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Ausgabe 133-1/2013

ZIGEUNER

Bild: ZIGEUNER
© Schlingel Festival / Produktion

CIGÁN

Produktion: In Film Praha /Titanic s.r.o. /RTVS / Tschechisches Fernsehen; Slowakische Republik / Tschechische Republik 2011 – Regie: Martin Šulík – Buch: Marek Lešcák, Martin Šulík – Kamera: Martin Šec – Schnitt: Jirí Brožek – Musik: Peter Mojžiš – Darsteller: Janko Mižigár (Adam), Miroslav Gulyas (Onkel), Martina Kotlárová (Julka), Attila Mokos (Priester) u. a. – Länge: 107 Min. – Farbe – Kontakt: MK 2, S.A, 55, rue Traversière, 75012 Paris, France, Phone +33 144673000, Email: intlsales@mk2.com – Altersempfehlung: ab 14 J.

Insbesondere in osteuropäischen Ländern werden die vor vielen Jahrhunderten aus Indien ausgewanderten Roma heute unter völliger Missachtung der Menschenreche ausgegrenzt, ihrer Menschenwürde beraubt, in Ghettos abgeschoben, mit scheinbar unauslöschbaren Klischees und Vorurteilen konfrontiert. Auf diese unhaltbare Situation verwiesen engagierte Filmemacher jener Länder, beispielsweise Emir Kusturica mit "Time of the Gypsies" (1988) im ehemaligen Jugoslawien, Dorota Kedzierzawska mit "Teufel, Teufel" (1991) über die Ankunft eines Roma-Clans in einem polnischen Dorf oder Bence Fliegauf mit "Just the Wind" über eine aktuelle Mordserie an Roma in Ungarn, einem auf der Berlinale 2012 im Wettbewerb präsentierten Film. Nicht zu vergessen das gesamte Filmschaffen des französisch-algerischen Roma Tony Gatlif, der den Geschichten seines Volkes wenigstens teilweise auch positivere Seiten und zugleich faszinierende musikalische Aspekte abgewinnen konnte. Das Schicksal der Sinti und Roma im Dritten Reich hat Karin Brandauer mit "Sidonie" (1990) – über ein Roma-Kind in Deutschland – in Erinnerung gerufen, während Urs Egger mit "Kinder der Landstraße" (1992) die Praxis der Schweizer Behörden Mitte des 20. Jahrhunderts, den Roma-Familien systematisch ihre Kinder wegzunehmen, anprangerte.

In der Reihe vieler herausragender Filmwerke über Roma-Schicksale darf der slowakische Filmemacher Martin Šulík nicht fehlen, der 1995 mit seinem poetischen Meisterwerk "Zahrada" (Der Garten) auch in Deutschland großen Erfolg hatte. Zusammen mit dem langjährigen Produzenten Rudolf Biermann und in Kooperation mit dem tschechischen und slowakischen Fernsehen hat er etwa zur gleichen Zeit wie Bence Fliegauf in Ungarn seinen neuen Film „Zigeuner“ über ein armes Roma-Dorf in der Slowakei und seine Bewohner gedreht, der im Juniorfilmwettbewerb des "Schlingel" 2012 in Chemnitz präsentiert wurde. Im Mittelpunkt der beinahe dokumentarisch inszenierten Geschichte steht der 14-jährige Adam, der trotz der allgemeinen Armut in seinem Dorf und der unablässigen Diskriminierung der Roma durch die "weiße" slowakische Bevölkerung an seine große Liebe Julka und an gute Chancen auf eine bessere Zukunft glaubt. Der christlich geprägte Vater hat seinen beiden Söhnen vermittelt, dass man auch mit ehrlicher Arbeit Geld verdienen kann, der sozial engagierte Priester aus dem Nachbarort brachte dem Jungen das Boxen bei und half der Familie, wo immer es ging. Eine junge Journalistin wurde auf die Familie aufmerksam und versicherte dem Jungen ebenfalls ihre Unterstützung. Adams Zukunftspläne zerplatzen wie eine Seifenblase, als der Vater stirbt, angeblich durch einen Autounfall, doch es war Mord, wie sich später herausstellt. In ihrer finanziellen Notlage heiratet die Mutter daraufhin den Bruder ihres verstorbenen Mannes, Adams Onkel, der sich mit Diebstählen, Drogen und Gewalt im Dorf eine Machtposition gesichert hat und nun auch Adam und seinen jüngeren Bruder in kriminelle Geschäfte verwickeln möchte. Adam setzt damit nicht nur die Unterstützung des Priesters aufs Spiel, er wird auch zum Opfer polizeilicher Willkür, denn da gilt jeder Roma ausnahmslos als Verbrecher. Als dann durch Mitschuld des Onkels auch noch Julka mit einem reichen Tschechen verheiratet wird, damit sie ihre Familie unterstützen kann, verliert Adam jeden Glauben an die Gerechtigkeit, es sei denn, er sorgt selbst dafür. Denn neben der dichten, realitätsnahen und zugleich unaufdringlichen, sachlichen Schilderung von Adams Lebensumständen findet sich auch in diesem Film von Martin Šulík eine zweite, traumhafte, irreale Erzählebene, in der Adam mehrfach seinem verstorbenen Vater begegnet. Dieser versucht, sein Kind mit Erzählungen über sein beschwerliches Leben zu trösten, gibt ihm aber auch den entscheidenden Hinweis darauf, wer ihn ermordet hat. Schließlich wird auch hier die Natur wieder zum Spiegel und zum Kommentator der Ereignisse.

Der Film beginnt ganz optimistisch im Frühjahr, Adam und Julka haben ein Rendezvous am Fluss, die Bäume tragen frisches Grün, alles scheint in diesem Moment möglich. Im weiteren Verlauf des Films verlieren die Farben schnell ihre Intensität, alles wird grauer, dunkler, düsterer. In der zweiten Hälfte des Films hat der Winter Einzug gehalten, aber helle Schneeflächen unter blauem Himmel sucht man vergeblich. Alles wirkt trostlos, schmutzig, wolkenverhangen, schließlich unerbittlich und unentrinnbar. Eine bleierne Schwere lastet auf den Bildern und bereitet den Betrachter darauf vor, dass es in diesem Film kein Happy End geben kann, allenfalls ein offenes Ende, das wenig Raum für Hoffnung lässt und sich in völliger Abgeschiedenheit und Isolation ereignet. Es scheint fast so, als ob die Roma in dieser slowakischen Enklave allein aus eigener Kraft trotz mitunter bester Absichten ihrer extremen gesellschaftlichen Randposition nicht entrinnen können.

Holger Twele

 

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KJK-Ausgabe 133/2013

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