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Ausgabe 73-1/1998

GHETTO

Produktion: Bachim Film / Thomas Imbach / Filmkollektiv Zürich; Schweiz 1996 – Regie: Thomas Imbach – Buch: Thomas Imbach, Monika Gsell – Kamera: Jürg Hassler, Thomas Imbach – Schnitt: Thomas Imbach, Jürg Hassler – Musik: Peter Braeker – Darsteller: Xhumasije Serifi, Markus Bolleter, Daniel Donatsch, Ana-Maria Bopp, Steffi Lauterburg, Romina Panarese, Oliver Bruni, Atilla Acikel – Länge: 122 Minuten – Farbe – Weltvertrieb: Bachim Film, Hohlstraße 208, CH-8004 Zürich, Tel./Fax: +41 1 2419563 – Altersempfehlung: ab 14 J.

Acht 14- bis 17-jährige Jugendliche aus der Nähe von Zürich werden von einer agilen Handkamera ins Klassenzimmer, in die Elternhäuser, in verrauchte Techno-Keller, zum Berufsberater und auf Spritztouren übers Land begleitet. Xhumi, Mike, Dani, Ana, Steffi, Romina, Oli und Ati erzählen dabei von ihren Problemen und Erfahrungen, Träumen und Wünschen. Der 1961 in Luzern geborene Regisseur Thomas Imbach, der 1988 mit "Schlachtzeichen", einer dokumentarisch-fiktiven Arbeit über die Schweizer Armee, hervorgetreten ist, hat seinen Dokumentarfilm in sechs Kapitel gegliedert: Ghetto, Auto, Techno, Sex, Drogen, Marroni. Jedem Kapitel hat er einen Protagonisten und eine eigene visuelle Note zugeordnet. So spricht Xhumi mit ihren Freundinnen über Jungs und erste sexuelle Erlebnisse, Mike schildert seine Eskapaden bei Techno-Partys, während der junge Straßenverkäufer Aki, der sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt, auf bessere Tage hofft.

Als zentrale Anliegen der Jugendlichen, die gerade die Schule abgeschlossen haben, kehren vor allem zwei Fragen immer wieder: Was soll ich beruflich machen? Und wie bekomme ich mein Leben auf die Reihe? Da fragt sich ein Mädel zum Beispiel, ob sie medizinisch-technische Assistentin oder Zoofachgehilfin werden soll. Eine andere spekuliert, ob sie als Model auf dem Laufsteg wohl Karriere machen kann. Antworten gibt "Ghetto" nicht. Doch die Art, wie solche Fragen gestellt und mögliche Lösungsansätze diskutiert werden, vermittelt viel vom Lebensgefühl dieser Altersgruppe.

Zwischen die einzelnen Passagen sind stimmungsvolle Aufnahmen der neblig-kalten Landschaft geschnitten, die einerseits den Erzählfluss hemmen, andererseits als ruhige Gegenpole zur Hektik von Bild und Ton dienen. Die authentisch anmutenden Momentaufnahmen aus dem Alltag der Techno-Kids sind mit einem abwechslungsreichen Soundtrack unterlegt, der sich aus Musikströmungen wie Ambient, Trance, Break-Beat und Hardcore speist.

Trotz einiger Längen zeichnet der zweistündige Dokumentarfilm ein atmosphärisch dichtes Porträt der Gruppe. Für verwackelte Bilder und die zuweilen allzu ausgedehnte Aneinanderreihung "redender Köpfe" entschädigt die Authentizität, die dem offenkundigen Vertrauensverhältnis zwischen Regisseur und Jugendlichen entspringt. Die Realitätsnähe der Darstellung manifestiert sich nicht zuletzt in der Beibehaltung der schweizerdeutschen Dialoge – deutschsprachige Untertitel machen sie auch dem Publikum außerhalb der Schweiz verständlich.

Auf dem Internationalen Filmfestival Mannheim/Heidelberg wurde "Ghetto" 1997 als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Die Große Jury lobt vor allem "seinen anspruchsvollen und komplexen visuellen Stil, der erstaunliche Bilder für die konfuse Gefühlslage von Teenagern findet". Stilistisch und musikalisch bietet die vielstimmige Studie Imbachs, dessen letzter Film "Well done" (1994) auf Festivals in Leipzig, Luzern und Zürich Auszeichnungen erhielt, sozusagen das dokumentarische Gegenstück zu dem etwa zeitgleich entstandenen österreichischen Spielfilm "Tempo", einer rasanten Techno-Komödie von Stefan Ruzowitzky, der ebenfalls den Rhythmus der Techno-Musik für die Filmgestaltung fruchtbar macht.

Unklar bleibt allerdings der Filmtitel "Ghetto". Mit der prekären Existenz diskriminierter Minderheiten wie der Juden im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa hat die Situation der acht jungen Zürcher so gut wie nichts gemein. Dass auch in der wohlhabenden konservativen Schweiz Ausländer Benachteiligungen und Fremdenfeindlichkeit ertragen müssen, ist allgemein bekannt, rechtfertigt aber nicht den Titel. Und bei allem Verständnis für die Verständnisschwierigkeiten, auf die Heranwachsende bei vielen Erwachsenen stoßen, in einem "Ghetto" leben diese Wohlstandskinder deshalb noch lange nicht.

Reinhard Kleber

 

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KJK-Ausgabe 73/1998

 

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