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Ausgabe 76-4/1998

DAS LEBEN IST SCHÖN

LA VITA E BELLA

Produktion: Melampo Cinematografica / Mario und Vittorio Cecchi Gori; Italien 1998 – Regie: Roberto Benigni – Buch: Vincenzo Cerami, Roberto Benigni – Kamera: Tonino Delli Colli – Schnitt: Simona Paggi – Musik: Nicola Piovani – Darsteller: Roberto Benigni (Guido) , Nicoletta Braschi (Dora), Giorgio Cantarini (Giosuè), Giustino Durano (Onkel), Sergio Bustric (Ferrucio), Marisa Paradès (Doras Mutter), Horst Buchholz (Dr. Lessing) u. a. – Länge: 124 Min. – Farbe – FSK: ab 6 J. – FBW: besonders wertvoll – Verleih: Scotia/Buena Vista (35 mm) – Altersempfehlung: ab 10 J.

1939 in der Toscana: Der Lebenskünstler Guido und sein Freund Ferrucio brechen auf, um in der Stadt Arezzo ihr Glück zu machen. Guido, der von einem eigenen Buchladen träumt, verliebt sich in die hübsche Lehrerin Dora, die aber leider schon mit einem faschistischen Bürokraten verlobt ist. Doch der Romantiker Guido, der sich als Kellner in einem Hotel verdingt, lässt sich nicht entmutigen: Mit Charme und Phantasie bezaubert er die junge Frau, die sich schließlich von ihm von der offiziellen Verlobungsfeier entführen lässt.

Ein paar Jahre später sind Guido und Dora verheiratet und haben einen vierjährigen Sohn. Guido ist Buchhändler, leidet aber als assimilierter Jude unter den Rassegesetzen und Schikanen des faschistischen Regimes. Als er und sein Söhnchen wenige Monate vor Kriegsende abgeholt werden, folgt ihnen die Christin Dora freiwillig ins Konzentrationslager, wo sie jedoch von Mann und Sohn getrennt wird. Um den Jungen vor den Schrecken des Lagers zu schützen, erfindet Guido immer neue phantastische Geschichten. So gaukelt er ihm vor, das Ganze sei nur ein langes Spiel zwischen ihrer Reisegruppe und den Wächtern, bei dem der Gewinner einen echten Panzer bekommt. Angetrieben wird er von dem sehnlichen Wunsch, sein Sohn solle weiter daran glauben, dass das Leben schön ist. Mit Einfallsreichtum gelingt es Guido, den Jungen vor den Aufsehern zu verstecken. Als das Lager wegen der heranrückenden Alliierten geräumt wird, versucht er im allgemeinen Chaos mit ihm zu fliehen.

Darf man über den Holocaust Witze machen? Diese Frage von philosophischer Tragweite, die an Adornos legendäres Diktum erinnert, dass nach Auschwitz keine Gedichte mehr möglich seien, wurde schon beim diesjährigen Filmfestival in Cannes aufgeworfen. Doch für Ängstlichkeiten gibt es keinen Grund. "Dem Film gelingt", schreibt die Filmbewertungsstelle zutreffend in ihrem Gutachten, "was man zunächst bezweifelt: Er entwickelt aus einer burlesken, leichtfüßig daher kommenden und italienisch schwadronierenden Komödie eine anrührende und ergreifende Parabel über die menschliche Größe und Überlebenskraft in einer ausweglosen Situation." Dass der italienische Starkomiker Roberto Benigni in seiner sechsten Regiearbeit diese halsbrecherische Gratwanderung bewältigt hat, belegen nicht nur der "Große Preis" der Jury in Cannes und neun "Davids", die höchste italienische Filmauszeichnung. Auch auf dem Filmfestival in Jerusalem wurde "Das Leben ist schön" begeistert aufgenommen. Und der Bürgermeister Jerusalems zeichnete Benigni für seine "Förderung des allgemeinen Verständnisses der jüdischen Geschichte" aus.

Bei der riskanten Unternehmung konnte sich Benigni, der eine Hauptrolle spielt, Regie führt und zusammen mit Vincenzo Cerami auch das Drehbuch schrieb, auf zwei Großmeister der komödiantischen Filmkunst beziehen: Charlie Chaplin und Ernst Lubitsch. In ihren Meisterwerken "Der große Diktator" (1940) und "Sein oder Nichtsein" (1942) haben beide gezeigt, dass die Nazi-Ideologie auch zur Satire taugt. Während diese beiden Filme eine einheitliche stilistische Linie verfolgen, weist Benignis Arbeit insofern ein Handicap auf, als dem Publikum nach der märchenhaft-luftigen Romanze der ersten Hälfte ein abrupter Umschwung zu einer düsteren Familientragödie zugemutet wird.

Dass der mit der Deportation einsetzende Stimmungswechsel überhaupt funktioniert, verdankt der Regisseur Benigni bewundernswerten schauspielerischen Leistungen, die er selbst, seine Kollegin und Ehefrau Nicoletta Braschi sowie der kleine Giorgio Cantarini vollbringen. Vor allem jedoch wirkt sich hier die Konsequenz aus, mit der Guido – in der ausweglosen Lage eines Sisyphos – seinen Sohn vor dem Grauen bewahren will, indem er an der Fiktion des spielerischen Wettstreits um Punkte festhält. Gerade dieser dramaturgische Kunstgriff begründet die emotionale Tiefenwirkung der Tragikomödie und ebnet ihr damit den Weg in die Herzen der jungen Zuschauer. Roberto Benigni sagte dazu in einem Interview: "Was ist bewegender als eine Liebesgeschichte mit einem Kind? Ausgangspunkt ist das Prinzip, Traumata von Kindern fernzuhalten, die Reinheit zu schützen. Das ist das älteste, tiefste und größte Gefühl, das Männer haben können." Im Hinblick auf die Tatsache, "dass Kinder wissen müssen, was vorgeht", hat der Filmemacher nach eigenen Angaben dem Jungen Giosuè bewusst das Alter gegeben, das Joseph Conrad als das der "Schattenlinie der Kindheit" definiert: "Es ist das Alter, in dem man alles versteht, aber wo man ebenso glauben kann, dass es sich um ein Spiel handelt. Giosuè hat wahrscheinlich alles verstanden." Ob der Junge wirklich alles verstanden hat, das ist eine Frage, die bei Gesprächen mit Kindern nach Vorführungen dieses einzigartigen Spielfilms spannende Diskussionen auslösen dürfte.

Reinhard Kleber

 

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