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Ausgabe 137-1/2014

"Der Film ist ein Experiment"

Gespräch mit Thomas Sieben, Regisseur und Koautor des Films "Staudamm"

(Interview zum Film STAUDAMM)

Aus der Filmbesprechung: In einem idyllischen Dorf im Allgäu hat ein Gymnasialschüler einige Mitschüler und Lehrer erschossen und sich dann an einem Staudamm selbst hingerichtet. Weil wichtige Akten fehlen, soll Roman, der für einen Anwalt jobbt, ins Dorf fahren und diese abholen. Da sich die Herausgabe der Akten verzögert, verlängert sich der Aufenthalt. Bei dieser Gelegenheit lernt Roman die Schülerin Laura kennen, die einzige im Dorf, die ihm nicht mit latenter und offener Feindseligkeit begegnet und sofort spürt, dass Roman ihr vielleicht bei der Bewältigung ihres Traumas helfen könnte. Wie sich erst langsam Stück für Stück herauskristallisiert, war sie unmittelbare Zeugin des Amoklaufs und mit dem Täter befreundet. Was Roman von ihr erfährt und teils auch gemeinsam mit ihr nacherlebt, steht jedoch nirgendwo in den Akten.

KJK: Was war ausschlaggebend, das "Nachher" eines Amoklaufs zu thematisieren?
Thomas Sieben: Der Amoklauf von Robert Steinhäuser 2003 in Erfurt war für mich eine intensive Erfahrung, die Fernsehbilder vergesse ich nicht. Interessant fand ich die Sichtweise im Nachhinein, wie sich die Presse damals als Ursache auf Computerspiele stürzte, weil der Junge viel gespielt hat. Da habe ich mir gesagt, so einfach geht das nicht. Mich hatte schon Gus van Sants "Elephant" über den Amoklauf in der Columbine-Highschool umgehauen, wie auch Michael Moores Dokumentarfilm "Bowling for Columbine". Es wundert mich, dass keiner der vielen guten Regisseure bei uns mal nach Erfurt, Emsdetten oder Winnenden fährt. Also haben mein Drehbuchautor Christian Lyra und ich angefangen zu recherchieren und uns des Themas angenommen. Und wir sind schnell auf die Auswirkungen der Tat gekommen. Ich hoffe, wir haben einen vorsichtigen Weg der Annäherung gefunden.

Sie stellen den Begriff "Amoklauf" in Frage.
Ein Amoklauf ist keine Spontanhandlung, gerade in Deutschland braucht man schon eine bestimmte Vorbereitungszeit, um die Munition zu besorgen, die technischen Voraussetzungen zu planen. Manche Amokläufer fertigen vorher akribische Zeichnungen an und gehen das Ganze wie eine militärische Operation an. Bei der Recherche hatte ich das Gefühl, dass dieser Begriff etwas euphemistisch ist und dazu dient, jemanden abzustempeln, der spinnt, der ist durchgeknallt und greift deshalb zur Waffe. Das Wort müssen wir hinterfragen, denn es handelt sich um einen ganz langen Prozess von Menschen, die ins Abseits geraten und sich selbst ins Abseits bewegen.

Haben Sie bei Ihren Recherchen Erklärungsmuster gefunden? Es herrschte ja lange die Meinung, so etwas passiere nur in Amerika, bei uns sei das nicht möglich.

Für Deutschland und Amerika ist das schon ein Thema, weniger in Frankreich, Italien oder Spanien. Vielleicht liegt es am Leistungssystem. In Erfurt gab es eine große Diskussion zur Schulreform, weil der Täter von der Schule geflogen war, sich große und kleine Dramen abgespielt haben, er sich ein Lügenkonstrukt aufgebaut hat, in dem er immer noch funktionierte, obgleich er schon lange aus dem System herausgefallen war. Leistung, Anpassung und Funktionieren stehen in Deutschland ganz oben, das kommt auch im Tagebuch heraus. Das ist nicht der Auslöser, aber ein nicht zu vernachlässigender Aspekt, ein Faktor von mehreren. In Amerika wird auch sehr viel Wert auf Äußerlichkeiten und Statussymbole gelegt, wenn man die nicht erreicht, gerät man gerade als junger Mensch schnell in eine Isolierung.

Haben Sie Angst vor Emotionen? Bleiben Sie lieber auf dem Posten eines Beobachters? In Ihrem ersten Film "Distanz" ist die Hauptfigur distanziert und in "Staudamm" der Protagonist, der sich dem Thema auf verschiedenen Ebenen nähert, ebenfalls. Selbst die Empathie für das Mädchen wirkt sehr reduziert.
Ich weiss nicht, ob ich das so unterschreiben soll. Natürlich ist "Staudamm" ein Film über Zustände und Lebenssituationen. In der vermeintlichen Emotionslosigkeit der Hauptfigur manifestiert sich auch eine Ziellosigkeit. Vielleicht nehmen sich die Figuren zurück, um nicht zu leiden. Das Thema selbst braucht einen Raum. Und das Mädchen Laura, das den Amoklauf miterlebt hat und mit dem Jungen befreundet war, versteckt sich hinter einem Schutzpanzer, der irgendwann aufbricht. Auch diese Kälte in den schönen Bildern des eingefrorenen Dorfes trotz Winterstimmung ist der Situation geschuldet. Hängt man das Emotionale zu hoch, wäre das kontraproduktiv zur Beobachtung.

Beide Filme handeln von Gewalt. Pflegen Sie da eine besondere Affinität?
In beiden Filmen geht es um scheinbar unmotivierte Gewalt. Das hat sicherlich mit meiner filmischen Sozialisierung zu tun. Ich liebe David Cronenberg und seinen Blick auf die dunkle Seite der menschlichen Psyche. Diese Abgründe faszinieren mich. Wenn ich schon viel Energie in einen Film stecke, muss er mich interessieren, will ich auch etwas lernen.

Und was kann vor allem der jüngere Zuschauer lernen?
"Staudamm" kann Diskussionen auslösen, er setzt sich wie ein Kaleidoskop zusammen, beleuchtet unterschiedliche Aspekte. Wir wollten genau hinschauen, weniger Antworten suchen, als darüber erzählen, was nach der Tat geschah. Es wäre schön, wenn sich Mitschüler gegen das Mobbing wenden. Der Film ist ein Experiment. Ich maße mir nicht an, zu wissen, wie ein Amokläufer fühlt, aber wir kommen nicht damit weiter, diese Menschen als krank abzutun. Es geht uns nicht um Verständnis für die Tat, aber für die Situation.

Interview: Margret Köhler

 

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KJK-Ausgabe 137/2014

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