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Ausgabe 127-3/2011

ON THE ICE

Produktion: Treehead Films / Silverwood Films; USA 2011 – Regie und Buch: Andrew Okpeaha MacLean – Kamera: Lol Crawley – Schnitt: Nat Sanders – Musik: iZLER – Darsteller: Josiah Patkotak (Qalli), Frank Qutuq Irelan (Aivaaq), Teddy Kyle Smith (Egasak), Adamina Kerr (Michelle), John Miller (James) – Weltvertrieb: Treehead Films, New York, Tel. +1 917 4948133 – Länge: 96 Min. – Farbe – Altersempfehlung: ab 14 J.

Über weite Eisflächen nähert sich die Kamera der arktischen Kleinstadt Barrow – ins Bild kommt ein Friedhof mit einfachen Holzkreuzen, ein Graffiti, eine Bühne, auf der sich die jugendlichen Protagonisten Aivaaq und Qalli ausgelassen beim Volkstanz produzieren. Auf dem Heimweg eröffnet Aivaaq seinem Freund, dass seine Freundin ein Kind von ihm erwartet. Damit sind in gerade dreieinhalb Minuten die Themen dieses dramatischen Films über die Schwierigkeiten einer Jugend zwischen Tradition und Moderne umspannt: Es geht um Verantwortung, Freundschaft und Tod. Wobei sich die jungen Männer im fernen Alaska kaum von ihren Altersgenossen bei uns unterscheiden – auch dort hängen sie mit ihren Freunden herum, rauchen, kiffen, ziehen sich den aktuellen Rap rein, machen riskante Touren mit ihren fahrbaren Untersätzen, in diesem Fall sind es die schicken Schneemobile, pflaumen sich an, buhlen um Mädchen. Auch auf ihren Partys fließt Alkohol und wer will, kriegt da auch härtere Drogen. Aivaaq ist nicht nur wegen der erschreckenden Aussicht, plötzlich Vater zu werden, gefährdet: hat sich doch sein Vater zu Tode getrunken und nun geht auch die Mutter mit der Flasche ins Bett. Nur gut, dass er in Qallis Elternhaus von klein auf willkommen ist.

Als Qalli Aivaaq nach einer ausgelassenen Party am nächsten Morgen zur Robbenjagd abholen will, ist der mit Freund James bereits aufgebrochen. Mit dem Schneemobil folgt Qalli ihren Spuren und entdeckt am Horizont, dass die beiden im Eis erbittert miteinander kämpfen. Nichts wie hin. Beherzt versucht er die offensichtlich noch betrunkenen Streithähne zu trennen. Da greift James zu einem Spaten, zückt Aivaaq sein Messer. Qalli kann ihm das abnehmen. Doch James streckt seinen Freund mit dem Spaten nieder. Als er damit nun auch auf Qalli einschlagen will, stürzt sich der auf den Angreifer, in der Hand immer noch Aivaaqs Messer. Mit einem Mal ist alles still. Benommen findet sich Qualli neben seinen plötzlich ganz leblosen Freunden wieder, dem bewusstlosen Aivaaq und dem toten James, dessen Stich-Wunde das Eis blutig rot färbt. Aivaaq ist immer noch high von Drogen und Alkohol, als er wieder zu sich kommt. Als er realisiert, was er angerichtet hat, holt er sich Qallis Gewehr, will sich erschießen. Der kann ihn im letzten Moment daran hindern – und gemeinsam beschließen sie, James’ Tod als einen tragischen Unfall auszugeben, die Leiche samt dessen Schneemobil in einem Wasserloch zu versenken und alle Spuren zu beseitigen.

Was jetzt folgt, ist ein unerhört spannendes Kammerspiel, bei dem man sich jeden Augenblick fragt, wie lange die Jungen ihre Lüge eigentlich aufrecht erhalten können. Denn angesichts der Eltern des Mordopfers, dessen unglücklicher Freundin, die sich für James’ Tod verantwortlich fühlt, weil sie am Abend zuvor endgültig mit ihm Schluss gemacht hat, angesichts ihrer Freunde und eigenen Verwandten drückt die Schuld immer schwerer. In einer so eng verknüpften Gesellschaft, in der jeder jeden seit jeher kennt, wird jede Begegnung zu einer Bedrohung, raubt jede Frage die Luft zum Atmen. Auch der Zuschauer entwickelt hier eine Art Platzangst, sehnt sich zurück auf die weite, weiß von Schnee bedeckte Ebene, die Qallis so jäh verlorene Unschuld zu verkörpern scheint, während die klaustrophobische Enge in der Stadt die Falle spiegelt, in die sich die Freunde durch ihre Angst, ihre Lügen und tiefe Schuld immer weiter verstricken. Qalli erweist sich dabei als der mit den stärkeren Nerven, obwohl sein Vater misstrauisch wird und trotz der ohne Ergebnis abgebrochenen Suche auf eigene Faust weiter nach James fahndet. Immer Neues muss sich sein Sohn einfallen lassen, um ihn von der Spur und seinen Freund davon abzubringen, die Wahrheit herauszuschreien. Bis es einfach nicht mehr geht, weil Qallis Vater die Leiche gefunden hat. Das Ende ist dann ebenso überraschend wie in gewissem Maß tröstlich, soll aber hier nicht verraten werden.

Andrew Okpeaha MacLean hat diese Geschichte bereits in seinem Kurzfilm "Sikumi" erzählt, der 2008 in Sundance ausgezeichnet und auf verschiedenen Festivals mit weiteren zehn Preisen bedacht wurde. Auf der Berlinale 2011 wurde nun sein erster Spielfilm nicht nur mit dem "Gläsernen Bären", sondern auch mit dem mit 50.000 Euro dotierten Preis für den besten Erstlingsfilm ausgezeichnet. Er überzeugte mit einer aufregenden, zügig erzählten Story, guten Schauspielern, die zumeist das erste Mal vor einer Kamera agiert haben, mit wunderschönen Landschaftsaufnahmen und einer Musik, die ihrerseits mit dunklen Kontrabass-Tönen die Spannung steigert, ohne aufdringlich zu sein, und traditionelle Kompositionen, Hip-Hop und Kirchenlieder einbezieht. Die Jury der Generation-Sektion 14plus fühlte sich durch den Film von der ersten bis zur letzten Minute gefangen genommen. In der Begründung ihrer Entscheidung heißt es: "Mit einfachen Mitteln wird hier zwischen Einsamkeit und unendlicher Weite eine Atmosphäre von erstickender Enge geschaffen. Unser Gewinnerfilm entführt uns in eine Welt, die uns ganz und gar unbekannt war. Eine Welt, in der alles in Dunkelheit getaucht scheint, obwohl die Sonne nie untergeht."

Uta Beth

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 127-3/2011 - Interview - "Wir können unsere eigenen Geschichten erzählen und der ganzen Welt zeigen, wie wir sind."

 

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