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Ausgabe 70-2/1997

DER KÖNIG DER MASKEN

BIAN LIAN

Produktion: Shaw Brothers; Hongkong/VR China 1996 – Regie: Wu Tian Ming – Drehbuch: Wei Ming Lung, nach einer Geschichte von Chan Man Kwai – Kamera: Mu Da Yuan – Schnitt: Hui Yu Lan – Musik: Zhao Ji Ping – Darsteller: Chu Yuk (Maskenkönig), Chao Yim Yin ("Doggie"), Zhao Zhi Gang (Meister Liang) u. a. – Laufzeit: 101 Min. – Farbe – 35mm – Weltvertrieb: Shaw Brothers Hongkong Ltd., Lot 220, Clearwater Bay Road, Kowloon, Hong Kong Tel.: 00852 233 551 11, Fax: 00852 271 939 28 – Altersempfehlung: ab 8 J.

Der 1939 als Sohn eines kommunistischen Guerilleros geborene Filmemacher Wu Tiang Ming ist einer der intellektuell und künstlerisch wichtigsten Regisseure der Vierten Generation und hat sich mit diesem kraftvollen Werk nach acht Jahren im Exil zurückgemeldet. Nachdem die Kulturrevolution seine Karriere als Schauspieler unterbrochen hatte, kehrte er 1974 als Assistent von Cui Wei nach Peking zurück und ging 1976 zum seinerzeit eher ärmlichen Xi'an Studio. 1983 debütierte er mit dem auch im Westen beachteten "Meiyon Hangbiao De Helin" / "In den Stromschnellen" und übernahm kurze Zeit später den Posten des Direktors. Zwei Jahre nach seinem letzten Film "Lao Jing" / "Alter Brunnen" (1987) mit Zhang Yimou als Ko-Kameramann und Hauptdarsteller wurde Wu Tian Ming als intellektueller Wegbereiter der Studentenproteste des Amtes enthoben. Dank eines Lehrauftrages, den er seinerzeit in den USA wahrnahm, hielt er sich außer Landes auf. Erst 1994 kehrte Wu nach China zurück. Die Jahre des Exils haben sein künstlerisches Talent nicht beeinträchtigt und seinen – humanistisch geprägten – Zorn auf überkommene Strukturen eher verstärkt. So ist auch sein neues Meisterwerk ein Aufschrei gegen die Macht starrer Regeln und für die Kraft von Liebe und Verständnis; und von daher natürlich auch politisch zu interpretieren:

Der 'König der Masken' fristet als Straßenkünstler in der Provinz Sichuan zu Beginn dieses Jahrhunderts sein Leben eher schlecht als recht. Als letzter seiner Art führt er die beliebte Sichuan-Oper mit Gesichtsmasken auf, die er so schnell wechseln kann, dass es wie Magie wirkt. Während aber der Frauendarsteller Meister Liang vom Volk geliebt und verehrt und sein Einzug in der Stadt mit einem prachtvollen Fest gefeiert wird, führt der alte Mann seine Kunst eher unbeachtet und fast vergessen vor. Er kann jedoch seine Kunst nicht weitergeben: Der Tradition zufolge darf nur ein männlicher Erbe in das Geheimnis eingeweiht werden. Damit seine Kunst nicht untergeht, kauft er sich auf dem Markt ein Kind, das er mit Liebe überschüttet. – Seinerzeit gab es in der unruhigen Hungerprovinz viele solcher Märkte, auf denen arme Leute eins ihrer Kinder verkaufen mussten, um das Überleben der Familie zu sichern. – In einer Notsituation findet der Maskenkönig heraus, dass sein "Enkel" in Wahrheit eine Enkelin ist und nun will er sie verstoßen. Doch die kleine "Doggie" hat den alten Mann in ihr Herz geschlossen und kann ihn überreden, sie als Koch- und Haushaltshilfe auf seinem Boot zu behalten. Schließlich bringt er ihr sogar einige Kunststückchen bei und tritt gemeinsam mit ihr auf; das Geheimnis der Maskenkunst behält er für sich.

Doggies Selbstaufopferung geht soweit, dass sie ihm sogar einen Erben besorgt: Sie findet einen kleinen Jungen auf der Straße und glaubt, er sei wie sie einst ausgesetzt worden. Der Kleine ist in Wahrheit Kind reicher Eltern und Opfer einer Entführung. So kommt es, wie es kommen muss: Sie bringt den Kleinen zu Großvater, dort findet ihn die Polizei, die dem alten Mann keinen Glauben schenkt und ihn in den Kerker wirft, wo er der Todesstrafe entgegensieht. Nun bringt Doggie ihr größtes Opfer: Unter Einsatz ihres Lebens bringt sie – übrigens unter Verwendung des Motivs aus der Sichuan-Oper, das Meister Liang berühmt machte – einen hartherzigen General dazu, den Fall richtig aufzuklären. Endlich kann auch Großvater seinen Käfig verlassen: Er wird aus dem Gefängnis freigelassen, befreit sich von der starren Tradition und gibt den Gefühlen nach, die er schon lange für Doggie empfand, sich aber nicht eingestehen wollte. Der Schluss sieht beide, wie sie sich unter freudigem Lachen gegenseitig den Maskentrick zeigen.

In der klassischen Form des chinesischen Melodrams erzählt Wu seine Geschichte vom Sieg der Liebe über die patriarchale und gnadenlose Tradition, wobei er vor allem auf die Kraft der Kinder setzt. Dabei taucht er tief ein in die chinesische Tradition und Kunst und zeichnet ein differenziertes Bild dieser uralten Kultur, in der er ebensoviel Bewahrens- wie Verdammenswertes sieht. Aber vor allem ist das ein von humanistischem Zorn und Optimismus zugleich geprägtes Werk. Denn das konsequent entwickelte Happy End der Geschichte ist vor allem ein Appell: In der Wirklichkeit beweisen Chinas alte Männer der Welt Tag für Tag aufs neue, dass sie weder gewillt noch in der Lage sind, sich von ihren Traditionen zu verabschieden und im Gegenteil weiter auf Gewalt und Unterdrückung setzen. Insofern ist auch der General, der sich von Doggies Opfer überzeugen lässt, eine Idealfigur, entsprungen dem Wunsch des Filmemachers, dass die Herrschenden auf die Kinder – also die Zukunft ihres Landes – hören mögen. Aber Wu ist kein verblendeter Idealist: So ist es kein Zufall, dass er seinen Film von den traditionsreichen Hongkonger Shaw Brothers-Studios produzieren ließ; bot ihm das doch die künstlerische Freiheit, zu sagen und zu zeigen, was er denkt. Doch Wus Film ist auch ein Fest für die Sinne: Formvollendet fotografiert lässt er uns die Pracht und Schönheit seines Landes und seiner Kultur und Kunst erleben. Seine zwei Hauptdarsteller spielen einem bisweilen die Tränen in die Augen; Tränen, derer man sich nicht zu schämen braucht. Denn wo andere Kitsch bieten, macht Wu Kunst: ehrlich, aufrichtig und anrührend.

Lutz Gräfe

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 80-2/1999 - Hintergrund - Medienpädagogische Vorschläge zum Film "Der König der Masken"
KJK 73-2/1998 - Interview - "Ideal sind die Filme, die gut gemacht sind und die das Publikum berühren."

 

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