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Ausgabe 79-3/1999

SIMON BIRCH — ÜBER GÜRTELTIERE, SIMON UND MICH

SIMON BIRCH

Produktion: Hollywood Pictures; USA 1998 – Buch und Regie: Mark Steven Johnson, nach dem Roman "A Prayer for Owen Meany" von John Irving – Kamera: Aaron E. Schneider – Schnitt: David Finfer – Musik: Marc Shaiman – Darsteller: Ian Michael Smith (Simon Birch), Joseph Mazzello (Joe Wenteworth), Ashley Judd (Rebecca Wenteworth), Oliver Platt (Ben Goodrich), David Strathairn (Reverend Russell) u. a. – Länge: 98 Min. – Farbe – Verleih: Buena Vista – Altersempfehlung: ab 12 J.

In schöner Regelmäßigkeit werden wir mit Filmen jenseits des großen Teiches (dem Atlantik) beliefert, in denen Kinder und Jugendliche mit Handicaps verschiedener Art geschlagen sind und sich in ihrer Umwelt behaupten müssen, von "Kenny" über "Henry & Verlin" und "Mississippi – Fluss der Hoffnung" bis hin zu "The Mighty", "Simon Birch" und "The Tic Code", dem Preisträgerfilm des Kinderfilmfestes der Berlinale 1999. Nicht immer erfüllen diese Filme die finanziellen Erwartungen an das Publikum, obwohl sie alle sehenswert sind und zumindest in der filmkulturellen Arbeit sehr geschätzt werden. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum der Kinostart von "The Mighty" und "Simon Birch" verschoben wurden, letzterer auf den Herbst 1999, und "The Tic Code" immer noch keinen deutschen Verleih hat. Warum man allerdings den eingängigen Titel "Simon Birch", benannt nach der eindeutigen Hauptfigur des Films, in eine wissenschaftliche Abhandlung umbenannt hat ("Über Gürteltiere, Simon und mich") und ein ausgestopftes Tier in den Vordergrund rückt, das sich wie ein roter Faden durch den Film zieht, mag wohl ein Geheimnis der Marktstrategen bleiben.

"Simon Birch" wurde von John Irvings Roman "Ein Gebet für Owen Meany" inspiriert. Da nur Teile aus dem Roman genommen wurden, musste auch der Original-Filmtitel geändert werden. Der Film spielt in den 60er-Jahren in einer ländlich geprägten Gegend der USA und ist aus der Sicht eines erwachsenen Mannes erzählt, der sich an seine Jugendzeit erinnert, an die Zeit, als er mit Simon Birch befreundet war. Simon ist zwergwüchsig, aber hochintelligent, eine – zumindest im Film häufig anzutreffende – Mischung, die ihn jedoch immer wieder zum unfreiwilligen Sündenbock in der Sonntagsschule werden lässt, wo er mit unbequemen Fragen vor allem den Pfarrer irritiert und der festen Überzeugung ist, dass Gott mit ihm noch etwas Besonderes vorhat. Von den leiblichen Eltern als behindertes Kind nicht anerkannt, bekommt Simon aber von der Mutter seines Freundes Joe die Zuneigung und Achtung, die ihm zusteht. Joe gilt wie Simon als Außenseiter, denn er leidet sehr unter seiner unehelichen Geburt und weiß nicht, wer sein Vater ist. Ein Baseball-Spiel, bei dem Simon zum ersten Mal in seinem Leben den Ball trifft, wird für beide Jungen zum Wendepunkt in ihrem Leben. Der fehlgeleitete Ball fliegt Joes Mutter an den Kopf, die tot umfällt. Das Unglück schweißt die 12- bzw. 15-Jährigen Kinder aber noch stärker aneinander auf ihrer gemeinsamen Suche nach dem, was ihnen fehlt. Und tatsächlich, das Schicksal nimmt seinen Lauf: Joe lernt mit Simons Hilfe seinen wirklichen Vater kennen, der sich nach schweren Gewissenszweifeln endlich zu seiner Vaterschaft bekennt, und Simon wird zum Helden, als er unter Einsatz seines Lebens seine Schulkameraden aus einem im See versunkenen Bus rettet.

Die Geschichte der ungewöhnlichen intensiven Freundschaft ist anrührend, spannend und sogar lustig, wobei die erzählerische Rückblende durch den Erwachsenen Joe auch eine gewisse Distanz zum Geschehen schafft und den Blick schärft nicht nur für das bigotte Verhalten der Gesellschaft gegenüber den beiden Außenseitern, sondern ihn auch konzentriert auf die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz und der unbedingten Sinnhaftigkeit jeden Lebens — so die eindeutige Botschaft des Films. Auf diese Weise ermöglicht "Simon Birch" einen altersgerechten Einstieg für Kinder, ohne selbst für diejenigen Erwachsenen langweilig zu werden, die sich nicht an eigene Kindheitserfahrungen erinnern wollen.

Gespielt wird Simon perfekt von dem elfjährigen Ian Michael Smith, der auch in Wirklichkeit zwergwüchsig ist, denn nur so konnte er die Rolle übernehmen, mit der er sein Filmdebüt gab. Im Gegensatz zu seiner Rolle fühlt sich Ian aber nicht als Außenseiter, ist vielmehr voll in seine Umgebung integriert.

Holger Twele

 

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