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Ausgabe 130-2/2012

RUSSENDISKO

Produktion: Black Forest Films; Deutschland 2012 – Regie: Oliver Ziegenbalg – Buch: Oliver Ziegenbalg, nach Wladimir Kaminers Buch "Russendisco" – Kamera: Tetsuo Nagata – Schnitt: Peter R. Adam – Musik: Lars Löhn – Animation: Alla Churikova – Darsteller: Matthias Schweighöfer (Wladimir Kaminer), Friedrich Mücke (Mischa), Christian Friedel (Andrej), Peri Baumeister (Olga), Susanne Bormann (Hanna), Pheline Roggan (Helena), Rainer Bock (Herr Kaminer), Imogen Kogge (Frau Kaminer) u. v. a. – Länge: 100 Minuten – Farbe – FSK: ab 6 – Verleih: Paramount – Altersempfehlung:  ab 12 J.

Ostberlin im Sommer 1990: Wladimir, Mischa und Andrej kommen aus Moskau in die Noch-Hauptstadt der DDR als sogenannte jüdische Kontingentflüchtlinge. Die drei Freunde, die sich seit ihrer Kindheit kennen, stürzen sich sofort ins pralle Ost-Berliner Leben der Improvisation, der besetzten Häuser, der kreativen Hinterhöfe. Und der schönen Mädchen. In der Flüchtlingsunterkunft haben sie ihren Spaß, wenn die betrunkenen Vietnamesen ihre Autos im Hof zu Schrott fahren.

Das Trio ergänzt sich: Wladimir ist der Organisator, leichtfüßig und gewitzt, Mischa der Romantiker, der nur seine Musik machen will, während der seelenvolle Andrej vom großen Business träumt. Schon bald haben sie ein kleines: Am S-Bahnhof Lichtenberg verkaufen sie geschmuggelte Zigaretten, neben ihnen die Mädels aus dem Spreewald mit ihren Gurken. Sie scheinen auf der Glücksseite des Lebens gelandet, sind im Auf- und Umbruch wie der Ostteil der Stadt, der noch nicht wiedervereinigt und abgewickelt ist. Noch existieren jede Menge Freiräume nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den Häusern. Die drei beziehen eine komplett eingerichtete Altbauwohnung, die von geflohenen Ostberlinern verlassen worden war. Das passt gut, denn Wladimirs Eltern haben sich entschlossen, ebenfalls von ihrer jüdischen Herkunft Gebrauch zu machen und nach Berlin umzusiedeln. Mit im Gepäck Wladimirs Schallplatten. Und ab geht die Post, russische Nächte mit Wodka, Weib und Seelenpunk. Olga ist an Wladimirs Seite, eine Tänzerin in einem alternativen Hinterhofprojekt, mit dabei ihre Freundin Hanna und Journalistin Helena, die interessante Russen interviewt, in die sich alle verlieben, die sie aber abserviert. So auch Mischa. Aber da ist ja noch Hanna. Nicht ohne Hintergedanken macht er ihr einen Heiratsantrag. Denn sein Visum läuft ab, da er keine jüdischen Wurzeln hat. Ein Plan, der gründlich schief geht. Hanna ist tief verletzt und Olga, geboren in Sachalin, dem härtesten und kältesten Teil der Sowjetunion – wie eine geniale Zeichenanimation mit rotem Stern veranschaulicht – macht Schluss mit Wladimir, dem vermeintlichen Anstifter, will zurück nach Moskau. Mischa kommt dann doch noch zu seinem Visum, da die jüdische Gemeinde ihn als Organisten gebrauchen kann.

Nun sind alle angekommen – in der Berliner Realität der kalten Jahreszeit. Der Zigarettenverkauf läuft nicht mehr, die Wohnung weckt Begehrlichkeiten, Andrejs Heimweh wird immer machtvoller, außerdem: Das große Business läuft in Moskau. Nicht in Berlin. Er verlässt die Freunde. Die sind deprimiert, betrinken sich – und entdecken in ihrer Stammkneipe bei Anatol einen Nebenraum, in dem einst sozialistische Feiern stattfanden. Sie räumen alles raus und eröffnen unter einem riesigen Roten Stern ihre "Russendisko" mit Wladimirs Platten und Mischa live, ganz im Spirit der Original-Russendisko, die einst im "Café Burger" in Berlin vom echten Wladimir Kaminer gestartet wurde.

Ende gut – alles gut. Und wenn sie nicht gestorben sind … Nein, die Protagonisten dieses Großstadtmärchens leben heute noch in Berlin, Olga und Wladimir Kaminer, der Autor des Bestsellers "Russendisko", nach dessen Vorlage Oliver Ziegenbalg sein Drehbuch entwickelt hat. Kein leichtes Unternehmen, denn das Buch besteht aus skurrilen Kurzgeschichten, ironisch und selbstironisch, frech und humorvoll, die sich nicht in ein Episoden-Filmkonzept einbinden ließen. Also entschied sich der Drehbuchschreiber und Regisseur für eine neue Herangehensweise, fing die Stimmung jener frühen Jahre ein, die Dynamik und den Drive der jungen Russen, die aus Moskau nach Berlin kamen. Wo Prenzlauer Berg noch ein heruntergekommener Arbeiterbezirk war, wo noch keine west-, süd- und norddeutschen Eigentümer oder Investoren die alten Mietshäuser mit Außenklo zu feinen Adressen aufmotzten.

Weil diese Locations in Berlin nicht mehr zu finden sind, wurde auf dem Filmgelände Babelsberg in der Berliner Straße gedreht mit zwei Hauptdarstellern, die schon in "Friendship" ein eingespieltes Team waren: Friedrich Mücke und Matthias Schweighöfer, hinzu kam Christian Friedel. Ein gutes Zusammenspiel. Wie überhaupt die ganze Geschichte mitreißend inszeniert ist, mit originaler Musik und ohne deutsch-russischen Sprechbrei. "Russendisko" ist das Spielfilmdebüt des bis dahin erfolgreichen Drehbuchautors Oliver Ziegenbalg, der das Regie-Handwerk allein vom Zusehen gelernt hat (siehe Interview KJK 122-2/2010). Wie man sehen kann – mit Erfolg. Man braucht nur eine Haltung, sagt er, denn "man ist umgeben von absoluten Spezialisten in ihrem Bereich … Man muss ihnen nur vermitteln können, was man meint und was man will. Dann erhält man grandiose Resultate." Wladimir Kaminer gefällt der Film, der seine Geschichte erzählt und in dem er selbst eine kleine Rolle übernommen hat. Der Rezensentin auch.

Gudrun Lukasz-Aden

 

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KJK-Ausgabe 130/2012

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