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Ausgabe 127-3/2011

"Die Schublade Trickfilm gleich Kinderfilm ist sehr deutsch"

Gespräch mit Stephan Schesch, Produzent und Regisseur des Films "Der Mondmann"

Interview

Der Kinderbuchklassiker "Der Mondmann" von Tomi Ungerer kommt als Animationsfilm ins Kino. Als Produzent und Regisseur zeichnet Stephan Schesch (Jahrgang 1967) verantwortlich. Das Drehbuch hat er gemeinsam mit Ralph Martin (Autor von "Max & Moritz", "Kleiner König Macius" und des ersten "Hexe-Lilli"-Films) geschrieben – in enger Zusammenarbeit mit Tomi Ungerer. Das Werk des Illustrators ist für Stephan Schesch kein Neuland. Bereits im Jahre 2007 hatte er den Trickfilm "Die drei Räuber" produziert, ebenfalls die Verfilmung einer Ungerer-Geschichte. Schon früh spezialisierte sich Stephan Schesch auf das Genre Animation und zeichnete unter anderem für die TV-Serie "Max & Moritz" (1997) verantwortlich, die mit dem Erich-Kästner-Preis ausgezeichnet wurde.
Das Kinderbuch erzählt von dem Mondmann, der sich auf seiner silbernen Kugel langweilt – und unglaublich gerne einmal auf der Erde wäre. Als er dorthin reist, kommt er dem Präsidenten in die Quere, der selbst die ganze Welt erobert hat und auf den Sprung zum Mond ansetzt. Um wieder nach Hause zu gelangen, kann der Mondmann auf seinen Freund, das Genie Bunsen van der Dunkel zählen. Gesprochen wird die Figur des Mondmannes von Katharina Thalbach, der Präsident von Ulrich Tukur. Der elsässische Illustrator Tomi Ungerer (Jahrgang 1931) schrieb und zeichnete den Mondmann 1966 während seiner New Yorker Schaffensperiode. Neben Bilderbüchern beschäftigte sich der Künstler in seinen Arbeiten auch mit Erwachsenenthemen wie Werbung, Politik, Erotik und Tod.

KJK: Sie arbeiten gegenwärtig an der Gestaltung des Animationsfilms "Der Mondmann". Was unterscheidet Ihre Arbeit an diesem Film von anderen Trickfilm-Projekten?
Stephan Schesch: Der Film ist ganz anders als die meisten deutschen Animationsfilme. In seiner Anmutung ist es eher ein französischer Film, denn er basiert auf einem Buch von Tomi Ungerer, der als Elsässer ein deutsch-französischer Autor ist. Normalerweise basieren deutsche Trickfilme zumeist auf Merchandising-Bestsellern. Außerdem sind wir dank diverser Förderungen in der glücklichen Lage, den Film mit Koproduzenten in Frankreich und Irland zu realisieren, ohne dass die üblichen Verdächtigen wie Fernsehsender Einfluss nehmen müssen. Was nicht negativ gemeint ist, aber wir haben die unfassbare Freiheit, nur Tomi Ungerer gegenüber Rechenschaft ablegen zu müssen. Durch diese souveräne Situation konnten wir vorab im Development das gesamte Storyboard zeichnen, mit unseren hochkarätigen Schauspielern die Sprachaufnahmen machen und das zu einem so genannten Animatic montieren. Was eigentlich erst ein Schritt innerhalb der Produktion ist ...

... aber doch meist nur für Teile des Films ...
... nein, das Animatic macht man für den gesamten Film. Das ist eine detaillierte Vorschau des Films. Was bei uns anders war, ist der Einsatz von richtigen Schauspielern wie Ulrich Tukur oder Katharina Thalbach, denn Schauspieler sind auch und gerade für einen Trickfilm besonders wichtig, weil sie dem Film die Seele geben. Normalerweise wird das Animatic mit irgendwelchen Leuten aus dem Studio oder Synchronsprechern gemacht, bei uns hat Katharina Thalbach den Mondmann wirklich zum Leben erweckt. Wir haben beim Animatic auch mehr Mühe darauf verwandt, es visuell so auszuarbeiten, dass wir sogar Kinotestvorführungen damit veranstalten konnten.

Die Musik war auch schon dabei?
Musik, Sprache und Geräusche waren fertig gemischt, man konnte sich neunzig Minuten zurücklehnen und den Film anschauen, aber es war keinerlei Animation drin und nur manche Teile waren koloriert. Zum Teil waren die Reaktionen des Publikums so positiv, dass manche sogar gefragt haben, was fehlt denn da noch, der Film sei doch schon fertig. Sie haben gar nicht wahrgenommen, dass die Animation noch komplett fehlte.

Bisher haben Sie hauptsächlich als Produzent gearbeitet, beim "Mondmann" sind Sie jetzt auch Regisseur. Was hat den Ausschlag gegeben, die Regie zu übernehmen?

Das ist ein bisschen Lebensgeschichte und Werdegang: Ich habe ursprünglich mal an der Filmhochschule in München in der Spielfilmabteilung angefangen und dort Regie gelernt. Danach bin ich in die neu gegründete Produktionsabteilung der Hochschule gewechselt und so auf die schiefe Produzentenlaufbahn geraten.

Warum ist die schief?
Für mich schief, weil es nur das eine Standbein ist. Ich war immer ein Produzent, der es den Kreativen nicht ganz leicht gemacht hat, weil ich selbst sehr ausgeprägte Vorstellungen habe. Andere Produzenten gehen mit Fernsehredakteuren zum Essen und wenn der Fernsehredakteur einen grünen Film will, dann geht der Produzent zu seinen Filmleuten und sagt, macht mir einen grünen Film – und schon ist der Auftrag da. Ich war dagegen eher der Produzent, der die Idee hatte, einen roten Film machen zu wollen und musste entsprechend lange herumlaufen, um die Partner dafür zu finden. Nachdem ich viele Projekte als Produzent aus der Taufe gehoben hatte, unter anderem auch "Die drei Räuber", ebenfalls nach einem Buch von Tomi Ungerer, war für mich klar, das Standbein Produzent steht, jetzt kehre ich zu meinen Ursprüngen zurück, werde das Buch entwickeln und auch die Regie übernehmen.

Wie haben Sie Tomi Ungerer kennen gelernt? Und war es nach der ersten Zusammenarbeit leichter, Tomi Ungerer zu überzeugen?
Über Mittelsfrauen und Mittelsmänner und den Diogenes-Verlag hatte das einen Vorlauf von drei Jahren, bis das erste Treffen zustande kam. Es war für beide Seiten aufregend, weil zum ersten Mal aus einem Buch von Tomi Ungerer ein richtiger Kinofilm gemacht werden sollte. Aus seiner Frage, wie man aus einem so dünnen Büchlein einen langen Kinofilm machen kann, entstand dann eine äußerst fruchtbare Arbeitsbeziehung, um mit ihm Ideen zu entwickeln und Inhalte weiterzuspinnen. So ist ein gegenseitiges Vertrauen gewachsen, um einen zweiten Film zu machen.

Animationsfilme werden in Deutschland in der Regel mit Kinderfilm gleichgesetzt, es gibt äußerst selten Trickfilme, die sich ausschließlich an ein erwachsenes Publikum richten ...
... die Schublade Trickfilm gleich Kinderfilm ist sehr deutsch. Ein Genre und eine Technik wird mit einem Zielpublikum gleichsetzt. Gegen diese Schublade sind wir schon bei den "Drei Räubern" angetreten, denn Tomi Ungerer ist nicht der reine Kinderbuchautor, er hat durchaus auch seine erwachsene Seite, die politischen Plakate und sein erotisches Werk. Und selbst in seinen Kinderbüchern gibt es keine süßliche Rosa-Putzi-Putzi-Welt, in der die Kinder verkindlicht werden: Er nimmt die Kinder als Menschen sehr ernst. Diesen Ansatz werden wir beim "Mondmann" noch konsequenter umsetzen. "Der Mondmann" ist ein Kinofilm für jeden, der ins Kino geht. Er wird eine FSK 0-Freigabe haben und man kann ihn sich mit Kindern ansehen. Schon die Testvorführungen haben gezeigt, dass er auch Erwachsenen sehr gut gefällt – nicht weil er in seiner Geschichte so erwachsen ist, sondern weil er so vielschichtig und feinsinnig erzählt wird.

Wenn "Der Mondmann" kein Kinderfilm sein soll, ist er also Family-Entertainment?
Der Begriff Family-Entertainment sollte den Amerikanern vorbehalten sein, weil sie das perfekt bedienen, obwohl es auch da Unterschiede gibt: Die Dreamworks-Filme sind eher Teenager-Family und Pixar-Filme sind in der Disney-Tradition für Jung und Alt. In Deutschland ist Family-Entertainment zumeist Merchandising, das dann auch noch im Kino zu sehen ist. Kinder sehen ihre Merchandising-Helden auf der Leinwand und sind begeistert – damit ist für Kinder das Soll erfüllt. Für Erwachsene ist das allerdings oft eine echte Tortur, doch warum sollten Kinofilme nicht auch für Kinder vielschichtig und feinsinnig erzählt werden? Cineastische Qualität ist der eigene Anspruch. "Die drei Räuber" waren in Frankreich erfolgreicher als in Deutschland, was vielleicht auch mit dem deutschen Starttermin zu tun hatte: "Die drei Räuber" sind quasi parallel zu "Ratatouille" ins Kino gekommen.

In Deutschland hatten "Die drei Räuber" 170.000 Zuschauer, in Frankreich dagegen 600.000 Zuschauer, also mehr als das Dreifache: Liegt es nur am Markt und der Konkurrenz zu "Ratatouille" oder auch an der Vermarktung?
Es ist immer ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren: "Ratatouille" war eine Major-Produktion mit riesigem Werbeaufwand und großem Marketing-Etat – es war wirklich ein Familienfilm für Jung und Alt und keine Parodie auf amerikanische Popkultur, sondern ein sehr europäischer Film über gutes Essen in Paris. Kernzielgruppe war das Feuilleton-Publikum und das hat sich total mit dem "Drei-Räuber"-Publikum überschnitten. Zum anderen kennt das deutsche Publikum einen anspruchsvolleren deutschen Trickfilm gar nicht. Das ist in Frankreich ganz anders, dort ist das Publikum an Produktionen wie "Das Geheimnis der Frösche" gewöhnt, ein Film, der in Frankreich eine Million Kinozuschauer hatte und für mich immer ein Vorbild war. Durch eine viel breitere Comic-Kultur und viele unterschiedliche Trickfilme ist das französische Publikum vielseitiger. Die Reaktionen auf die Testvorführungen von "Der Mondmann" zeigten uns, dass sich inzwischen auch das deutsche Publikum nach allzu viel Family-Entertainment nach einem Kinofilm à la Tomi Ungerer sehnt.

Bei der traditionellen 2D-Zeichentrickfilmproduktion ist es üblich, die physische Produktion des Films ausländischen Studios zu übertragen. Sie verwirklichen den "Mondmann" in einer deutsch-französisch-irischen Koproduktion und Ihre Zeichner und Zeichnerinnen arbeiten in Berlin-Kreuzberg. Ist das nicht zu teuer?
Bei den "Drei Räubern" hatten wir die gesamte kreative Vorleistung in Deutschland gemacht und die Animation selbst nach Südostasien ausgelagert. Beim "Mondmann" ist die Auslagerung schwierig, um das kreativ gewünschte Ergebnis zu bekommen. Und die technische Entwicklung hat immense Fortschritte gemacht: Unsere Animatoren arbeiten alle auf Cintex, das sind Grafikbildschirme, auf denen man mit einem Grafikstift zeichnet. Mit dieser Technik kann man anders als früher auf Papier schneller und viel effektiver sein, weil die Korrekturen digital erfolgen. Dadurch ist ein Teil der Kosten aufzufangen, so dass wir es auch hier schaffen. Deshalb haben wir in hohem Maße die entsprechenden Förderungen des Deutschen Filmförderfonds (DFFF) und vom Medienboard Berlin-Brandenburg bekommen. Ganz komplett stimmt nicht, denn die Hintergrundmalerei und einen Teil der Animation lassen wir über unseren Koproduzenten in Irland machen.

Sie drehen Ihren Film in 2D, wie stehen Sie zum Thema 3D? Bei vielen 3D-Produktionen fragt man sich, warum sie in dieser Technik hergestellt wurden, denn sie funktionieren auch in 2D. Wird das 3D-Kino in Zukunft populär bleiben?
Es gibt 3D in zwei Richtungen, das eine ist die Produktionsweise, bei der mit computeranimierten 3D-Modellen der Film geschaffen wird, der später auch im Kino stereoskopisch zu sehen ist. Als wir mit den Arbeiten zu den "Drei Räubern" begonnen haben, der in klassischem 2D animiert ist, hatte Disney groß verkündet, sie würden nie mehr einen 2D-Zeichentrickfilm herstellen. Und als die "Drei Räuber" drei Jahre später fertig waren, gab Disney bekannt, als Nächstes "Küss den Frosch" in 2D herauszubringen. Wir benutzen Computer, aber darauf ist alles handgezeichnet. 2D Zeichentrick ist eine Technik, die es fast so lange gibt, wie die Bilder laufen lernten. Und sie wird auch in Zukunft Bestand haben. Der Film "Das weiße Band" war auch in Schwarz-Weiß, obwohl es längst den Farbfilm gibt. Das ist das eine, sozusagen hinter der Leinwand. Das andere passiert vor der Leinwand: Die Kinos werden technisch in die Lage versetzt, Filme stereoskopisch vorzuführen. Ein Erfolg wie "Avatar" zog eine Welle von technischen Umrüstungen der Kinos nach sich. Dazu kommt, dass 3D-Filme, solange sie im Kino laufen, gegen Piraterie gefeit sind – sie lassen sich nicht einfach von der Leinwand abfilmen – und darüber freut sich die gesamte Filmindustrie. Ich habe meine Zweifel, ob 3D aber von Bestand sein wird, denn ich habe es bei meinen eigenen Kindern und deren Freunden erlebt, die von den Brillen allmählich genervt sind. Und mir persönlich geht es nicht anders. "Avatar" in 3D ist toll, aber einen Woody-Allen-Film oder "Der Mondmann" will man nicht in 3D sehen.

Interview: Manfred Hobsch

 

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