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Ausgabe 7-3/1981

"Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"

(Film in der Diskussion zum Film CHRISTIANE F. – WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO)

Zuschauerkritik

Der Film zum Buch? Ja und nein. Es ist klar, dass jeder, der die Geschichte von Christiane F. gelesen hat, Vergleiche anstellt. Trotzdem finde ich, man sollte sich den Film ansehen, ohne ständig zu vergleichen, denn ein Film kann ja nie so ausführlich berichten wie ein Buch. Deshalb ist man auch meist betroffen, wenn man einen Film sieht, dessen Geschichte man schon gelesen hat.

"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", das ist die Geschichte von Christiane F., einer 14-Jährigen, die in die Fixerszene gerät. Der Film erzählt, wie Christiane mit Drogen anfängt, wie sie immer tiefer in die Szene gerät, wo viele ihrer Freunde enden, und welche Konsequenzen Christiane für sich selbst zieht. Man sieht Christiane und ihre Freunde, ihre Mutter und deren Freund, der sich zuhause breit macht, und man sieht ihre eigene Einsamkeit.

Ulrich Edel, der den Film gemacht hat, zeigt die Probleme von Christianes Jugend, wie sie gemeinsam mit ihrem Freund Detlef entzieht, aber nach dem ersten Schuss wieder voll drauf ist; wie ihre Mutter ein Jahr lang nicht merkt, dass ihre Tochter fixt (was ich schon beim Buch nicht kapiert habe!). Und dann das ewige Problem, wie den nächsten Schuss finanzieren? Die Frage ist nun, ob der Film wirklich das bewirkt, was er bewirken soll. Was soll und will er überhaupt bewirken? Ulrich Edel meint, er solle helfen, denen, die gefährdet sind. Doch abgesehen davon, dass vor allem Zwölf- und Dreizehnjährige gefährdet sind und der Film bei uns erst ab 16 freigegeben ist, glaube ich, dass es nicht wirklich ein Anti-Drogen-Film ist. Zwar ist die Erzählung eines Fixers abschreckend für unsere "heile Welt", doch kann man den Film so und so auffassen. Er ist einen Touch zu abenteuerlich und kann deshalb leicht unrealistisch wirken.

Es ist schwer für mich (ich bin 15 Jahre alt), Christianes Probleme mit meinen eigenen zu vergleichen, weil der Aspekt Umwelt, der für uns wichtig ist, für sie später gar nicht mehr existiert. Im Verlauf des Films gibt es für sie nur noch Detlef, sie selbst und Heroin.

Natja Brunkhorst (14 Jahre), die Christiane im Film, hat vorher noch nie gespielt und nie etwas mit Heroin zu tun gehabt, Ihr ist die "Szene" völlig unbekannt, und ich finde, dass sie das nicht schlecht hingekriegt hat. Auch Thomas Haustein als Detlef macht seine Sache gut, er ist 15 und spielt ebenfalls das erste Mal.

Katinka Blum, 15 J.

Stellungnahmen

Anke Brunn, ehemalige Jugendsenatorin (SPD) in Berlin:
"Der Film ist ein Panoptikum der Heroinszene, ein Schatten vom Abbild der Realität, die er vorgibt, in Szene und Bilder zu setzen, ein Spektakel, das mit den Leiden seiner Personen spekuliert."

Wolfgang Heckman,. Westberliner Drogenbeauftragter:
Er geißelt "die ungeheure Vermarktung, die mit dem Leben einer Abhängigen vor sich gegangen ist und weiter vor sich geht; die perfide Strategie, ein markttechnisch entwickeltes Medium als Aufklärung zu verkaufen; die voyeuristische Kamera, die genauestens die Techniken des Tätowierens, Schnupfens und Fixens zeigt; die Ausblendung von so wichtigen Aspekten wie Ursachen, Alternativen und Hilfsmöglichkeiten im Zusammenhang des Drogenproblems; die Übertreibung der Entzugserscheinungen, die das Aufhören geradezu als selbstquälerisches Unternehmen zeigen; schließlich die Verbindung von Abenteuern und exotischen Erfahrungen mit mitreißender Musik und einem allseits akzeptierten Jugend-Idol."

Antje Huber, Bundesminister für Jugend. Familie und Gesundheit:

Die Anziehungskraft des Films, die er vor allem auf junge Menschen ausübt, hat zum Teil auch Besorgnis ausgelöst. In einem Interview mit dem Parlamentarisch-Politischen Pressedienst (PPP) erläuterte Antje Huber, warum sie diese Bedenken nicht teilt:

Frage:
Von einigen Seiten ist der Vorwurf erhoben worden, der Film "Christian F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" könne junge Menschen zum Drogenkonsum verführen, indem diese versucht sein könnten, das Verhalten der Darstellerinnen und Darsteller nachzuahmen. Halten Sie das für gerechtfertigt?

Antwort:
Nein, ich halte diesen Vorwurf für ungerechtfertigt. Der Film vermeidet einerseits den berühmten "erhobenen Zeigefinger". Er verfällt nicht in bekannte Abschreckungsklischees, von denen wir heute wissen, dass sie nichts bewirken, so gut sie auch gemeint sein mögen. Andererseits zeichnet er die Folgen der Drogenabhängigkeit in einer unsensationellen, dokumentarischen und gerade deshalb realistisch wirkenden Weise auf.

Frage:
Der Film ist ein Kassenschlager geworden ...

Antwort:
... Ja, der Streifen bedient sich der Sprache und Denkweisen eines großen Teils der Jugendlichen. Das erklärt sicher zu einem Teil die große Anziehungskraft, die der Streifen auf junge Menschen ausübt. Dass damit auch ein kommerzieller Erfolg verbunden ist, ist zutreffend – entwertet aber meiner Meinung nach nicht die positive Wirkung des Films auf junge Menschen – auch auf solche, die möglicherweise mit Drogen in Kontakt kommen.

Frage:
Sollten Ihrer Meinung nach auch ältere Menschen den Film sehen?

Antwort:
Ja, ich finde das. Ich bedauere sehr, dass nicht viel mehr Eltern sich den Film ebenfalls anschauen. Dieses Erlebnis würde vielen Eltern ein Teil der Lebenswirklichkeit vorführen, in der junge Menschen – auch ihre Kinder – heute leben. Vielleicht böte die Diskussion über den Film eine Möglichkeit, das in vielen Familien unterbrochene Gespräch zwischen den Generationen wieder in Gang zu bringen. Alle Eltern sollten sich darüber im Klaren sein, dass auch ihre Kinder irgendwann einmal in Drogenprobleme geraten können.

Buch zum Film

Wesentlich aufschlussreicher und fundierter als der Film vermittelt das Buch "Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (nach Tonbandprotokollen, aufgeschrieben von Kai Hermann und Horst Rieck; mit einem Vorwort von Horst E. Richter) grundlegende Informationen über die Drogenszene, über ihre gesellschaftlichen und familiären Ursachen, über das Versagen und die Ignoranz von Behörden und Institutionen. Mit der Veröffentlichung der Aussagen von Christiane F. gibt es für die Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft nicht mehr die Ausrede, über die katastrophalen Zustände und Ausmaße der Drogenszene keine Informationen erhalten zu haben.

Das Buch veranschaulicht die Ursache der Verelendung der Drogenabhängigen, die häufig in die psychische und physische Selbstzerstörung führt, das Alleingelassensein der betroffenen Eltern, das teilweise fahrlässige Verhalten von Behörden, Ärzten, Krankenhäusern, die mangelhafte Unterstützung der Politiker, die Folgen einer unmenschlichen Stadtplanung am Beispiel der Gropius-Stadt in West-Berlin, die fehlenden Zukunftsaussichten, eine von kapitalistischen Interessen gesteuerte Berufs- und Schulausbildung, die den persönlichen Bedürfnissen nicht mehr gerecht wird. Das Buch ist deshalb wichtiger als zahlreiche theoretische Analysen mancher sozialwissenschaftlicher Experten. Es schafft durch seine Strukturierung – die Aussagen und analytischen Feststellungen von Christiane F. werden ergänzt u. a. mit den Aussagen der Mutter, der zuständigen Sachbearbeiterin im Rauschgiftdezernat und des Kreisjugendpfarrers – eine Vorstellung von den Problemen, ihren Ursachen und Lösungsmöglichkeiten. Eine Lösung des Problems muss im Interesse aller Betroffenen (Kinder, Jugendliche, Eltern) gesucht werden, obgleich sie in einem kapitalistischen Staat schwierig vorstellbar ist.

Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, Grüner + Jahr Verlag, Hamburg, 4. Auflage 1979


Geschäfte rund um 'Christiane F.'

Ein paar fixe Geldverdiener haben bislang schon von Christiane F. profitiert. Nach Reiseunternehmen, die in Berlin "Christiane-Touren" anbieten, und Schallplattenproduzenten – gegen den frisch gepressten "Soundtrack zum Film" prozessiert die echte Christiane – tritt nun auch die Süßwarenbranche auf den Plan. Von der Firma Th. Rensenbrink aus dem niederländischen Muiden hergestellt und in Berliner Zeitungsläden verdealt, sind Injektionsspritzen samt Inhalt zum volkstümlichen Preis von 25 Pfennig erhältlich. Der Inhalt ist zwar nur Traubenzucker, doch können damit die lieben Kleinen bereits üben und eventuelle Hemmschwellen vor anderem Stoff frühzeitig abbauen. Potenzielle Großdealer bekommen das niedliche Spielzeug bei der Handelskette Metro. Aus: 'Der Spiegel', Nr. 21/1981 vom 18. Mai 1981

 

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