Produktion: Avista Film; Deutschland 1998 – Regie und Buch: René Heisig – Kamera: Fritz Seemann – Schnitt: Melanie Werwie – Musik: Fury in the Slaughterhouse – Darsteller: Peter Lohmeyer (Michael), Niccolo Casagrande (Paul), Annett Kruschke (Barbara), Jan Gregor Kremp (Charly), Nathalie Cellier (Charlotte) u. a. – Länge: 88 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Cinepool, Sonnenstr. 21, D-80331 München, Tel. 089-558760, Fax 089-55876188- Altersempfehlung: ab 10 J.
Der zehnjährige Paul lebt, seit er mit sechs Jahren eine Leukämie-Erkrankung überstanden hat, bei seiner Mutter. Weil sein Vater die Belastung nicht aushielt, trennten sich die Eltern. Vater Michael, der als selbstständiger LKW-Unternehmer durch halb Europa fährt, schickt Paul gerne Ansichtskarten von fernen Orten, lässt sich aber ansonsten zu Hause in Mannheim wenig blicken. Als Pauls Krankheit wieder ausbricht, reißt der Knabe aus und versteckt sich im Fahrerhaus von Michaels Brummi, der eine Ladung Kühlschränke nach Spanien transportieren soll. Während Mutter Barbara den Sohn verzweifelt sucht, entdeckt ihn der Vater erst unterwegs in Frankreich. Verärgert setzt er Paul in einen Zug nach Hause, holt ihn am nächsten Bahnhof jedoch wieder aus dem Abteil.
Auf der gemeinsamen Weiterfahrt, die von einer Motorpanne auf einer engen Nebenstraße in einer Bergidylle unterbrochen wird, kommen sich die beiden langsam näher. Während Paul trotz vieler Enttäuschungen an seiner Liebe zum Vater festhält, beginnt Michael, konfrontiert mit den Vorwürfen des Jungen, über seine Versäumnisse nachzudenken. Als Michael nach einem Zwischenstopp bei seiner Geliebten, einer französischen Motel-Inhaberin, von der lebensbedrohlichen Erkrankung Pauls erfährt, muss er sich entscheiden. Soll er dem Rat der Ärzte folgen und Paul ins nächste Krankenhaus bringen? Oder erfüllt er Pauls größten Wunsch – eine Fahrt ans Meer.
In seinem Abschlussfilm der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film erzählt Regisseur René Heisig mit viel Fingerspitzengefühl eine konventionelle Vater-Sohn-Fabel, ohne dabei in nahe liegenden Gefühlskitsch zu verfallen. Auch wenn das unspektakuläre Familiendrama im Gewand eines Road Movie einige Längen aufweist, spielen sich die beiden Hauptdarsteller Peter Lohmeyer und der junge Niccolo Casagrande doch rasch in die Herzen der Zuschauer. Casagrande meistert die Darstellung der Leukämie-Symptome souverän. Und Lohmeyer fühlt sich sichtlich wohl in seiner Rolle als "tough guy" mit weichem Kern und scheidungsgeschädigter Rabenvater, der durch die intensive Begegnung mit dem Sohn geläutert wird. Annett Kruschke als stets besorgte und meist angesäuerte alleinerziehende Mutter bleibt dagegen wenig Spielraum zur Entfaltung ihrer schauspielerischen Möglichkeiten.
Bei der Schilderung der medizinischen Einzelheiten profitierte der 1960 in Rüsselsheim geborene Regisseur von seinen einschlägigen Fachkenntnissen, arbeitete er doch nach achtjährigem Medizinstudium in Frankfurt am Main von 1988 bis 1990 als Assistenzarzt, ehe er sich für den Wechsel in die Filmbranche entschied. Seine Intentionen beschreibt Heisig so: "Ich wollte von der Kraft kindlicher Sehnsucht erzählen, von der Stärke, die ein kranker Junge in einer fast aussichtslosen Lage entwickeln kann. Es ging darum zu zeigen, wie viel unmittelbarer Kinder leben: Sie zwingen uns, nicht immer aus der Gegenwart zu flüchten."
Die sorgfältig komponierten Landschaftstotalen von Kameramann Fritz Seemann und der fetzige Soundtrack mit Songs von 'Fury in the Slaughterhouse' verdeutlichen den Anspruch des Teams, "Pauls Reise" leinwandgängig zu gestalten. Es bleibt zu hoffen, dass ein Verleiher die Qualitäten dieses anrührenden Familiendramas erkennt, das zu den Höhepunkten der Deutschen Reihe des diesjährigen Münchner Filmfests zählte, und ihm eine Kinochance gibt.
Reinhard Kleber
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 74-3/1998 - Interview - "Ein Kind auf der Suche nach dem Vater"
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