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Ausgabe 69-1/1997

FÃœR IMMER UND IMMER

Produktion: Hamburger Kino Kompanie / WDR / Impuls Film & Road Movies; Bundesrepublik Deutschland 1996 – Regie: Hark Bohm – Drehbuch: Hark Bohm, Jon Boorstin Kamera: Arthur Reinhart – Musik: Marcel Barsotti – Darsteller: Johanna ter Steege (Susanna), Jeanette Arndt (Melanie), Lili Bohm (Maria), Heinz Hoenig (Tobias) – 89 Min. – Farbe – FSK: ab 16 – Verleih: Pandora Film (35 mm)

Hark Bohm zählt schon lange zu den ernsthaften und interessanten Filmemachern Deutschlands. Filme wie "Tschetan, der Indianerjunge" oder "Nordsee ist Mordsee" gehören schon fast zu den Klassikern des Jugendfilms, dem sich Bohm immer wieder verschrieben hat. Doch auch im Erwachsenenkino fand er sich zurecht: "Der Fall Bachmeier", "Nicaragua 5 Jahre der Revolution" oder auch "Herzlich Willkommen" scheuten dabei auch kontroverse Themen nicht und so haben sich Bohms – stets unter Mitwirkung seiner wachsenden Familie entstandenen – Filme ins Gedächtnis der Republik eingeschrieben. Diesmal erzählt er eine Geschichte um Adoption und den Kampf zweier Frauen um ein Kind. Vor allem von ersterem versteht der gelernte Jurist einiges; hat er doch in den 70ern eine Reihe seiner Darsteller nach den Dreharbeiten adoptiert.

Als die 21-jährige Melanie, Ehefrau eines erfolgreichen Modedesigners, ein Mädchen zur Welt bringt, macht das vor allem ihren Mann glücklich. Sie selbst fühlt sich genervt vom andauernden Schreien des Babys, in ihrer Attraktivität beschränkt und ist als Mutter deutlich überfordert. Und so tötet sie das Kind im Affekt, als sie wieder einmal in der Nacht durch sein Brüllen geweckt wird. Die Gegenwelt zur kalten Vornehmheit des edlen Hamburger Stadtteils bietet die Gegend am Hafen. Hier lebt die Familie des Schlepperkapitäns Tobias. In ihrem Hause herrscht reges Treiben; dafür sorgen vor allem die drei Kinder Maria, Anna und Simon. Maria ist jedoch nicht die leibliche Tochter, sondern ein Pflegekind. Denn Melanie war schon einmal schwanger und ließ sich damals von ihrer dominanten Mutter überreden, das Kind abzugeben. Als Melanie erkennt, dass sie ihren Mann ohne Kind nicht halten können wird, erinnert sie sich ihrer Tochter, zu der sie jedoch noch nie Kontakt hatte. Geschickt schleicht sie sich in das Leben der Kleinen und mit Druck und Erpressung sowie der Macht des Geldes gelingt es ihr, den zuständigen Familienrichter (Hark Bohm in einer seiner typischen Nebenrollen) für sich einzunehmen. Tobias und seine Ehefrau Susanna stehen vor einem Dilemma. Ein Rechtsstreit würde sie nicht nur viel Geld und damit den Traum vom eigenen Häuschen kosten, Maria wäre auch jahrelang im Ungewissen, wohin sie gehört. Tobias versucht, die Kinder außer Landes zu schaffen, doch das weiß Melanie mit Gewalt zu verhindern. So wird ein fauler Kompromiss geschlossen, und Maria verbringt eine Woche auf Probe bei ihrer leiblichen Mutter. In Melanies Haus kommt es zum finalen Duell zwischen Melanie und dem Kind ...

Das klingt nach einer spannenden Geschichte in dramatischer Umsetzung. Doch das Ergebnis ist leider nur eine unausgegorene Mischung aus Psychodrama und Thriller im Stile des "Großen TV-Romans der Woche". Das Problem des Films beginnt schon bei der Charakterisierung der Figuren: Hier die kalte Psychopathin, da die erdhaft-lebendige und liebevolle Mutter. Auf der einen Seite die stinkreichen Bewohner der Elbvororte, auf der anderen ein hart arbeitender Schlepperkapitän. Hier kalte Farben, dort warmes Braun. Melanie wird stets durch dräuende Musik angekündigt, derweil die leichten Töne Susanna und Tobias vorbehalten bleiben. Diese klischeehaft-simple Zuordnung verteilt denn auch die Sympathien des Publikums von vornherein ganz eindeutig: Wir fühlen mit den Pflegeeltern und verabscheuen die Gegenseite. Damit drückt sich Bohm um den wirklich interessanten Konflikt, den er eigentlich ansprechen will: Was macht Elternschaft eigentlich aus? Sind die wahren Eltern die biologischen Erzeuger oder sind nicht vielmehr jene die Eltern, die sich mit dem Kind befassen, es betreuen und versorgen, sich mit ihm auseinander setzen? Dadurch, dass er die biologische Mutter zur finsteren Dämonin hochstilisiert, deren Motivation zudem nie wirklich klar wird, steht Bohm seiner Absicht selbst im Weg. Darüber hinaus hat er vor allem im Showdown viel zu sehr das Actionkino Marke Hollywood im Sinn: Da muss es natürlich über der Stadt gewittern, wenn's los geht und Maria fightet wie Arnie im Swimming-Pool gegen eine überlegene Gegnerin.

Bohms frühere Qualitäten zeigen sich allein in der Schauspielerführung; vor allem die kleine Lili Bohm ist einfach bewegend, wie sie versucht, ein Leben zwischen zwei Müttern zu führen, wie sie es genießt, aber auch, wie es sie verunsichert. Doch weder ihre noch die mehr als überzeugenden Leistungen des restlichen Ensembles können verdecken, dass hier ein talentierter Filmemacher gescheitert ist: An einem Buch, dessen chronologische Erzählweise viel zu viel zu früh klar macht; was wäre denn etwa, wenn wir den Mord an Melanies Baby gar nicht erst gesehen hätten, sondern der Film mit seinem Begräbnis begonnen hätte? Und gescheitert an einer Inszenierung, die die Klischees betont, anstatt sie zu unterlaufen und deren Resultat eben kein "europäischer Psychothriller" (Zitat Hark Bohm) ist, sondern eine ärgerliche Mischung aus Drama und übersteigertem TV-Thrill; und das bei einem eigentlich doch brisanten und spannenden Thema, das hier jedoch verschenkt wurde.

Lutz Gräfe

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 69-1/1997 - Interview - "Ich habe nie daran gedacht, einen Film nur für Kinder zu machen"

 

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