Produktion: Allarts Kaaitheater, Niederlande 1992 – Regie und Buch: Peter van Kraaij, Josse De Pauw – Kamera: Guillermo Navarro – Schnitt: Eric Devos – Darsteller: Din Meysmans, Josse De Pauw, Viviane De Muynck u. a. – Länge: 87 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Allarts Kaaitheater, NL 2511 CV Den Haag
Der neunjährige Vinaya lebt allein bei seiner Großmutter in einem einsam gelegenen Landhaus. Sie liebt Musik und Poesie und erzählt ihm eines Tages die Geschichte von Sensei, einem Mann, der über die Berge zu einem Land aus Vinayas Träumen wandert. Der Junge teilt sein Geheimnis mit dem alten Pferd Victor: Als Erwachsener möchte er Sensei folgen.
Eines Tages wird das harmonische Leben Vinayas gleich doppelt gestört: Victor wird von der großen Wiese vor dem Haus gestohlen, und die Großmutter erliegt einer plötzlichen Herzattacke. Auf der Suche nach Hilfe trifft Vinaya einen raubeinigen Landstreicher. Der stiehlt zwar das Geld der toten Großmutter, hilft dem Jungen aber, die Tote zur letzten Ruhe zu betten. Gemeinsam streifen sie nun durch eine fast menschenleere Landschaft, schlafen am Lagerfeuer im Freien und fangen gelegentlich Fische im See. Schließlich kommen sie in eine Stadt, in der gerade Jahrmarkt ist. Hier sieht der Junge zufällig, wie ein Pferd erschossen wird. Ist es Victor? Durch den Landstreicher macht Vinaya weitere schmerzliche Erfahrungen. Allmählich lernt er auf diese Weise die Welt der Erwachsenen kennen, zu der neben Freude und Liebe auch Schmerz und Trauer gehören.
Am Ende freundet sich Vinaya mit einem Mädchen an, das offenbar auch allein ist. Sie tauschen ihre Erfahrungen aus. Zusammen entdecken sie, dass die Erzählungen der Erwachsenen nicht immer mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Die Zeit der Märchen geht zu Ende.
Die beiden Regisseure Peter van Kraaij und Josse De Pauw haben die geradezu mythologisch anmutende Geschichte selbst geschrieben und in Mexiko verfilmt. Josse De Pauw spielt auch den sonderbaren Landstreicher, der sich mit allerlei Tricks durchs Leben schlägt. Sehenswert an "Vinaya" sind vor allem die brillant fotografierten Landschaftsaufnahmen. So lässt sich das Regie-Duo etwa viel Zeit beim Beobachten der Natur, der ziehenden Wolken oder der stillen Kanäle.
Eindrucksvoll ist auch die Art, wie der niederländische Film seinen Aufruf zur Hilfsbereitschaft ohne weitschweifige Erklärungen vermittelt – einfach nur mit Bildern. Sie genügen, um zu zeigen, dass Freundschaften wie die zwischen dem Jungen und seinem erwachsenen "Blutsbruder" auch ohne große Worte funktionieren. Ein eigentümlicher Reiz liegt allerdings auch in den zuweilen philosophisch angehauchten Dialogen, die immer wieder zum Nachdenken anregen. So fragt die Großmutter Vinaya einmal, warum er nicht bei ihr im Erdgeschoss wohnen will und stattdessen die erste Etage bevorzugt. Vinaya antwortet: "Unten ist es leichter, aber oben ist es besser."
Ähnlich wie "Toto der Held" und "Leolo" ist "Vinaya" ein Kinderfilm für Erwachsene. Die märchenhafte Initiationsreise vergegenwärtigt sozusagen die verlorene Naivität und die schmerzhaften Erfahrungen der Kindheit und erweckt zugleich jene magische Unbeschwertheit wieder zum Leben. Einige gewalttätige Szenen in dieser Erfahrungskette sind zwar psychologisch motiviert, sie stehen aber zu isoliert in einer Erlebniswelt, der es an heiteren Gegengewichten fehlt. Daher erscheint es fraglich, ob ein kindliches Publikum mit diesem Film ohne weiteres zurechtkommt. Bei vielen erwachsenen Zuschauern in Mannheim hinterließ "Vinanya", der dort das 41. Filmfestival im November 1992 eröffnete, jedoch einen nachhaltigen Eindruck. Es ist ein stiller, ein suggestiver Film, den man nicht so schnell vergisst.
Reinhard Kleber
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