Interview
Seit 10 Jahren organisiert Renate Zylla das KinderFilmFest der Internationalen Filmfestspiele Berlin. In Vorbereitung auf das 19. KinderFilmFest im Februar 1996 sprach Barbara Felsmann für die KJK mit Renate Zylla über ihre Erfahrungen im Umgang mit dem Kinderfilm.
KJK: Als Sie vor 10 Jahren begannen, für das KinderFilmFest zu arbeiten, war es bereits als Internationales Kinderfilmfestival etabliert. Wer hat es eigentlich ins Leben gerufen?
Renate Zylla: "Dem zugrunde lag ein Interview von der Journalistin Gabriele Auensen-Borgelt für den SFB-Kinderfunk mit dem damaligen Berlinale-Chef Wolf Donner. Sie ist mit Kindern in sein Büro gestürmt und hat gefragt, warum es keine Filme für Kinder auf der Berlinale gibt. Und er konnte nur stottern und zurückfragen: Ja, warum eigentlich nicht? Nach einigen Einwänden gab es dann ein Versprechen von ihm, dass er sich um eine Programmschiene für Kinder kümmern wollte, und so war es tatsächlich. Ein Jahr später wurde in der Landesbildstelle Berlin eine Auswahl von internationalen Filmen für Kinder gezeigt, allerdings noch ohne Jury und ohne Preise."
Sie gehören also zu der zweiten Generation, die da etwas, was ins Leben gerufen wurde, weiterentwickelt hat.
"Im Dezember 1985 habe ich mein erstes Festival vorbereitet. Damals leiteten Manfred Hobsch und ich noch gemeinsam das Festival. Mit ihm kam die Ãœberlegung, Kinder noch mehr mit einzubeziehen durch eine Kinderjury. Und somit wurde 1986 die erste Kinderjury ins Leben gerufen."
Das war also Euer Verdienst, sozusagen.
"Ich muss sagen, dass es gar nicht so sehr mein Verdienst war, weil ich wirklich Zweifel hatte an dieser Mitbestimmung der Kinder. Ich dachte, Kinder sollen vorrangig dieses Festival genießen und auch ihre Meinungen hier lassen, aber eben nur auf den Mitmachzetteln. Ich bin dann aber eines Besseren belehrt worden. Später habe ich mir überlegt, dass die Kinder auch einen Preis verleihen müssten, nicht nur das Geld, das Maria Schell aus ihrem Privatvermögen stiftet. Angelehnt an die Filmfestspiele vergibt die Kinderjury nun schon zum dritten Mal einen Glasbären, der aktuell zum Festival seine Farbe wechselt. 1996 wird er blau sein."
Als Sie angefangen haben, wurden doch aber schon Preise verliehen?
"Ja, es gab zwei Jurys von erwachsenen Fachleuten, die UNICEF-Jury und die CIFEJ-Jury. Dadurch, dass die Kinderjury ins Leben gerufen war, kam es nun zu einer kleinen Inflation von Preisen und lobenden Erwähnungen. Und wie man etwas weiterentwickeln kann, kann man auch etwas abschaffen, wenn sich bestimmte Situationen verändert haben. Und so habe ich gesagt, die CIFEJ-Leute können gern an diesem Festival teilhaben, aber ich möchte eine Entscheidung von Kindern und eine von Erwachsenen, und das ist UNICEF. Die Bedeutung fand ich da richtig gelagert, zumal UNICEF der Schirmherr des KinderFilmFestes ist."
Das Berliner KinderFilmFest ist ja nicht das einzige internationale Kinderfilmfestival in Deutschland. Welche Unterschiede sehen Sie im Vergleich zum Beispiel zu dem in Frankfurt am Main?
"Das Berliner Kinderfilmfestival ist integriert in einem A-Festival, und das ist die große Ausnahme. Anfangs musste ich immer hören, dass wir darunter leiden oder dass wir parallel zum großen Festival laufen würden. Ich kann es nur immer wieder sagen, wir sind ein Teil davon, und das macht auch eine Qualität aus. In dieser Zeit haben wir so viele ausländische Gäste hier oder Journalisten, die ich allein gar nicht einladen könnte. Das macht Begegnungen und Annäherungen möglich, die sonst nicht zustande kommen würden. Wir haben auch die Möglichkeit, dass die Kinderfilme zugleich im Film-Markt angeboten werden, andere bemühen sich, das künstlich hochzuziehen, nicht immer mit Erfolg. Der 'European Film Market' ist ein bekannter Platz, wo man Filme einkauft, und wir profitieren genauso davon."
Und auch die Filmemacher, die zu Euch kommen.
"Also es ist so, dass wir uns um viele, viele Filme selber bemühen. Dass man glaubt, Berlin kennt man ja, das hat Niveau, da will man auch hin, so einfach gestaltet es sich doch nicht. Also man recherchiert eine ganze Menge, zum Beispiel auf anderen internationalen Kinderfilmfestivals."
Ich will noch Mal zurückkommen auf Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit ergeben haben. Wäre da noch ein wichtiger Aspekt?
"Mit dem Wechsel von Standorten ergeben sich ja auch Veränderungen, das Urania ist jetzt unser Hauptfestspielkino, mit 900 Plätzen, einer guten Technik und der Möglichkeit, dass man auch verweilen kann. Die Kinder können seitdem nach der Vorstellung mit den Regisseuren sprechen, und wir haben dieses Gespräch danach regelrecht ausgebaut. Die Gruppen waren übrigens anfangs immer so unter Druck, dass sie gleich raus wollten nach dem Film, jetzt wissen sie aber, dass nach der Vorstellung immer eine Diskussion kommt, und bringen Zeit mit.
Vor allem hat sich etwas in der Programmstruktur geändert. Ich kümmere mich seit sechs Jahren verstärkt um den Kurz- und Animationsfilm. Das waren früher mehr oder weniger zufällige Bonbons, sie wurden kaum als eigene Kategorie ernst genommen. Ich setze die nun in einem Block zusammen, so ist der Kurzfilm nicht mehr nur der 'Vorfilm'. Dadurch erreichen wir auch ein Publikum, das sonst schwerlich zu bedienen ist, nämlich die Jüngsten, Kinder ab 4 Jahren."
Was sind Eure Auswahlkriterien und gibt es eine Auswahljury?
"Es geht letztendlich um Film. Es reicht nicht, wenn sich Produktionen um Kinder bemühen, also ein Kind in die Hauptrolle nehmen und ein Thema haben, auch die Umsetzung muss gelungen sein, nicht betulich oder klischeehaft. Schauspielerische Leistungen, die Erzählstruktur und die Dramaturgie müssen stimmen. Auf der anderen Seite müssen die Kinder in die Geschichte mit einbezogen werden, dass sie sie auch nachvollziehen können. Es gibt ja viele Filme, die über Kindheit erzählen, die aber oft nicht zulassen, dass man als Kind mit dem Protagonisten fühlt und erlebt. Und das ist genau die Grenze, wo man sagen müsste, das ist etwas, was man als Erwachsener nachvollziehen kann, aber das ist nichts für das kindliche Publikum. Wir haben auch Filme gehabt in den letzten Jahren, wo wir Grenzen erreicht haben, gerade mit der Schwere von Themen, wenn es um Krieg geht, um Not und Leiden der Kinder. Andere Sektionen hier im Festival können und sollen sich nur um den guten Film kümmern – wir aber müssen immer daran denken, für wen."
Damit sind vor allem filmische Kriterien genannt. Wenn man als Außenstehender das KinderFilmFest besucht, hat man schon das Gefühl, dass es auch wichtig ist, dass in den Filmen die Realität aus ganz verschiedenen Kulturen gezeigt wird.
"Das ist nicht nur ein Kriterium, das ist auch ein Ergebnis unserer Arbeit, unserer Kontakte, denn die Filme kommen ja auch aus Ländern wie Kasachstan, der Mongolei oder dem Iran, und für die Produktionen dort gibt es oft nicht viel Geld, um große Ausstattungsgeschichten zu machen, so dass der Hintergrund meist das reale Leben ist."
Aber es ist doch nicht nur Zufall, schließlich sehen Sie in Vorbereitung des Festivals mehr als 150 Filme, da bringt man ja seine Vorstellungen mit in die Auswahl ein.
"Das stimmt. Es gibt auch in diesen Kulturen viele Produktionen, die ich nicht zeigen möchte. Zum Beispiel aus Indien, da wird oft etwas bedient, was sicher klassisches indisches Kino ist, was in die Breite geht, meistens an die 100 Minuten erreicht und viele Gesangsszenen hat. Das ist auch ein Stück indischer Kultur, aber hier nicht zeigbar. Es funktioniert nur dort, hier würde das keiner ertragen. Da muss ich wieder meine Kriterien ansetzen. Es geht auch immer um neue Produktionen, die zudem noch nicht in Deutschland gezeigt wurden, das ist ein Anspruch der Berlinale. International gesehen, spiele ich aber auch Filme nach. Das gibt es nur auf dem 'großen' Festival, dass die Wettbewerbsfilme hier ihre Premiere haben oder die Premiere nur im eigenen Produktionsland gehabt haben dürfen. Diese Maßstäbe setze ich bei einem Kinderfilm nicht an. Meine Festivalreisen nutze ich auch zu Entdeckungen. So habe ich zum Beispiel dieses Jahr in Giffoni zwei Filme gesehen, die ich nun in Berlin zeigen möchte."
Stellt Ihr eine Auswahljury zusammen?
"Ja, aber die hat mehr eine beratende Funktion, letztendlich liegt die Entscheidung in der Leitung des Kinderfilmfestes. Sonst wäre ich nicht in der Lage, auf meinen Reisen schon Filme zu buchen. Diese Auswahlgruppe finde ich ganz wichtig, weil doch unterschiedliche Sichtweisen diskutiert werden. Ihr gehören der Regisseur Helmut Dziuba an, Barbara Hoffmann aus der Landesbildstelle, nach wie vor Manfred Hobsch und Dorothea Holloway."
Sie haben viele Kinderfilmfestivals in der ganzen Welt besucht. Welche Anregungen haben Sie sich dort geholt, gab es auch Enttäuschungen?
"In diesem Jahr war ich zum Beispiel in Isfahan, im Iran. Dort habe ich erlebt, wie intensiv man sich um sein Publikum kümmert, wie für Schulklassen Busse organisiert wurden, damit die Kinder die Filme sehen können. Und das finde ich ganz wichtig, dass ein Kinderfilmfestival ein Publikumsfestival ist, davor habe ich Achtung, wenn Festivals Kinder erreichen und nicht nur elitäre Veranstaltungen sind, die sich in einem Katalog widerspiegeln. Dann war ich in Giffoni, in den Bergen von Salerno. Das Festival wird rund um die Uhr vom Fernsehen begleitet, solche Medienpräsenz haben wir nicht. Und der ganze Ort nimmt an diesem Ereignis Anteil, allerdings weniger im Kinosaal, da hätte ich mir mehr Publikumsbeteiligung gewünscht. Beneidenswert ist auch Kontakt zum Fernsehen für die spätere Auswertung der Filme, da werden die Festivalfilme oftmals hinvermittelt und später ausgestrahlt. Dann Rimouski in Kanada. Auch dort werden vor allem die Kinder einbezogen."
Das Festival in Rimouski leistet sich auch eine internationale Kinderjury.
"Es ist mehr eine Jugendjury, weil die Juroren weit reisen und Sprachfähigkeiten haben müssen. Es ist einfach nicht zu unterschätzen, welche Anstrengungen und Belastungen damit verbunden sind. Das möchte ich für Berlin nicht übernehmen. Ich denke, die Aufgabe eines internationalen Festivals besteht nicht darin, dass die Jury international ist, zumal wir in Berlin ohnehin viele Kinder haben, deren Eltern aus dem Ausland kommen. Wichtiger ist es, die Kinder aus der eigenen Stadt zu beteiligen."
Ich lese so oft, dass es kein gutes Drehbuch mehr gibt, kaum noch Kinderfilmproduktionen. Und trotzdem habt Ihr immer wieder ein volles Programm. Hat sich da beim Angebot im Laufe der Jahre etwas verändert?
"Woher die Filme kommen, das hat sich verändert. So sind einige Länder weggefallen, wie die Tschechoslowakei, Polen, die Sowjetunion. Doch da entwickeln sich auch neue Republiken, neue Produktionen, sehr langsam, aber äußerst interessant. Die Traditionen aus Skandinavien werden gepflegt, die Beziehungen zum Iran und zu China. Manchmal hat mich schon irritiert, was nun oftmals aus der Tschechischen Republik oder Polen kommt, in einer Orientierung an einem Markt, der nur auf Entertainment und Unterhaltung gerichtet ist, wo offensichtlich Verkaufsinteressen eine wichtige Rolle spielen und weniger die Qualität. Das bedaure ich sehr. Insgesamt kann ich nicht sagen, dass wir weniger Filme bekommen, und wie jedes Jahr müssen wir uns viel Zeit für die Auswahl nehmen, meist bis in den Januar hinein."
Mit Renate Zylla sprach Barbara Felsmann
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