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Ausgabe 64-4/1995

DAS HANDBUCH DES JUNGEN GIFTMISCHERS

THE YOUNG POISONERS HANDBOOK

Produktion: Mass Production /Kinowelt /Haut et Court, Großbritannien / Deutschland 1994 – Buch: Jeff Rawle, Benjamin Ross – Regie: Benjamin Ross – Kamera: Hubert Taczanowski – Schnitt: Anne Sopel – Musik: Robert Lane, Frank Strobel – Darsteller: Hugh O'Conor (Graham), Tobias Arnold (der junge Graham), Ruth Sheen (Molly), Roger Lloyd Pack (Fred), Charlotte Coleman (Winnie), Paul Stacey (Dennis) – Länge: 105 Min. – Farbe – Verleih: Kinowelt (35mm) – Weltvertrieb: Pandora Cinema, Paris

Ein Horrorszenario, das sich in den 60er- und 70er-Jahren so oder ähnlich tatsächlich in einem Vorort nördlich von London zugetragen hat: Der 14-jährige Graham entdeckt seine ganze Leidenschaft für chemische Experimente. Mit dem Stoff Antimonium und dem hochgiftigen Schwermetall Thallium möchte er etwas Wunderbares schaffen und durch seine Experimente einmal zum hoch angesehenen Wissenschaftler werden: Doch es soll ganz anders für ihn und seine Opfer kommen, die er im Laufe der Jahre vergiften wird. Denn Graham scheint nur noch an chemischen Substanzen und nicht mehr an Menschen interessiert. Er ist unfähig, Gefühle zu zeigen und kann lange Zeit auch nicht mehr träumen. Die Konsequenzen seiner Handlungen sind für ihn nur technisch-wissenschaftlich fassbar, emotional bleibt er unbeteiligt wie ein Nazi-Scherge.

Regisseur Benjamin Ross (Jg. 1964) war von Grahams Geschichte schon in seiner Jugendzeit so fasziniert, dass er sie nun in seinem ersten Langspielfilm verarbeitete, der in englisch-deutscher Co-Produktion entstand. Die Geschichte ist in drei Teile gegliedert und weitgehend aus der Perspektive Grahams erzählt. Der erste Teil zeigt seine innere Entwicklung zum Giftmörder in wenigen prägnanten Szenen, die trotz ihrer Tragik heiter-ironisch gebrochen wirken, von schwarzem Humor nur so triefen. Graham erfüllt in seiner Familie die geradezu klassische Sündenbockfunktion. Immer wenn etwas falsch läuft, ist er dran. Als seine Schwester einmal zum Entsetzen der Stiefmutter Pornohefte findet, die eigentlich dem Vater gehören, muss Graham sowohl für das Vorhandensein der anstößigen Hefte als auch für seine Entlarvung des wahren Eigentümers büssen. Die Stiefmutter schrubbt ihn blutig und verbrennt mit den Heften auch sein geliebtes Chemielabor. Was aber mag in einem Jungen vorgehen, der offenbar ständig nur bestraft wird, egal was er tut, von der Schwester angeschwärzt, vom Vater im Stich gelassen? Graham rächt sich auf seine Weise, zuerst spontan, dann immer systematischer und perfekter – und in typisch englischer Tradition, den Gegner nämlich mit Gift auszuschalten. Zuerst wird ein Rivale bei einem Rendezvous kurzfristig lahm gelegt, dann ist die Stiefmutter dran, die nach monatelangem Siechtum stirbt, nicht ohne kurz vor ihrem qualvollen Tod noch die wahren Zusammenhänge ihrer "Krankheit" erfahren zu haben.

Doch der Mord wird aufgedeckt und Graham wandert für Jahre in eine geschlossene Anstalt für geistesgestörte Verbrecher. Durch die Behandlung eines ehrgeizigen, nur auf eigene Reputation bedachten Arztes, kann Graham seine chemischen Studien wieder aufnehmen und wird schließlich als geheilt entlassen.

Im dritten Teil wird er von der Familie seiner Schwester vor die Tür gesetzt, deren Vertrauen in die Nahrungsaufnahme in seiner Gegenwart nachhaltig erschüttert ist, erhält aber einen Job als Handlanger in einer Fotofabrik, die sein 'Lieblingsgift' für die Produktion von Linsen benötigt. Graham setzt – ganz besessen von seiner Obsession nach dem perfekten Gift – seine Studien fort und benutzt seine Arbeitskollegen als 'Versuchstiere'. Doch auch diese Morde werden aufgeklärt, Graham wandert wieder ins Gefängnis, wo er Selbstmord begeht – sinnigerweise mit Hilfe des Verlobungsrings seiner leiblichen Mutter.

Es bedarf sicher keiner langen Erklärungen, warum der Film für Kinder ungeeignet und selbst für Jugendliche keine leichte 'Kost' ist, wenngleich er sich sichtlich darum bemüht, vor allem das Tragikomische des Horrors herauszustellen. Filmhandwerklich und inhaltlich ist "Das Handbuch des jungen Giftmischers" dennoch sehenswert, ermöglicht der Film doch die Auseinandersetzung mit jugendlicher Gewalt (gegen sich und andere) über die Perspektive des Jungen, also auf einer Ebene, die üblicherweise meistens zu kurz kommt oder ganz ausgespart wird. Ein bisschen trifft das freilich auch noch hier zu, denn Benjamin Ross war mehr an einer rabenschwarzen Komödie mit bissigen Seitenhieben auf die britische Gesellschaft gelegen, als an einer möglichst differenzierten Rekonstruktion des authentischen Falles. Eigentlich schade, aber zumindest ersteres ist ihm nicht zuletzt dank der bravourösen Schauspieler ganz gut gelungen.

Holger Twele

 

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