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Ausgabe 74-2/1998

THIRTEEN

Produktion: David Williams, USA 1997 – Regie, Buch, Kamera, Schnitt: David Williams – Musik: Cecil Hooker, Shep Williams, Carlos Garza – Darsteller: Nina Dickens, Lillian Folley u. a. – Länge: 87 Min. – Farbe – Weltvertrieb (16mm): Bellevue Films, 1238 Warren Ave., Richmond, VA 23227, USA, Tel. 001804-2660426 – Altersempfehlung: ab 12 J.

Nina lebt, in einem der Neuenglandstaaten vermutlich, ohne Vater mit Lillian, ihrer Mutter, zusammen. Sie ist die Jüngste, und ihre erwachsenen Geschwister haben längst das Haus verlassen und sind verheiratet, halten aber noch engen Kontakt. Nina und Lillian sind eingebettet in eine Gemeinschaft aus schwarzen und weißen Nachbarn und Freunden, die fast so etwas wie eine Großfamilie bilden.

Der Film setzt kurz nach dem dreizehnten Geburtstag Ninas ein. Ohne Vorwarnung oder Nachricht verlässt sie das Haus und bleibt tagelang verschwunden. Erst von Nachbarn erfährt Lillian, dass sie sich offenbar per Anhalter davongemacht hat. Die Jugendbehörde schaltet sich ein, befragt Nachbarn und Freunde der Familie, überprüft die männlichen Bekannten auf verdächtige Neigungen. Während eines dieser Besuche kehrt Nina ebenso unauffällig und kommentarlos zurück. Sie hatte eine Reise auf einen Berg unternommen, "um einmal alleine zu sein". Dort hat sie sich in den Kopf gesetzt, ein Auto zu kaufen und setzt nun alles daran, ihren Plan zu verwirklichen. Sie geht auf Arbeitsuche, wobei sie in einer Mischung aus Zielstrebigkeit und Naivität auf Anzeigen hin auch bei einem Graphikdesigner und einem Immobilienmakler vorspricht, ohne eine Vorstellung von den entsprechenden Tätigkeiten zu haben ("Weißt du denn, was ein Immobilienmakler tut?" – "Sie können es mir ja zeigen."), und noch für die kleinsten Gefälligkeiten und Handreichungen handelt sie mit selbstverständlicher und dennoch sympathischer Kaltschnäuzigkeit mit den Kopf schüttelnden Verwandten und Freunden Tarife aus, was sie nicht daran hindert, die gleichen Personen ohne Gegenleistung in das komplizierte Management von Arbeitszeiten und Schulbesuch einzuspannen. Den Job als Modell bei einem Maler lehnt sie ab, weil sie dort nackt posieren soll. Mehr Erfolg hat sie schließlich als Baby- und Haustiersitterin, was natürlich nicht das große Geld einbringt. Der große Traum vom eigenen Auto verfliegt, als sie von einem ihrer Arbeitgeber erfahren muss, welch immense Nebenkosten (Fahrstunden, Versicherung, Steuer) eine solche Anschaffung mit sich bringt, und am Ende, nachdem ein Jahr vergangen ist, wird das Ersparte in Geschenke für Familie (Lillian bekommt eine großes Aquarium) und Freunde investiert.

Mehr als die Handlung macht die Art der Darstellung den eigentümlichen Charme des Films aus. Wären da nicht immer wieder die, realistisch gefilmten, Traumsequenzen, könnte der unvoreingenommene Zuschauer glauben, einen Dokumentarfilm zu sehen, der das Leben einer schwarzen Familie im Nordosten der USA schildert. David Williams verzichtet entgegen allen von Hollywood geprägten Erwartungen auf platte Psychologisierungen und die Vorgabe von Motivationen und lässt seine Figuren für sich selbst sprechen. Die Laiendarsteller (Nina und Lillian sind im wirklichen Leben Pflegemutter und -tochter) agieren nicht eigentlich, sie treten vielmehr vor eine scheinbar neutrale Kamera, die ihnen an keiner Stelle zu nahe kommt und keinerlei Identifizierung erlaubt, ohne jedoch Mitgefühl und Sympathie auszuschließen. Sie respektiert die spröde Unnahbarkeit des pubertierenden Mädchens, das versucht, sich aus der engen Beziehung zu ihrer Mutter zu lösen und zu einer eigenen Identität zu finden. In lakonischen, quasi dokumentarisch geschnittenen Szenenfolgen begleitet der Film Nina auf ihrer Reise, bei der Arbeitsuche, zum Gebrauchtwagenhändler, wird Zeuge ihrer Verhandlungen mit prospektiven Arbeitgebern und der Nachhilfestunden, die notwendig werden, als wegen der Vielzahl der Jobs die Schulleistungen nachlassen.

Ein zentrales Element bilden die Zwiegespräche von Nina und Lillian. Aus ihnen vor allem erschließt sich das Verhältnis zwischen der liebevoll-autoritären Mutter, die, sehr down-to-earth, ihrer Tochter klarmacht, was sie will und was nicht, und dem Teenager an der Schwelle zum Erwachsenwerden mit allen Unsicherheiten und Ambivalenzen, die dieses Alter mit sich bringt. Es ist kein konfliktgeladenes Verhältnis; Nina teilt größtenteils Lillians Ansichten, und deshalb findet ihr Wunsch nach Autonomie im Streben nach einem materiellen 'erwachsenen' Ziel, dem eigenen Auto – einem Symbol räumlicher Unabhängigkeit – Ausdruck. Dennoch ist dieser Wunsch bei aller Zähigkeit, mit dem sie ihn zu verwirklichen sucht, seinerseits selbst wieder kindlich, da unrealistisch. Erweist sich am Ende das eigentliche Projekt auch als Fehlschlag, so ist jedoch ein Prozess in Gang gekommen. Nina hat sich selbst bewiesen, dass sie in der Lage ist, eigenständig ein selbstgestecktes Ziel zu verfolgen. Der schließliche Verzicht auf das Objekt der Begierde und, mehr noch, die Verwendung der Ersparnisse für die Menschen, die ihr am nächsten stehen, wird mehr zu ihrer Identitätsfindung beitragen, als es das schönste Auto je hätte tun können. Nina ist ein Stück erwachsener geworden.

Gerold Hens

 

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