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Ausgabe 140-4/2014

TABLEAU NOIR – EINE ZWERGSCHULE IN DEN BERGEN

Bild: TABLEAU NOIR – EINE ZWERGSCHULE IN DEN BERGEN
© déja-vu film

Produktion: Ateliers Merlin sàrl / Yves Yersin, in Koproduktion mit Radio Télévision Suisse, Irène Challand SSR SRG Pierre Bizou; Schweiz 2013 – Regie: Yves Yersin – Kamera: Patrick Tresch, Yves Yersin – Schnitt: Jean-Baptiste Perrin, Mamouda Zekrya, Yvers Yersin – Mitwirkende: Gilbert Hirschi, Debora Ferrari, Alice Perret sowie Schülerinnen und Schüler der École Primaire Intercommunale de Derrière Pertuis im Schweizer Kanton Neuenburg – Länge: 117 Min., OmU – Farbe – FSK: ab 0 – Verleih: déja-vu film, Hamburg – Altersempfehlung: ab 8 J

Das allgemein Gültige ist manchmal gerade im Besonderen zu entdecken, so auch bei diesem außergewöhnlichen Dokumentarfilm über eine Zwergschule im Schweizer Jura, auf 1153 Meter Höhe gelegen. Sechs- bis zwölfjährige Schulkinder wurden dort noch bis vor wenigen Jahren gemeinsam in einer Klasse unterrichtet. Diese in Europa aussterbende Schulart erforderte ganz andere Formen des Lernens, der Lehrinhalte, des Unterrichts und des sozialen Umgangs miteinander. Sie stellte auch besondere Anforderungen an den Lehrer, der die gesamte Schule selbst organisieren musste und darüber hinaus täglich noch drei Stunden als Busfahrer beschäftigt war, um seine Schützlinge in einem Kleinbus aus den verstreuten Gehöften abzuholen und wieder zurückzubringen.

Die Gründung dieser Zwergschule in Derrière-Pertuis geht bis in die 1830er-Jahre zurück, als deutschsprachige Wiedertäufer, die wegen Sektiererei in die Bergregionen verbannt wurden, dorthin kamen. Die Schule wurde 2008 geschlossen, nachdem die Bewohner sich nicht gegen die Pläne der Behörden durchsetzen konnten. Auch von diesem Kampf handelt der Film. Für Gilbert Hirschli, der charismatischen Lehrerpersönlichkeit dieser Schule, bedeutete das nach vierzig Jahren Schuldienst in der Region zugleich die Frühpensionierung.

Zuvor aber begleitete der Film die Schulkinder mitsamt ihrer Herkunftsfamilien über ein Schuljahr hinweg über den Wechsel der Jahreszeiten. Eine elegische und impressionistische Betrachtung, die sich jedes Kommentars enthält und die gerade auch deswegen eine differenzierte Reflexion über die Entwicklungschancen der schulischen Grundausbildung ist. Yves Yersin, der in den 1970ern vor allem durch seinen Dokumentarfilm "Die letzten Heimposameter" und durch den Spielfilm "Kleine Fluchten" international bekannt wurde, hat insgesamt sechs Jahre an diesem Film gearbeitet. Von schlechten Erfahrungen in der eigenen Grundschulzeit geprägt, beklagte er sich als Erwachsener immer wieder über das „geisttötende Vollpfropfen der Kinder mit Schulstoff“ und die „paralysierende Verpolitisierung pädagogischer Anliegen“, was offensichtlich kein spezifisch schweizerisches Problem ist. Mit seinem so poesievollen wie engagierten Film möchte er exemplarisch anhand eines funktionierenden, aber von den Behörden offenbar nicht gewünschten Gegenmodells aufzeigen, wie Wissen im Einklang mit den Bedürfnissen von Kindern weitergegeben werden kann, ein Modell, das sich aus der Reformpädagogik entwickelt hat.

Um den Schulalltag möglichst unverfälscht und authentisch einzufangen, betrieb Yersin einen hohen technischen Aufwand. Systematisch wurde mit zwei HD-Videokameras gefilmt. Daher konnte er ohne Nachinszenierung mit der Schuss-Gegenschuss-Methode arbeiten, um die Interaktion zwischen zwei Schülern oder mit dem Lehrer in Echtzeit festzuhalten. Darüber hinaus trug jedes der Kinder ein Ansteckmikrofon bei sich, das bis zu einer Distanz von 150 Metern alles aufnahm, was sie sagten. Beim Schnitt stand dann für jeden Protagonisten eine eigene Tonspur zur Verfügung. Auf diese Weise war es möglich, die Interaktionen der Beteiligten bis in ganz persönliche Gespräche während des Unterrichts hinein einzufangen. Voraussetzung dafür war ein großes gegenseitiges Vertrauen unter den Protagonisten wie auch zu den Filmschaffenden. Wie sehr diese Vertrauensbasis auch die Grundlage für den Unterricht bildet, zeigen gleich die ersten Szenen, in denen die älteren Kinder die neu Eingeschulten unterstützen, ihnen nicht nur kontinuierlich selbst bei der Vermittlung des Lernstoffes helfen, sondern sie im Schwimmbad als „toter Mann“ treibend auch über dem Wasser halten. Was und auf welche Weise die Kinder dann in praktischen Übungen, im mehrsprachigen Unterricht, in der Natur und im Klassenraum geradezu spielerisch lernen und ganz nebenbei ein Höchstmaß an sozialer Kompetenz erwerben, erstaunt immer wieder aufs Neue.

Ein sensibel geschnittener Film mit auf die Schultafel geschriebenen, zur eigenen Interpretation anregenden Zwischentiteln, der visuell und akustisch nicht nur als Kinofilm funktioniert, sondern auch wertvolle Anregungen dafür liefert, wie Grundschule heute sein könnte und wie Kinder am besten auf das weitere Leben vorbereitet werden könnten. Bei seiner Uraufführung im Wettbewerb der Filmfestspiele von Locarno 2013 gewann der Film allein vier Preise, darunter den Preis der Jugendjury.

Holger Twele

 

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