Produktion: Quinte Film in Koproduktion mit ZDF/arte; Deutschland 1999 – Regie und Buch: Michael Hammon, Jacqueline Görgen – Kamera: Michael Hammon – Schnitt: Yvonne Loquens – Musik: Harald Bernhard, Matthias Kratzenstein – Länge: 93 Min. – Farbe – Vertrieb: Quinte Film Produktion, Mirjam Quinte, Konradstr. 20, 79400 Freiburg, Tel. 0761-702563, Fax 0761-701796 – Altersempfehlung: ab 12 J.
In dem Dokumentarfilm "The Hillbrow Kids" schildern Michael Hammon und Jacqueline Görgen die Lage der Straßenkinder im gleichnamigen Stadtviertel der südafrikanischen Metropole Johannesburg. Viele von ihnen sind aus den Townships in die City gekommen, weil sie hofften, hier ein besseres Leben führen zu können. Doch im Stadtzentrum haben sie keine dauerhafte Lebensgrundlage. Zu zehnt hausen die schwarzen Jungs in improvisierten Schlafstätten aus Stoffresten oder schmutzigen Kartons. Sie gehen nicht zur Schule, betteln, belästigen die Passanten und scheinen zuweilen eine gewisse Arroganz gegenüber ihrer verzweifelten Lage zu zeigen.
Stellvertretend für die Vielzahl dieser ärmsten Erben der Apartheid stellt das Autorenduo mehrere Fälle ausführlicher vor. So betäubt Bhaki seinen Schmerz und seine Revolte, indem er große Mengen Leim schnüffelt. Er sieht zwar klar, dass er in einem Sumpf steckt, weiß aber keinen Ausweg. Silas leidet körperlich und seelisch: Sein Kieferabszess macht ihn praktisch blind. Verzweifelt sucht er Hilfe. Die selbst noch kindliche Jane sucht ihr Baby, das der rücksichtslose Erzeuger ihr einfach weggenommen hat. Vusi arbeitet, er möchte ein Fahrrad und hilft seiner Mutter, die er regelmäßig besucht. Wenn er sie dann wieder in der tristen Vorortsiedlung zurücklässt, weint sie jedes Mal. Schadrak ist überzeugt, dass er anders ist als die anderen. Er glaubt an seinen guten Stern und schmiedet Pläne.
Mosaikartig setzen Hammon und Görgen die Alltagsbeobachtungen und Statements der Jungs – und manchmal die ihrer erwachsenen Bezugspersonen – zusammen. Allmählich entsteht so ein facettenreiches Kaleidoskop paradigmatischer Schicksale: Die Kinder sind Opfer einer Gesellschaft, die zwar nicht mehr von rassistischen Prinzipien dominiert wird, die sich aber zunehmend aufspaltet in Arm und Reich, Besitzende und Nichtbesitzende.
Zwei Jahre haben Jacqueline Görgen (1964 in Erfurt geboren) und ihr Partner Michael Hammon (geb. 1955 in Südafrika), an dem 93-minütigen Film gearbeitet, den das Filmfestival Locarno 1999 als Weltpremiere in der renommierten Sektion "Kritikerwoche" zeigte. Görgen hatte schon ihren ersten Dokumentarfilm "Der Streit oder Kinder im Asyl" (1995-96) über Heranwachsende in sozialen Notlagen gedreht; Hammon hat etwa zehn kurze, mittlere und lange Filme realisiert, darunter 1991 in Südafrika "Wheels and Deals". Seit 1993 waren beide mehrfach in Südafrika und haben die Veränderungen in Hillbrow registriert. Das multikulturelle Stadtviertel, in dem einst neben den überwiegenden Schwarzen Inder, Deutsche und Italiener wohnten, wird inzwischen nur noch von Schwarzen bevölkert.
Einen zentralen Grund für die rapide Zunahme der Straßenkinder neben der allgegenwärtigen Armut sehen die Filmemacher in der weitgehenden Zerstörung der traditionellen Strukturen der schwarzen Familien durch die Apartheid. Die Folgen der früheren Politik der Rassentrennung zeigen sich nach Ansicht Görgens "erst jetzt in ihrer ganzen Schärfe". Ein wichtiges Ziel des Films sieht sie darin, "zu zeigen, dass die langfristige Rekonstruktion dieser Strukturen ein Beitrag sein könnte, aus der heutigen Situation von Gewalt und eskalierender Kriminalität herauszufinden."
Allerdings haben die beiden Filmautoren das brisante Thema formal brav und eintönig umgesetzt. Nachdem sich schon viele Filmemacher mit den jungen Opfern von Verelendung und Landflucht in den Metropolen der Welt beschäftigt haben, hätte man mehr erwarten können als die Reproduktion eingeschliffener Präsentationsmuster. Bei allem Verständnis für die Empathie der Autoren für die Hillbrow Kids, von denen wohl nur wenige aus dem Teufelskreis von Obdachlosigkeit, Drogensucht und Beschaffungskriminalität herausfinden werden: Mit einer langen Reihe sogenannter redender Köpfe erreicht man heutzutage kaum noch ein Publikum jenseits der ohnehin schon Aufgeschlossenen und Problembewussten. Problematisch ist auch die Vielzahl der 'Figuren' – eine Konzentration auf wenige Schicksale, die dafür eingehender hätten dargestellt werden können, wäre gewiss anrührender gewesen als der rasche Wechsel zu immer neuen Fällen.
Lediglich mit einer Geschichtenerzählerin setzen Hammon/Görgen einen persönlichen Akzent. In einfacher Sprache erzählt sie die Legende von den Wachskindern von Matopos, die in einer dunklen Hütte leben müssen, weil sie im Sonnenlicht schmelzen würden. Eine schöne Metapher für die deprimierende Existenz der Straßenkinder.
Reinhard Kleber
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