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Ausgabe 129-1/2012

"Ich gehe ziemlich liebevoll mit meinen Figuren um"

Gespräch mit Paul Maar anlässlich der Dreharbeiten zu "Sams im Glück" in Bamberg

(Interview zum Film SAMS IM GLÜCK, zum Film DAS SAMS – DER FILM und zum Film DAS SAMS IN GEFAHR)

KJK: Zehn Jahre nach dem ersten SAMS-Film und nach acht Jahren Pause entsteht nun ein dritter Teil. Warum – und warum so spät – nach den ersten beiden Verfilmungen?
Paul Maar: Ich hätte nie an einen dritten Teil gedacht. Dann kam Ulrich Limmer und meinte, lass uns doch noch einen dritten Teil drehen. Darauf habe ich ihm mein sechstes SAMS-Buch "Onkel Alvin und das Sams" in die Hand gedrückt und sagte: Bitte verfilme es! Nach einer Woche meinte er, das Buch gefalle ihm zwar sehr gut, aber es werde kein SAMS-Film. Denn die Hauptperson ist nicht Herr Taschenbier, sondern sein Sohn Martin, dessen Freund Roland nebst Freundinnen, die zusammen mit dem Sams wie eine Jugendbande durch die Stadt ziehen und alles auf den Kopf stellen. Ulrich Limmer meinte, ein SAMS-Film müsse aber mit Herrn Taschenbier, Herrn Mon und Frau Rotkohl sein. Dazu sollten wir uns zusammen etwas einfallen lassen. Er kam dann nach Bamberg, wir sind spazieren gegangen und hatten schon die entscheidende Idee, die den ganzen Film auslöst und trägt. Wenn ein Sams länger als zehn Jahre bei demselben Menschen lebt, verwandelt sich dieser langsam und unmerklich und immer mehr in ein Sams. Nicht, dass er eine Rüsselnase bekommt, aber er wird samsig. Der schüchterne Herr Taschenbier fängt plötzlich an, herum zu spinnen, bestellt bei 30 verschiedenen Pizzerien je eine Pizza, weil er so verfressen ist wie ein Sams. Er reitet auf dem Kamel, bricht sogar aus reiner Lust nachts in eine Schokoladenfabrik ein. Das war also die entscheidende Idee, mit der wir weiterarbeiten konnten. Wir haben uns dann zehn Tage nach Italien in ein einsames Haus zurückgezogen und hatten nach unserer Rückkehr ein zwölfseitiges Exposé mit der genauen Abfolge der möglichen Szenen. Ulrich Limmer hat dann in München die erste von insgesamt vier Fassungen des Drehbuchs geschrieben. Und ich habe daraus in Bamberg ein Kinderbuch gemacht, das siebte in der SAMS-Reihe. Es ist wirklich interessant, wie sich aus einer Wurzel ganz verschiedene Blüten entwickelten.

Alle wichtigen Darsteller der ersten beiden Teile sind nach acht Jahren wieder dabei, nur der Regisseur Ben Verbong nicht, wieso?
Das kann Ulrich Limmer sicher besser beantworten. Aber soviel ich weiß, dreht Ben Verbong im Herbst einen Krimi und hat keine Zeit.

Der neue Film heißt "Sams im Glück". Sicher haben Sie in den Medien davon gehört, dass sich die Deutschen angeblich alle sehr glücklich fühlen. Wollten Sie zu diesem Glück etwas beitragen?
Ja, natürlich (lacht)! Es ist aber eine Anspielung auf das Märchen vom Hans im Glück. Deswegen heißt im Buch auch ein Kapitel so. Herrn Taschenbier geht es im Verlauf der Geschichte immer schlechter. Sein Haus ist kaputt, die Maschine, die er baut, explodiert, Sams verschwindet, er wird entlassen, hat keinen Job mehr und sagt dann: "Ich fühl' mich jetzt ein bisschen wie Hans im Glück." Man fragt ihn dann, wie er das meine. Die Märchenfigur hat ja zuerst einen Goldklumpen, dann eine Kuh, schließlich einen Mühlstein und zum Schluss gar nichts mehr. Der Unterschied ist allerdings der, dass Hans im Glück im Märchen sagt, er sei der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt, während Herr Taschenbier sich in diesem Moment für den unglücklichsten hält. Aber es geht ihm dann ähnlich wie Hiob im Alten Testament, dem zunächst auch alles genommen wird. Ihm wird dann alles wiedergegeben – durch das Sams.

Die SAMS-Filme werden auch als Kinderfilme wahrgenommen, obwohl Kinder nur im zweiten Teil im Mittelpunkt stehen. Wie erklären Sie sich den großen Erfolg dieser Filme?
Ich wehre mich ein bisschen gegen die Bezeichnung Kinderfilm, wir sagen immer, es sei ein Familienfilm. Schließlich läuft der Film auch am Abend vor erwachsenem Publikum. Wenn man einen guten Film macht, der in sich stimmt und der nicht so kindisch ist, dann interessiert dieser Film die Erwachsenen genauso wie die Kinder. Sehr bekannte Kinderbücher, zum Beispiel "Gullivers Reisen" oder "Robinson Crusoe" sind ebenfalls Kinderbücher, die eigentlich für die Erwachsenen geschrieben und dann von den Kindern annektiert worden sind, obwohl darin kein einziges Kind vorkommt. Wenn es so eine Figur gibt wie Herrn Taschenbier, der innerlich immer noch ein Kind geblieben ist, also kein Macho wie manche Erwachsenen, der schüchtern ist und eine kindliche Freude an manchen Dingen hat, identifizieren sich Kinder meiner Meinung nach ganz stark mit solchen Figuren. Ganz davon abgesehen ist das Sams für sie auch so eine Art Kind.

Die Erwachsenen werden nicht so stark karikiert wie in Kinderfilmen oft üblich.
Nein, eigentlich nicht, ich gehe ziemlich liebevoll mit meinen Figuren um. Die haben alle ihre Marotten wie der Herr Mon, der seine bestimmte Sprache hat und sich mit seinen Sätzen immer selbst wiederholt. Sie sind natürlich ein bisschen überzeichnet, das muss sein, damit sie stimmige Charaktere werden, die jeder sofort nachvollziehen und in ihrer Rolle einordnen kann, aber sie bleiben trotzdem menschlich, denke ich.

Sie haben seinerzeit angefangen, für Kinder zu schreiben, weil es damals kaum gute Kinderliteratur gab. War das bei den Verfilmungen ähnlich?
Nicht unbedingt. Allerdings hat es ungefähr 15 Jahre gedauert, bis ich in die Verfilmung eingewilligt habe. Es gab mehr als 20 Filmfirmen, die alle "Das Sams" verfilmen wollten. Immer war ich zum Bedauern des Verlags derjenige, der das nicht wollte. Ich hatte Angst, dass ein Film bei den Kindern die eigene Vorstellung von dem Sams zerstören könnte, vor allem, wenn man das Sams in Großaufnahme bis in jede Pore hinein sieht. Ich hatte auch die Befürchtung, dass es dann aussieht wie ein Kind mit aufgeklebter Nase zu Fasching. Dann kam Ulrich Limmer, der mir diese Angst nahm. Er meinte, die Maskentechnik habe sich in den vergangenen 15 Jahren bedeutend verbessert, und er schlug dazu auch gleich den Maskenbildner Waldemar Pokromski vor, der gerade an dem Oscar-preisgekrönten Film "Der Pianist" von Roman Polanski mitgearbeitet hatte. Kein Mensch würde sehen, dass es eine aufgeklebte Nase wäre – und es ist dann eigentlich auch so geworden.

Warum spielen die SAMS-Filme alle in Bamberg, mal abgesehen davon, dass das Ihre Wahlheimat ist?
Das hat einen zufälligen Grund. Die Erlaubnis für die Verfilmung meines Buches war an die vertraglich festgelegte Bedingung geknüpft, dass ich das Drehbuch schreibe und ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Schauspieler sowie ein Vetorecht beim Regisseur habe. Einen Regisseur, der mir überhaupt nicht zusagt, hätte ich ablehnen können. Dann kam Ulrich Limmer mit Ben Verbong nach Bamberg, um ihn mir vorzustellen. Ben hatte mir klugerweise schon Kassetten mit vier seiner Filme zugeschickt, die er in Holland gedreht hatte. Da mir diese Filme sehr gut gefallen haben, war es eine Sache von zehn Minuten, bis ich ihn als Regisseur akzeptierte. Da wir zwei Stunden Zeit bis zur Abfahrt des Zuges hatten, wollte ich ihm meine Stadt zeigen. Ben blühte in der Altstadt auf und war begeistert, dass es noch unzerstörte alte deutsche Städte gebe, die den Zahn der Zeit aufweisen und nicht so herausgeputzt wirken wie Rothenburg ob der Tauber. Er meinte, hier würde er gerne drehen. Ulrich Limmer warf ein, er habe sich einen Drehort in der Nähe von München vorgestellt, wo die am Film Beteiligten abends heimfahren könnten und damit keine Hotelkosten anfallen. Aber er hat sich erfreulicherweise darauf eingelassen. Der erste Film war dann ein Erfolg, auch für Bamberg als Stadt. Alle haben gefragt, wo das gedreht sei, was das für eine schöne Stadt sei, zumal sie im Filmabspann nicht genannt wurde. Inzwischen hat sich Bamberg richtig zu einer Filmstadt entwickelt, nicht zuletzt durch den Erfolg des ersten SAMS-Films.

Sicher wurden Sie schon oft gefragt, wie Sie damals zu dieser SAMS-Figur gekommen sind ...
Ich bin eigentlich von diesem schüchternen und angepassten Herrn Taschenbier ausgegangen. In meiner Kindheit gab es einen Menschen, der war so wie ich Herrn Taschenbier beschrieben habe. Weil ich also damals sehr schüchtern war, wollte ich nicht so wie dieser Herr Taschenbier werden. So kam ich auf die Idee zu zeigen, wie dieser Mensch sein könnte, wenn er alles in sich zulassen würde, was jeder Mensch in sich hat. So habe ich eine Gegenfigur erfunden, und da er schüchtern ist, muss diese frech sein. Wenn er ängstlich ist, muss sie mutig sein, wenn er kontaktgestört ist, muss sie jeden anquatschen, wenn er ein bisschen melancholisch ist, muss sie witzig sein und sich am meisten über die eigenen Späße freuen. Wenn eine Geschichte mit gegensätzlichen Figuren arbeitet, ist sie auch nicht langweilig, dann entsteht eine Spannung. So kam die Geschichte zustande.

Was inspiriert Sie denn allgemein beim Schreiben?
Ich sammle das ganze Jahr über Ideen. Da gibt es eine Schublade links in meinem Schreibtisch. Wenn ich unter der Dusche plötzlich eine Idee habe, ziehe ich mir einen Bademantel an, renne in mein Arbeitszimmer und mache mir ein paar Notizen. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich auf der Autobahn plötzlich eine Idee hatte. Dann fahre ich auf den Parkplatz, habe nichts zu schreiben und nehme die Rückseite vom Vertrag, den ich gerade bekommen habe und schreibe die Rückseite voll. Auch das kommt dann in die Schublade. Irgendwann nach einem halben Jahr nehme ich mir dann vier Monate frei, in denen es keine Lesung und keinen Termin gibt. Dann ziehe ich mich nach Birkenfeld zurück, das ist ein kleiner Ort Richtung Ebern, da haben wir ein Haus gemietet, in dem es keinen Fernseher gibt, das würde mich nur ablenken. Auch die Telefonnummer kennt nur meine Familie. Dort kann ich mich schnell und tief konzentrieren. Ich nehme mir dann die Notizen aus der Schublade vor und wähle sie aus. Dann fange ich an zu schreiben, verwerfe manches wieder und nach etwa einer Woche bin ich so in einer Geschichte drin, dass sie fast von alleine weiterläuft.

Bei allen drei SAMS-Filmen und bei zwei weiteren Ihrer Buchverfilmungen haben Sie das Drehbuch mit Ulrich Limmer geschrieben. Wie arbeiten Sie zusammen?
Die Filme entstehen wirklich in Zusammenarbeit. Zum Beispiel ist auch schon bei "Herr Bello" das Buch parallel zum Film entstanden, wie jetzt wieder bei "Sams im Glück". Bei der Verfilmung von "Das Sams" war Ulrich Limmer, der schon über 20 Drehbücher geschrieben hatte, noch ein Supervisor für mich, der mir gezeigt hat, was geht und was nicht. Wir haben dann schnell gemerkt, dass wir sehr gut zusammenarbeiten können. Es gibt auch eine Abmachung: Wenn einer die Idee des anderen nicht gut findet und sie nicht haben möchte, gibt es darüber keine Diskussion mehr. Wir akzeptieren das beide und dann geht es nur noch um die Frage: Was machen wir stattdessen? Jedes Mal finden wir eine bessere Szene. Wichtig ist, dass es zwischen uns keine Konkurrenz und keine gegenseitigen Eitelkeiten gibt. Wir wollen einfach ein gutes Drehbuch entwickeln, ganz egal, von wem die Idee stammt.

Vor Ihrer Karriere als Schriftsteller waren Sie Kunstlehrer. Haben Sie je die Entscheidung bereut, Schriftsteller zu werden?
Nie, (lacht) nie! Das heißt nicht, dass ich ein schlechter Lehrer war, ich habe das gerne gemacht. Aber dann merkte ich, ich muss mich entscheiden: entweder mit ganzem Herzen Lehrer oder mit ganzem Herzen Autor. Ich konnte nicht immer nur schreiben und mich gleichzeitig auf den Unterricht vorbereiten, damit mir die Schüler nicht entgleiten. Man muss sich entscheiden und ich habe es nicht bereut.

Interview: Holger Twele

 

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