ryba sagte: "Na, das ist Evgenys Bruder!" Auf diese Weise fand ich eine Stunde vor meinem Abflug auch unseren jüngsten Darsteller. Da es sich bei den beiden auch noch um Brüder handelte, konnte es wirklich nicht besser kommen, und ich war richtig glücklich.
Arthur Reinhart: Aber damit fingen auch die Schwierigkeiten an! Nachdem Dorota unser Geschwisterpaar also ganz kurz gesehen hatte, ist unsere Assistentin wieder nach Dnepropietrovsk gefahren, um die Formalitäten zu erledigen. Plötzlich bekamen wir einen alarmierenden Anruf, es sei doch keine gute Idee, den Kleinen für den Film zu engagieren. "Warum?" "Weil der einfach nicht will. Oleg will sich partout nicht fotografieren lassen!" Drei Stunden wären sie beim Fotografen gewesen, aber der Junge habe sich standhaft geweigert, Pass-Fotos von sich machen zu lassen. Dorota war sehr erschrocken – aber weil er total zu dem Charakter passte, den sie sich vorstellte, hatte sie sich in den Jungen schon dermaßen verguckt, dass sie einfach nicht von ihm lassen wollte. Also ist sie auch noch mal in die Ukraine gefahren und konnte ihn umstimmen. Aber als dann das Visum beantragt werden sollte, stellte sich heraus, dass die Kinder entgegen der Auskunft der Mutter nicht mal eine Geburtsurkunde hatten. Damit existierten sie eigentlich gar nicht. Das Beantragen der Papiere dauert normalerweise ein halbes Jahr, wir haben es aber dann doch irgendwie geschafft, es innerhalb von zwei Monaten zu erledigen. Geholfen haben uns dabei die Botschaften und ja, Geheimagenten, von denen wir nur die Telefonnummern hatten. Eigentlich war auch das gar nicht machbar, weil wir ja schon alles gebucht hatten, die Hotels, die Wagen und … Und die Crew wartete eigentlich auch schon. Also, mit den beiden Jungs hatten wir am Start wirklich Riesenprobleme.

Im Nachhinein hat sich die Beharrlichkeit Ihrer Frau dann aber doch gelohnt. Denn dass sie an den Brüdern festgehalten hat, erwies sich als Glücksgriff für Ihren Film. Vor allem Oleg strahlt ja eine unglaubliche Präsenz und Kraft aus.
Arthur Reinhart: Das ist schon richtig. Er hat viel Kraft, und wenn er was machen will, dann macht er das, und wenn nicht, dann nicht. Beim Dreh gab es dann noch einen zweiten sehr kritischen Moment mit ihm. Was dazu führte, dass alles, was wir am ersten Drehtag aufgenommen haben, im Mülleimer gelandet ist, weil der Junge plötzlich nicht mehr mitmachen wollte. Er hat gesagt, das interessiert ihn nicht, das macht er nicht und – blieb stur! Niemand konnte ihn überreden, nichts hat funktioniert. Schließlich sind wir auf die Idee gekommen, dass er der Assistentin von Dorota zeigen sollte, wie die Szenen, die wir uns vorgestellt hätten, eigentlich gespielt werden müssten. Dorota hat ihm also gesagt, worum es geht, und dass die Assistentin das jetzt machen müsse, aber leider nicht wüsste, wie, und Oleg müsse ihr mal zeigen, wie es geht, und das müssten sie so oft wiederholen, bis sie es könne! Also hat er ihr diese Szenen immer wieder vorspielen müssen, wobei wir natürlich die Gelegenheit nutzten, ihn dabei zu filmen. Auf diese Weise spielte er selber ja nicht, sondern zeigte bloß, wie man es spielen müsste! Der Junge brauchte einfach einen Ausweg, doch mitspielen zu können, und letztendlich war er dann der professionellste von allen drei Jungen. Einen halben Tag haben wir den ganzen Zirkus so mitgemacht und langsam, langsam sind wir durch dieses Spiel weitergekommen (lacht). Also es war uns schon klar, dass er eine starke Persönlichkeit hat und wir einen Schlüssel brauchten, um ihn zu knacken, damit er aus seiner Verweigerungshaltung rauskommt, ohne sein Gesicht zu verlieren.
Dorota Kędzierzawska: Aber gut war dann auch, dass das schöne Hotel, die ganzen Luxus-Bedingungen während des Drehs auf die Jungen keinen besonderen Eindruck gemacht haben. Beeindruckt hat sie vielmehr die Natur im Nordosten von Polen, die Wälder, die Kühe, alles, was sie dort gesehen haben – und das Staunen über die Schönheit der Natur zeigt sich zum Beispiel auch in der Szene, als Petya mit dem Marienkäfer spielt. Da ist seine Freude nicht gespielt, sondern ganz echt.

Wie lange haben denn die Dreharbeiten gedauert?
Arthur Reinhart: Das waren schon 42 Drehtage. Aber wir hatten das Glück, dass die Kinder zu dritt waren und sich zwischendurch immer wieder ausruhen konnten. Sonst wäre es nicht machbar gewesen. Allerdings war Oleg immer sauer, wenn wir ihn ins Hotel zurückgefahren haben. Denn selbst wenn er nicht gespielt hat, wollte er ständig dabei sein. Wenn die Jungs einzeln gedreht haben, waren sie immer sehr gut – aber wir hatten ein großes Problem, wenn sie alle drei vor der Kamera waren, weil sie dermaßen eifersüchtig aufeinander waren. Das war so schon nicht mehr schön und am schlimmsten war der Kleine. Seine Eifersucht auf die Älteren war wirklich ein Horror. Jeden Morgen, wenn wir zum Set gefahren sind, hat uns die Crew besorgt gefragt: "Wie viele Einstellungen haben wir, wo alle drei im Bild sind?!" Das war ziemlich häufig der Fall und für uns alle das absolut Schwierigste!

Wie kommt es, dass Japan bei diesem Film Koproduzent ist?
Dorota Kędzierzawska: Wir hatten das Glück, dass sich Takashi Niwa, ein japanischer Verleiher, in meine Filme verliebt hat – er hatte schon unseren Film "Wrony" (Krähen) von 1994 und "Jestem" (Ich bin) von 2005 für seinen Verleih gekauft. "Jestem" kommt jetzt im März in Japan im Kino heraus. Niwa hat sich dann auch entschlossen, einen unserer Filme zu produzieren – und "Morgen wird alles besser" ist nun die erste Produktion seiner neugegründeten Firma unter dem Namen Pioniwa Film. Darüber sind Arthur und ich natürlich sehr glücklich.

Wie teuer oder wie kostengünstig war denn Ihr Film?
Arthur Reinhart: Drei Millionen Zloty, das sind ca. 800.000 Euro.
Dorota Kędzierzawska: Wie ich beim Empfang unserer Auszeichnung durch das Kinderhilfswerk gesagt habe, werde ich das Preis-Geld den drei Kindern geben – wie genau, weiß ich noch nicht. Damit es nicht in den Händen zerrinnt, werde ich es vielleicht für ihre Ausbildung anlegen, oder sonst wie, aber ich will es für sie verwenden.

Können Sie bitte noch über die reale Vorgeschichte für Ihren Film sprechen?
Dorota Kędzierzawska: Vor fünf oder sechs Jahren wurde im polnischen Rundfunk von ein paar obdachlosen russischen Jungen berichtet, die illegal nach Polen kamen, um hier ein neues, besseres Leben zu finden. Weil sie nicht wussten, dass sie um politisches Asyl hätten nachsuchen können, wurden sie wieder zurück nach Russland geschickt. Ihre Abschiebung hat dann im Radio eine lebhafte Hörer-Diskussion ausgelöst, bei der sich die Hälfte für die Abschiebung der Jungen aussprach. Ich war darüber so entsetzt, dass ich ihre Geschichte weitererzählen wollte.

"Für alle, die Angst hätten, etwas für diese Kinder zu tun, wenn sie ihnen auf der Straße begegnen würden" – bei Ihrem Statement zum Film haben Sie sich selbst nicht ausgenommen.
Dorota Kędzierzawska: Ja, das stimmt. Mit dem Film wollte ich zeigen, was ein Mensch erreichen kann, auch ein kleiner, wenn er eine Idee hat, für etwas lebt, wie weit man kommen kann, wenn man Träume hat. Dass diese aber auch durch irgendwelche Kleinigkeiten, Formalitäten gründlich zerstört werden können. Manchmal braucht es nicht viel, um Träumen das Leben zu nehmen. Auf der anderen Seite erzählen wir natürlich auch eine Geschichte über Menschen, die glauben, dass es da, wo man nicht ist, besser sei. Denn irgendwo muss es ja besser sein, muss es ja eine Zukunft für sie geben!

Der Film entlässt die Zuschauer in dieser Hoffnung. Denn die Kinder werden sicher wieder versuchen, über die Grenze zu kommen.
Dorota Kędzierzawska: Ganz bestimmt, denn sie sind durch ihre gemeinsame Flucht noch stärker geworden.

Könnte Ihre polnische Amtsstube eigentlich überall sein?

Dorota Kędzierzawska: Natürlich ist es ein polnisches Amt, aber ich glaube, das ist auch universell und funktioniert so auf der ganzen Welt.

Ihr Film dauert 118 Minuten. Waren Sie nicht manchmal versucht, etwas rauszuschneiden?
Arthur Reinhart: Ich habe tatsächlich versucht, ein bisschen mehr Tempo zu geben und des Nachts heimlich ein bisschen rausgeschnitten, aber Dorota hat es immer gemerkt.

Und sich durchgesetzt!
Dorota Kędzierzawska: Weil jede Szene eine Länge hat, die nach meinem Empfinden genau so und nicht anders sein kann. Und Artur ist ja auch mein Produzent – und zwar ein so guter, dass er immer bestrebt ist, die Wünsche seiner Regisseurin zu erfüllen.

Gibt es schon ein nächstes Projekt?
Dorota Kędzierzawska: Ich habe vor, einen Film über ein Kind zu drehen, das nach dem Krieg aus Schlesien nach Polen kommt. Ich kenne die Geschichte aus vielen Erzählungen …

Es ist die Geschichte von Arthur, oder?
Dorota Kędzierzawska: Ja, das ist richtig – aber ich glaube, mit Kindern lege ich erst mal eine Pause ein. Ich bin nach den Dreharbeiten für diesen Film jetzt doch ein bisschen erschöpft und ziehe vielleicht einen Stoff mit Erwachsenen vor.

Das Gespräch führte Uta Beth

 

Permalink für Verlinkungen zu dieser Seite Dauerhafter, direkter Link zu diesem Beitrag


Filmtitel - "A":

 

AB DURCH DIE HECKE| DIE ABENTEUER DER KLEINEN GIRAFFE ZARAFA| DIE ABENTEUER DES BURATTINO| DIE ABENTEUER DES HUCK FINN| DIE ABENTEUER DES PRINZEN ACHMED| DIE ABENTEUER VON HUCK FINN| DIE ABENTEUER VON PICO UND COLUMBUS| DIE ABENTEUER VON TIM UND STRUPPI – DAS GEHEIMNIS DER EINHORN| ABGEROCKT| ABOUNA| DIE ABRAFAXE – UNTER SCHWARZER FLAGGE| ACHTZEHN – WAGNIS LEBEN| ADIEU PAPA| AFTERSCHOOL| AIR BUD – CHAMPION AUF VIER PFOTEN| ALABAMA MOON| ALADDIN| ALADINS WUNDERLAMPE| ALAN UND NAOMI| ALASKA| ALASKA.DE| DER ALBANER| ALFIE, DER KLEINE WERWOLF| ALI ZAOUA| ALICE IM WUNDERLAND| ALICE IN DEN STÄDTEN| ALIENS IN COLORADO| ALLE KINDER DIESER WELT| ALLEIN IN VIER WÄNDEN| ALLERLEIRAUH| ALLES IST MÖGLICH| ALMOST FAMOUS – FAST BERÜHMT| ALS DER WEIHNACHTSMANN VOM HIMMEL FIEL| ALS GROSSVATER RITA HAYWORTH LIEBTE| ALS HÄTTE ICH DICH GEHÖRT| AM ENDE EINES LANGEN TAGES| AM ENDE EINES VIEL ZU KURZEN TAGES| AM HIMMEL DER TAG| AME & YUKI – DIE WOLFSKINDER| AMY| AMY UND DIE WILDGÄNSE| ANASTASIA| DAS ANDERE UFER| ANDRÉ| ANNA ANNA| ANNA WUNDER| ANNE LIEBT PHILIPP| ANTBOY| ANTON| ANTONIA| DIE ARCHE IN DER WÜSTE| ARIELLE – DIE MEERJUNGFRAU| ARRIETTY – DIE WUNDERSAME WELT DER BORGER| ARTHUR WEIHNACHTSMANN| ASCHENPUTTEL – 1954| ASCHENPUTTEL – 1989| ASCHENPUTTEL – 1922| ASTERIX IN AMERIKA| ASTERIX UND OBELIX GEGEN CÄSAR| ATLANTIS – DAS GEHEIMNIS DER VERLORENEN STADT| ATMEN| ATTENBERG| AUCH SCHILDKRÖTEN KÖNNEN FLIEGEN| AUF DEM KOMETEN| AUF DEM WEG ZUR SCHULE| AUF DER JAGD NACH DEM NIERENSTEIN| AUF IMMER UND EWIG| AUF LEISEN PFOTEN| AUF WIEDERSEHEN KINDER| AUFREGUNG UM WEIHNACHTEN| DAS AUGE DES ADLERS| AUS DER TIEFE DES RAUMES| AUSFLUG IN DEN SCHNEE| DAS AUSGELASSENE TRIO UND DER GEHEIMNISVOLLE MR. X| AUSLANDSTOURNEE| EIN AUSSERIRDISCHER SOMMER| AVIYAS SOMMER| AZUR UND ASMAR|


KJK-Ausgabe 126/2011

PDF-Download Originalausgabe (PDF)

 

Anzeigen:

Einzelne Ausgaben:

Filmtitel nach Alphabet:

Zusatzmaterialien:

Volltext-Suche:

 

 


Sonderausgaben bestellen!