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Ausgabe 131-3/2012

Du musst zu dem stehen, was du bist, und was draus machen – so wie Nono

Gespräch mit Rommel Tolentino über seinen Film "Nono"

(Interview zum Film NONO)

Rommel Tolentino, 1969 auf den Philippinen geboren, absolvierte ein Studium der Kommunikationswissenschaften an der katholischen Santo Tomas Universität in Manila, war danach als Werbefotograf tätig und nahm ein Filmstudium am Filminstitut der Universität Manila auf. Seit 2004 realisiert er Kurz- und Spielfilme.

KJK: Was hat Sie zu Ihrem Film "Nono" inspiriert?
Rommel Tolentino: Die Geschichte ist dicht an der Realität. Ich habe nämlich einen Freund, der der Figur meiner Film-Mutter sehr nahe kommt und dessen Kind auch eine Hasenscharte hat. Die beiden haben eine ähnlich enge Beziehung wie Nono oder Toto und seine Mutter, sie necken sich in einer Tour. Der Junge wurde wegen seiner Fehlbildung nicht etwa geschont, und so ist er mit großem Selbstvertrauen aufgewachsen. Manchmal ist der Sohn meines Freundes auch einige Zeit bei mir, und als ich auf die Idee kam, einen Film über den auf den Philippinen äußerst beliebten Vorlesewettbewerb zu machen, dachte ich, dass es gut wäre, seine Figur mit dieser Geschichte zu verbinden. Denn das eigentliche Thema unseres Films ist ja die Kommunikation bzw. die Schwierigkeiten einer "normalen" sprachlichen Verständigung. Nono leidet daran wegen seines angeborenen Handicaps, der neue Freund der Mutter spricht einen Dialekt, den keiner versteht, und sie wiederum versucht, Japanisch zu lernen. In ihrem Haushalt werden damit schon drei Sprachen gesprochen …

Warum lernt sie eigentlich Japanisch?
Es gibt viele Frauen bei uns, die als Unterhaltungskünstlerinnen, als sogenannte "Japayukis", nach Japan gehen wollen. Überhaupt ist es in den Slums ziemlich üblich, dass die Frauen eine Fremdsprache lernen – zum Beispiel auch Deutsch, weil sie einen deutschen Mann heiraten, oder Koreanisch, weil sie in Korea arbeiten wollen. Sie strengen sich so an, weil sie sich im Ausland bessere Lebensbedingungen erhoffen. Denn egal, wer an der Regierung ist, für die meisten Filipinos geht es immer nur bergab. Aber da muss man durch und egal, ob du arm bist, du musst zu dem stehen, was du bist, und was draus machen – so wie Nono.

Nono ist also ein Symbol für den Überlebenswillen der Philippinen?

Nicht nur Nono, sondern alle drei Kinder – auch der dicke Badong und der schwerhörige Ogoy. Deshalb haben wir sie auch in die Farben der Flaggen für die drei größten philippinischen Inseln gekleidet – Nono in gelb, Badong in rot und Ogoy in blau. Das muss man zwar nicht wissen, aber für uns ist es ganz selbstverständlich, dass Nono für Luzon, die größte Insel der Philippinen im Norden steht, der dicke Badong für die Visayas, die Inselgruppe in der Mitte, und Ogoy für das entfernte Mindanao im Süden des Landes.

Der Film zeigt zwei starke Frauen – Glenda, Nonos Mutter, die in einer Bar arbeitet und deren flüchtiges Liebesleben von ihrem Sohn schwer kritisiert wird, und die Lehrerin Miss Dimaculangan, die von Eltern und Schülern ständig beschenkt wird. Ist das bei Ihnen so üblich?

(lacht) Ja, das ist auf den Philippinen gang und gäbe. Man hofft damit, die Lehrer für seine Kinder gnädig zu stimmen. Die beiden Frauen sind typische Vertreterinnen unserer Gesellschaft, wobei Glenda der modernen philippinischen Frau entspricht und die Lehrerin die Werte der führenden Schicht verkörpert. Aber auch wenn sie sich absolut konträr verhalten, kümmern sich doch beide mütterlich um den Jungen. Und wenn die Lehrerin versucht, Nono auszuschließen vom gemeinsamen Singen und dem kreativen Vorlesewettbewerb während der "Linggo ng Wika", der  Woche der National-Sprache, die im August jeden Jahres in Schulen, Universitäten und Regierungseinrichtungen mit Paraden, Ausstellungen, Schreib- und Lesewettbewerben gefeiert wird, macht sie das nicht, um ihn zu demütigen, sondern weil sie ihn wegen seines sprachlichen Handicaps vor Häme und Spott schützen will. Glenda hingegen versucht, ihren Sohn selbstbewusst, stark und absolut unabhängig von der Meinung anderer Leute zu machen. Miss Dimanculangans Haltung in Bezug auf den Umgang mit Behinderten entspricht der unserer Gesellschaft und wird natürlich von der Mehrheit geteilt.

Was ist eigentlich mit Nonos Vater?
Den hat Nono nie gesehen. Als der erfuhr, dass er Vater wurde, hat er sich sofort aus dem Staub gemacht – wie so viele bei uns in so einer Situation. Jedenfalls ist es in den Städten und Vorstädten ziemlich üblich, dass sich die werdenden Väter der Verantwortung entziehen. Keiner regt sich darüber auf.

"Nono" ist Ihr zweiter Spielfilm. Seit wann machen Sie Filme?
Seit 2004. Ich habe erst etliche Kurzfilme gedreht, insgesamt zwölf, und wurde dafür auf dem "Cimelaya Philippine Independent Film Festival" auch mehrfach ausgezeichnet. Mit "Andong", meinem 20-minütigen Film über einen sechsjährigen Jungen aus den Slums, der allen Widerständen zum Trotz an seinen Träumen festhält, erhielt ich 2008 den SONJE-Preis auf dem 13. internationalen Film-Festival in Pusan und 2009 sowohl den Publikumspreis als auch den Preis der Presse auf dem internationalen Kurzfilm-Festival in Clermont Ferrand. Im selben Jahr brachte ich meinen ersten Spielfilm heraus, einen Kinderfilm, der im Studio gedreht wurde, und auf den Philippinen einen Preis für Rio Locsin als bester Darstellerin und Jan Harley Hicana als bestem Nebendarsteller bekam. Das Exposé für "Nono" schrieb ich 2008 und schickte es an den "Asian Cinema Fund", da wurde es auch gefördert und mit dem Geld habe ich mich an das Drehbuch gemacht, das dann 2009 in Pusan ausgezeichnet wurde. Aber Geldgeber für den Film fanden wir trotzdem nicht. Und dann haben mein Produzent Lorenzo Reyes und ich uns gesagt, dann müssen wir es eben machen wie in unserem Film, und mit Hilfe unserer Familien ist "Nono" eine richtige Familien-Produktion geworden. Mit anderen Worten: In diesem Projekt steckt das Geld und die Arbeit unser beider Familien und Freunde, Film-Studenten haben freiwillig und unentgeltlich für uns gearbeitet und die Vorbereitung war so gut, dass wir den Film Ende April 2011 in zehn Tagen drehen konnten. Für den Sound, die Musik und den Schnitt hatten wir einen Monat Zeit – das ist wirklich nicht viel, aber wir mussten uns so beeilen, damit wir im Juli auf dem philippinischen Film-Festival teilnehmen konnten.

Wovon handeln denn Ihre anderen Filme?
Zu 80 Prozent von Kindern und meistens von Kindern, die in den Slums leben. Ich finde, viele philippinische Regisseure machen gute Filme über, mit und für Kinder. Das ist eine sehr schwere, aufwändige Arbeit und immer ein Risiko. Dazu gehört viel Liebe und "Nono" war wohl mein größter "Babysitter-Job". Wir müssen ja extrem sorgsam mit den Kindern umgehen – wenn sie nicht mehr wollen oder können, müssen wir mit dem Drehen aufhören. Eigentlich arbeiten sie bei uns so, als ob sie zur Schule gehen, also von 8 bis 5 Uhr, natürlich mit den entsprechenden Pausen und dem freien Wochenende. Außerdem sind immer ihre Eltern dabei – bei "Nono" hatten wir also drei Familien am Set. Die Erwachsenen haben auf diese Weise mitbekommen, was ihre Kinder da machen, und die hatten dadurch die doppelte Aufmerksamkeit. Wir wollen aber nicht nur gute Filme für Kinder machen, sondern sie auch lehren, Filme zu sehen.

Und jetzt sind Sie hier mit „Nono“ auf der Berlinale!
Ja, es ist wie ein Traum. Wir können noch gar nicht glauben, dass wir "Nono" nach Europa, nach Deutschland bringen konnten.

Wie sind Sie überhaupt zum Film gekommen? Ich nehme an, Sie sind in einer bürgerlichen Familie aufgewachsen?
Ja, mein Vater war früher Chef bei der philippinischen Navy, meine Mutter Angestellte bei der Regierung, bis sie geheiratet haben und sie dann zu Hause blieb. Ich war nach meinem Studium der Kommunikationswissenschaften an der katholischen Santo Tomas Universität in Manila Werbefotograf. Ich habe mich eigentlich immer als Fotograf gesehen, bis ich einige Filmklassen des Philippinischen Filminstituts an der Universität besuchte. Seither habe ich die Kamera nicht mehr aus der Hand gegeben, meine eigenen Bücher geschrieben und die meisten Filme auch selbst produziert.

Für ein Kind der Mittelklasse war es sicher nicht leicht, in den Slums klar zu kommen.
Stimmt – und damit wir die Leute und ihre Umgebung richtig kennen lernen, müssen wir auch immer rund zwei Monate dort leben. Kinder kümmern sich zum Glück nicht um die sozialen Unterschiede – sie bleiben Kinder, egal ob in den Slums oder in den 'besseren' Vierteln.

Wie und wo haben Sie Ihren Hauptdarsteller gefunden?
Durch einen Tipp. Wir haben ja seit Oktober 2010 gesucht, denn der Film steht und fällt ja mit der Titel-Besetzung.  Erst sind wir zu den Casting-Agenturen gegangen, was gar nichts gebracht hat, dann in die Grundschulen, dann in die Slums, wo wir Axle Aeiou Samson, unseren Nono, schließlich gefunden haben. Er war damals gerade sieben Jahre alt. Wir fragten ihn, ob er Lust habe, in dem Film zu spielen, und er sagte: „Ich hab’ nicht gewusst, dass ich Schauspieler werden könnte. Aber nun will ich es unbedingt werden.“ Er hat uns aber auch wirklich beeindruckt, der Kleine war einfach perfekt, und wir waren sehr glücklich mit ihm. Es ist ja eine alte Erfahrung, dass man mit Kindern beim Drehen kaum Probleme hat. Sie wussten immer, was zu tun war, aber die erwachsenen Schauspieler kamen schwer damit zurecht, dass die Kinder spontan reagierten und oft etwas anderes gesagt haben als im Dialog festgelegt. Aber das Schlimmste beim Dreh war, dass der Junge, der den Ogoy spielt, tatsächlich von seiner Mutter verlassen wurde. Wir haben das vorher gar nicht gewusst, denn es war die Großmutter, die uns das Kind gebracht hatte. Mit anderen Worten, die Geschichte im Film hat seine Lebensgeschichte noch mal wiederholt. Das kam erst raus, als uns sein Vater beim Dreh fragte, warum wir die Geschichte von seinem Sohn mit hineingenommen hätten. Er hat allen Ernstes gedacht, wir hätten sie nach dem Leben geändert – was wir ganz erschrocken verneint haben. Als wir eine Vor-Aufführung des Films gemacht haben, war die ganze Stadt da, auch die Familie der Mutter. Die hat bei dem Film ganz schlimm geweint, der Vater auch. Aber der Großvater war richtig verletzt und hat sich in seinem Schmerz heftig betrunken. Verrückt, wie wir da vom Leben eingeholt wurden!

Mit Rommel Tolentino sprach Uta Beth nach der Aufführung des Films "Nono" im Programm von "Generation" / Berlinale 2012

 

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