Produktion: British Film Institute / Film Four International, Großbritannien 1992 – Regie und Buch: Terence Davies – Kamera: Michael Coulter – Schnitt: William Diver – Musikalische Leitung: Bob Last - Darsteller: Leigh McCormack (Bud), Marjorie Yates (Mutter), Anthony Watson (Kevin) u. a. – Länge: 84 Min. – Farbe – FSK: ab 6 – Verleih: Filmwelt (35mm) – Altersempfehlung: ab 14 J.
Seit Bud die Schule gewechselt hat, ist er ein Einzelgänger. Wenn seine Schulkameraden sich im Schwimmbad vergnügen, scheut er als einziger das kühle Wasser und lässt sich nur fröstelnd hineingleiten. Auch auf dem Hof der neuen Schule steht der elfjährige Junge meist allein herum, seine alten Freunde hat er verloren, neue sind nur schwer zu gewinnen. So verbringt Bud die meiste Zeit zuhause bei seiner Mutter und seinen Geschwistern, wo er sich offensichtlich geborgen fühlt. Regelmäßig geht der schwächliche Junge ins Kino und flüchtet sich in die Kunstwelt der bewegten Bilder.
"Die Jahre zwischen dem Tod meines Vaters, als ich sieben war, und dem Verlassen der Primary School waren so glücklich, dass ich fast krank war vom Glück. Der Film ist also die Geschichte eines Paradieses, eines verlorenen Paradieses, das nur in der Erinnerung weiter besteht", sagt der britische Regisseur Terence Davies zu den Erlebnissen des Jungen in seinem Film "Am Ende eines langen Tages". Der nostalgisch verklärte Familienfilm ist noch stärker als sein Debütspielfilm "Distant Voices, Still Lives" autobiografisch geprägt. Davies lässt die Jahre 1955/56 in seiner Heimatstadt Liverpool wiedererstehen, wo er 1945 als jüngstes von zehn Geschwistern geboren wurde. Für seine Erinnerungen an eine längst vergangene, aber glückliche Zeit hat er berückend schöne Bilder geschaffen, und mit rund 40 zeitgenössischen Liedern und einer raffinierten Lichtgebung entsteht die wehmütige und faszinierende Atmosphäre eines verlorenen Paradieses in familiärer Geborgenheit.
Diese Kindheit war nicht immer so glücklich, berichtete Davies beim Filmfestival in Hof, wo er sein neues Werk vorstellte. Als der Regisseur auf seinen Vater zu sprechen kommt, spricht er plötzlich leiser: "Er war ein Monster, er war extrem gewalttätig. Erst nach seinem Tod begannen wir zu leben, die ganze Familie. Es war wunderbar." Für das harmonische Familienleben spielte die Musik eine große Rolle. Wie in „Am Ende eines langen Tages“ muss in diesem Liverpooler Haus fast immer Musik erklungen sein: Entweder lief das Radio oder die Mutter beziehungsweise die Geschwister sangen. Im Film sind Melodien aus Gustav Mahlers 10. Sinfonie ebenso zu hören wie Nat King Coles "Stardust", die "Fox Fanfare" von Alfred Newman oder "When I leave the world behind" von Irving Berlin.
Davies lässt sich Zeit in seinem subtilen Außenseiterporträt, in dem eigentlich nicht viel passiert. Oft sitzt der schüchterne Junge herum, betrachtet mit großen Augen seine Umwelt und lauscht der Musik. Doch wenn Davies in solch stillen Szenen das Licht sich ändern lässt, zaubert er poetische Stimmungen herbei, die seit den großen Werken des Russen Andrej Tarkowski nicht mehr im Kino zu sehen waren. Natürlich kann das Tageslicht nicht in Wirklichkeit in Sekundenschnelle so wechseln, meint auch Davies: "Aber in der Phantasie kann es wahr sein, denn es ereignet sich in der Vorstellung (des Jungen). Es ist also keine buchstäbliche Wahrheit, sondern eine schöpferische Wahrheit." Zu dieser "schöpferischen Wahrheit" mag wohl auch gehören, dass in dem Film nur zweimal der Himmel und niemals Bäume zu sehen sind, die es auch im verregneten Liverpool gegeben haben muss. Da auch die meisten Szenen in halbdunklen Innenräumen spielen, entsteht ein düsteres Ambiente, das im merkwürdigen Widerspruch zur familiären Geborgenheit steht.
Reinhard Kleber
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 53-1/1993 - Interview - Das verlorene Paradies der Kindheit
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