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Ausgabe 127-3/2011

"Lotte Reiniger hatte diese tolle Idee mit den Silhouetten und ich bin ihr Erbe"

Gespräch mit Michel Ocelot, Drehbuchautor und Regisseur des Animationsfilms "Les contes de la nuit / Tales of the night"

(Interview zum Film LES CONTES DE LA NUIT)

KJK: Warum lassen Sie Ihre Nacht-Geschichten in dem kleinen Off-Kino stattfinden?
Michel Ocelot: Das ist reine Nostalgie – ich bin traurig über das Sterben der alten Kinos, weil ich es mag, in so einem kleinen Cinema gemeinsam mit den Nachbarn aus meiner Umgebung darauf zu warten, dass die Lichter verlöschen.

Bei Ihnen gibt es ja sogar noch einen roten Vorhang.
Ja, das ist ein Teil dieses Vergnügens und absolut wichtig für die Verzauberung. Der Vorhang ist wie ein schönes Papier, mit dem ein Geschenk einpackt ist.

Aber Sie haben "Les contes de la nuit" jetzt in einer Technik produziert, die in einem solchen Kino gar nicht abgespielt werden kann.
Ich habe das Gefühl, dass die 3D-Stereoskopie gerade eine Mode und nützlich für unsere Industrie ist, weil es die Leute ins Kino zieht. Aber 3D ändert nicht viel, es ist eigentlich nicht wichtig – Hauptsache ist und bleibt doch, gute zu Herzen gehende Geschichten zu finden. Die 3D-Stereoskopie ist halt ein neues Werkzeug beim Filmemachen. Sie wird nach einiger Zeit wieder aufhören oder nichts Besonderes mehr sein. Wie der Farbfilm – heute dreht ja jeder in Farbe, man realisiert das gar nicht mehr, und so wird es auch mit 3D sein. Aber zurzeit ist diese Technik ganz neu, stößt Dinge an und ich war neugierig darauf. Den Scherenschnitt zu verbinden mit einem phantastischen Hintergrund ist nicht so ein Riesen-Durchbruch. Man muss nur ganz präzise in der Farbwahl sein, die Schärfe erhalten – aber dank des Computers kann man ja wunderbar mit den Farben spielen. Man darf aber nur die transparenten Aquarellfarben nehmen, keine Deckfarben. Die legt man dann auf eine Glasscheibe, die Kamera filmt das Licht von unten und so haben wir die Silhouetten verbunden mit aufregenden Experimenten. Ich genieße es wirklich, die Fläche zu gebrauchen und den Raum zu vertiefen, auch kleine Überraschungen einzubauen. Und wenn am Ende alle im Raum der Geschichte ganz langsam folgen, ist das sehr schön und poetisch. Ich hoffe nur, dass die 3D-Brille demnächst überflüssig wird. Was die Finanzen betrifft, ist diese Technik allerdings eher schlecht, eine Absurdität, weil sie für den Produzenten wie für den Besucher teurer ist.

Heißt das, dass man Ihren Film auch in einem nicht für die 3D-Technik ausgerichteten  Kino abspielen kann?

Ja, das funktioniert sehr gut. Kein Problem. Es ist fast das gleiche, weil ich ja nicht realistisch sein muss. Wenn ich die Realität nachbilden müsste, müsste ich Live-Aktionen in Stereoskopie drehen, aber zum Glück bin ich ja ein Animateur und erschaffe eine eigene Welt. Das heißt ich bin der Boss, nicht der Computer, und ich mache 3D, aber flaches 3D. Das ist genau das, was ich möchte.

Und knüpfen damit an das Schatten- und Silhouetten-Theater an, das mit verschieden gestaffelten Schienen arbeitet, die über die Bühne gezogen werden. Und natürlich an die deutsche Film-Pionierin Lotte Reiniger, die bereits in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts den Silhouettenfilm zu einer eigenständigen Kunstform entwickelte.
Ja, sie hatte diese tolle Idee mit den Silhouetten und ich bin ihr Erbe. Ich bin ganz erstaunt, dass ich der Einzige bin, denn es ist so eine wunderbare Art, Dinge zu machen. Die Geschichten in ihren Filmen fand ich nicht so interessant, aber die Bilder blieben mir im Kopf – und dann habe ich vor etwa 20 Jahren einen Workshop mit Kindern in Andersens Geburtsstadt Odense gemacht und innerhalb von fünf Tagen sind wunderbare Silhouetten à la Reiniger entstanden. Aus diesen eindrucksvollen Arbeiten haben wir dann einen Film gemacht. Die Figuren auszuschneiden, ist ja einfach und billig. Jetzt macht man das am Computer, was noch billiger ist. Geld ist ja immer ein Problem, selbst wenn du Erfolg hast, deshalb bin ich verwundert, dass nicht mehr Leute diese Technik benutzen. Heute, nach all meinen Erfolgen nicht nur mit "Kiriku", kann ich ja nahezu alles machen, aber in der ersten Hälfte meines Berufslebens war ich arm und so bin ich zu Lotte Reiniger gekommen. Und jetzt gab es dieses neue Spielzeug. Das wollte ich ausprobieren und habe mit dieser neuen Technik wirklich mit Vergnügen bei meinen Märchen gespielt.

Wie lange haben Sie für den Film gebraucht?
Wir haben rekordverdächtig schnell gearbeitet. Für das Drehen und Herstellen insgesamt ein Jahr. Das Schreiben hat nur ein halbes Jahr gedauert, denn die Geschichten waren eigentlich schon fertig, ich habe darüber seit Jahren nachgedacht. Und schwarze Scherenschnitte auf den Computer zu übertragen, geht ja schnell.

Arbeiten Sie eigentlich so, wie Sie es in dem kleinen Kino gezeigt haben?
Genauso, nur dass ich allein arbeite, also ich bin sowohl der Junge, das Mädchen und der alte Mann.

Gibt es jemanden, den Sie von den dreien am liebsten mögen?
Nein, ich mag sie natürlich alle. Ich bin doch jeder von ihnen und brauche sie. Sie alle sind in meinem Kopf und ich diskutiere mit ihnen, also mit mir selbst. Ich sage zum Beispiel zu mir: "Das hast du schlecht gemacht, versuch’ es besser zu machen!" Und dann versuche ich das. Ja, ich versuche Ideen zu finden oder ich nehme die Ideen von alten Geschichten, traditionellen Märchen, die ich den Überlieferungen aus allen Ländern der Welt entlehnt habe. Aber ich versuche, sie auf meine Art zu erzählen, mache damit, was immer ich möchte. Ich mache nie etwas einfach nach, bei mir gibt es auch immer mehr Gefühl als in den Original-Versionen. In dem Märchen von der chinesischen Prinzessin wollte ich zum Beispiel das schöne Kleid und die schöne Frisur haben. Ich liebe die chinesischen Malereien und wollte unbedingt diesen Stil haben. Beim afrikanischen Märchen von der Zaubertrommel waren Bilder von Musikinstrumenten die Quelle. Die Idee, dass die Instrumente die Leute dazu animieren zu tanzen, ist ja nicht neu, aber ich habe daraus eine Fabel über einen Künstler gemacht. Nicht die Trommel ist magisch, die Hände des Jungen sind es! Mit anderen Worten: Versuche nicht, den teuersten Computer zu kriegen, die 3D-Technik und die stereoskopische Software, du bist es, der zählt, dein Talent, deine Arbeit, deine Liebe, deine Hände!

Die Märchen in Ihrem Film spielen in ganz verschiedenen Kulturkreisen und Epochen. Wollen Sie dem Publikum damit zeigen, dass wir alle gleich sind?

Ich bin ein Feinschmecker und genieße es, mich an verschiedenen Orten, in verschiedenen Kulturen und Zivilisationen aufzuhalten. Es entspricht meiner Natur und ich bin glücklich, dass wir im 21. Jahrhundert Zugang zu allem haben. Ich habe meine Freude an all diesen Zivilisationen, die wir repräsentieren, genieße es wirklich, in China, Japan, Ägypten und in all den verschiedenen Ländern Europas zu sein, möchte Filme machen an allen Schauplätzen, die ich mag – ich kann zum Beispiel etwas Deutsch wegen Dürer! Für mich ist es toll, in all die verschiedenen Kulturen hineinzukommen. An der Oberfläche ist das ein bisschen exotisch, aber ich mag es, exotisch zu sein. Das ist mein Leben. Wenn ich etwas Chinesisches mache, bin ich Chinese, wenn etwas Afrikanisches, Afrikaner. Die Leute sagen dann: "Sie arbeiten für die Toleranz!" Nein! Ich arbeite für das Vergnügen und für die Entspannung. Lasst uns relaxed sein und das Leben mit all seinen verschiedenen Möglichkeiten genießen. Wir sind in der besten Wiener Konditorei und können von allem naschen, was wir wollen! Lasst uns das genießen – und dabei möglichst nicht dick werden!

Das Gespräch mit Michel Ocelot führte Uta Beth

 

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