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Ausgabe 54-2/1993

"Ich möchte die Kinder sensibilisieren dafür, dass es menschliche Güte gibt und dass daneben aber auch eine teuflische Politik existiert"

Gespräch mit Usman Saparov, Regisseur des Films "Engelchen, mach Freude"

(Interview zum Film ENGELCHEN, MACH FREUDE)

Bei dem Gespräch, das wir anlässlich der Vorstellung des Films beim Kinderfilmfest in Berlin führten, war auch die Drehbuchautorin Ludmila Papilova anwesend. Filmregisseur Helmut Dziuba, der selbst acht Jahre an der renommierten Moskauer Filmhochschule WGIK studiert hat, fungierte bei diesem Gespräch als Übersetzer.

KJK: Welche Gründe gab es für Sie, dieses Thema aufzugreifen, kennen Sie selbst Deutschstämmige in Turkmenistan?
Usman Saparov: "Wir sind genauso wie der Georg im Film in Turkmenistan aufgewachsen und haben uns immer selbst ein bisschen wie fremde Menschen gefühlt. Das ist nicht so, dass es öffentlich aggressiv war, sondern das spürt man mit der Haut manchmal, dieses Fremdsein. Ludmila Papilova ist Russin inmitten der Turkmenen, ich bin Tatare inmitten der Turkmenen, und das ist irgendwie doch immer ein bisschen dieses Fremdheitsgefühl. Genau dasselbe ist es übrigens bei den Turkmenen, wenn die nicht am Ort ihrer Geburt oder in der Umgebung leben – Turkmenistan ist ja ein großes Land –, fühlen sie sich auch immer erst mal fremd. Es war die allgemeine Politik in der Sowjetunion, dass verschiedene Nationen zusammenleben und freundschaftlich zusammenleben."
Ludmila Papilova: "Aber sie haben damals in Republiken aufgeteilt, was sie gar nicht in Republiken hätten aufteilen brauchen. Es wäre doch besser gewesen, man hätte alle in einem wohnen lassen können, nicht solche Unterschiede – Turkmenen, Russen, Deutsche. Da gibt es einen Roman, der darüber erzählt, wie man ein Ministerium für Liebe gründet, um die Liebe zu zerstören. So ist es ungefähr auch gewesen, dass man aus den verschiedenen Teilen ein Ganzes gebildet hat, um das Einzelne kaputtzumachen. Dieses nationale Zugehörigkeitsgefühl – gleich ob nun Turkmene oder Russe – ist immer da."

Und speziell die Situation der Deutschen in Turkmenistan?
Usman Saparov: "In mein Dorf brachten sie damals zwei von solchen Jungen, 12 bis14 Jahre alt waren sie, nach der Deportierung der Deutschen. Das ist ein persönliches Erlebnis, diese beiden Jungs, die nicht in so ein Waisenhaus gekommen sind, sondern in unserem Dorf gelandet sind. Und es war natürlich so, dass meine Mutter die Jungen unterstützt hat, und ich selbst habe die Eier und ein Stück Brot für die beiden in die Hosentasche versteckt, denn es war ja Krieg."

Die Idee zu diesem Film, war es Ihre Idee oder die gemeinsame Idee von Regisseur und Drehbuchautorin?
Usman Saparov: "Wir haben schon zusammen Dokumentarfilme gemacht, und wir arbeiteten auch bei Spielfilmen zusammen. Als wir den letzten Dokumentarfilm drehten, waren wir inmitten dieser Deutschen und wir waren verblüfft über sie, die heute an sich turkmenisch reden und die Kinder, die auch ganz gut turkmenisch sprechen. Wir sind zu denen nach Hause gegangen und haben ihr Umfeld beobachtet."

Im Film wurde ja deutsch gesprochen, wie wurde das organisiert? Konnten Sie verstehen, was die Kinder mit ihren Eltern sprechen?
Usman Saparov: "Die Kinder, die beim Drehen waren, sprechen kein sauberes Deutsch mehr, aber die Erwachsenen schon. Die waren unsere Dolmetscher. Sie haben uns aufgeschrieben und den Kindern das gelehrt, damit sie die Dialoge sprechen, auch die Deutschlehrerin hatte mit uns ständig Kontakt. Als wir dann synchronisierten, habe ich versucht, die deutsche Sprache emotional so wie ich sie empfinde, auch als emotionalen Dialog, zu korrigieren. Bei uns ist es im Prinzip so, dass die Kinderrollen von erwachsenen Frauenstimmen synchronisiert werden, das ist im Übrigen nicht nur bei uns im turkmenischen Filmstudio, sondern auch in Russland üblich. Ich mache das aber nie, bei mir sind es nur Kinder. Es ist schwer, aber künstlerisch-emotional ist es besser."

Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Kinder für diesen Film ausgewählt?
Usman Saparov: "Das Schwerste war, den Georg zu finden. Er musste klein sein, ein bisschen zurückgeblieben wirken, und er musste fähig sein, nicht zu begreifen, was man von ihm will. Also ich meine von der Geschichte her. Ich fand zwei, die emotional so ansprechbar waren, einer eben dieser Wladimir 'Vova' Frank, der 6 Jahre alt war, und einen älteren, der schon in die Schule ging. Derjenige aber begriff schon alles, das konnte man in den Augen feststellen. Der wusste auch schon, was schlecht und was gut ist. Der hätte bestimmt besser gespielt und das wäre für mich wesentlich leichter gewesen. Aber die Augen bei Wladimir waren völlig unschuldig, er schaute mit solchen Augen in die Welt, begriff nicht alles von vornherein, und so führt er sich auch auf. Der begreift einfach nicht, was in der Erwachsenenwelt vor sicht geht. Es war sehr schwer, mit ihm zu arbeiten. Proben konnte ich keine machen, und trotzdem musste ich ihm, um ihn in einen gewissen Rahmen zu bringen, technisch die Anweisung geben: Du gehst erst dahin, dann gehst du dorthin, hast du verstanden. Aber dann, als es losging und er schon dieses Spiel spielte, da hat er sich noch mehr verwickelt in das, was ich schon gesagt habe, also ein furchtbares Durcheinander, und das zweite oder dritte Mal hat er es schon wieder ganz anders gemacht, weil der Junge kategorisch ablehnte, die Szenen ein zweites Mal zu drehen!
Das Mädchen Tanya Schreiber, das die Amalie spielt, war schon acht, ging in die 1. Klasse. Sie führte sich wie ein sowjetischer Gewerkschaftsfunktionär auf. Das war ein Mädchen mit Charakter, auch im Leben, so war sie. Der Vater, der die Dekoration für den Film gemacht hat, guckte auf sie wie auf seine Mutter! Der Saska, der Junge, der stirbt, war wirklich krank, ein ganz schwaches Kind. Wir sind sehr vorsichtig mit ihm umgegangen. Er hat einige Krankheiten hinter sich, wohl so eine Ernährungsstörung. Er ist der Cousin des Mädchens."

Wie wählen Sie im Allgemeinen die Kinderdarsteller für Ihre Filme aus?
Usman Saparov: "Ich gehe durch alle Schulen und Kindergärten, die erreichbar sind. Betrachte erst mal die Äußerlichkeiten. Mit denjenigen, die bei dieser ersten Durchsicht sofort ins Auge fallen, beginne ich einzeln kleine Gespräche, ich unterhalte mich mit ihnen. Von diesen Gesprächen ausgehend und den Reaktionen, die die einzelnen Kinder in diesen Gesprächen zeigen, wähle ich mir schon die ersten aus. Dann mache ich Fotos, und nach den Fotos gibt es wieder eine rein ensemblemäßige Auswahl. Dann mache ich mit denen, die ich ausgewählt habe, kleine Proben, lasse 'Etüden' spielen, so wie es im Leben ist, nicht nach dem Material des Drehbuches. In der Zeit der Proben merkt man schon, wo der eine oder andere abfällt und mit den restlichen zwei, drei, die dann noch übrig geblieben sind, mache ich Probeaufnahmen. Bei diesem Film hier habe ich keine Probeaufnahmen gemacht, da die beiden Kinder so klein waren und man sie nicht doppelt und dreifach belasten soll."

Arbeiten Sie als Regisseur und Ludmila Papilova als Drehbuchautorin beim Film noch zusammen oder haben Sie nur das Buch zusammen gemacht?
Ludmila Papilova (lacht): "Damit er als Regisseur sich nicht zu weit vom Buch entfernt, bin ich gleich noch Produktionsleiter."
Usman Saparov: "Es war mit den Finanzen sehr schwierig, man musste bei jeder Sache wirklich einsparen, und jeder Produktionsleiter in dem Geschäft ist ein kleiner Räuber. Aber sie hat auch, ohne ein Bandit zu sein, an jeder Ecke eingespart."

KJK: Ist Ihr Film in Aschchabad schon gelaufen?
Usman Saparov: "Einmal in einem städtischen Filmtheater, das war die Premiere. Sie haben noch keine Kopien gezogen, wir haben nur die eine. Die Kopie hier in Berlin ist eine der ersten Kopien überhaupt."

Gibt es ein eigenes Kinderfilmstudio in Aschchabad?
Usman Saparov: "Ja, es gibt 'Turkmenfilm', das ist der Sammelbegriff des Studios und so, wie es früher existiert hat, existiert es noch. Dort gibt es Erwachsenen- und Kinderfilm in einem. Neu ist, dass sich innerhalb dieses Vereins eine Organisation entwickelt, die sich mit Kinderfilm, Kindervideo, mit Kinderkultur überhaupt beschäftigt. Die Produktionsmittel kommen aus einem Staatsfonds plus Sponsoring. Der Präsident des Studios hat selbst Geld für Kinderfilm ausgegeben, das ist eine rein staatliche Angelegenheit, und er ist der Meinung, das wird auch bleiben, weil sonst keiner Geld gibt."

Ihr Film ist ja ein Film für und über Kinder, sagen Sie uns noch etwas über Ihre Absichten, die Sie mit dem Film haben?
Usman Saparov: "Ich glaube, dass dieser Film doch mehr für Kinder ist und vor allem notwendig für die Kinder. Ich möchte sie sensibilisieren dafür, dass es menschliche Güte gibt und dass daneben aber auch eine teuflische Politik existiert. Den Kindern möchte ich ein Gefühl vermitteln für diese Güte, die sich widersetzen muss dem von draußen, was an 'Nicht-Güte' auf sie zukommt, weil wir als Erwachsene diese Güte nicht mehr besitzen, bei uns sind die Schubfächer leer. Die Kinder aber verstehen das nicht und sie sollen begreifen, dass diese Güte da ist und dass sie sie kundgeben müssen. Ich bin der Meinung, dass das ein Mitgefühl und eine Hoffnung zugleich sein muss. Wir Erwachsenen haben bestimmte politische Standpunkte. Politische Ansichten mit nationalistischen Färbungen, dazu gehört auch die Religion, kann auch Druck ausüben, da entstehen Streit, Zwietracht, die Politik wird destruktiv, und weil Erwachsene so leben, sind Kinder die Leidtragenden. Die Kinder möchten aber nicht nach der Welt der Erwachsenen leben. Das Mitgefühl, Mitleid für diese Kinder, das wollten wir begreiflich machen mit unserem Film.
Zum Glück wurden wir bei den Filmaufnahmen nicht gestört, alle waren sehr verständnisvoll. Unsere Republik, Turkmenistan, ist jetzt selbständiger Staat geworden und lebt in Ruhe, Gott sei dank, noch. Wir haben keine nationalistischen Zwistigkeiten, die Regierung ist bemüht, dass wir in Ruhe und Frieden leben. Wir sind im Epizentrum, um uns herum gibt es Unruhen. Wir möchten, dass alle in Ruhe leben."

Was sind Ihre nächsten Pläne?
Usman Saparov: "Wir haben ein historisches Material. Das ist ein Stoff über die Liebe, die schwer zu erhalten oder umzusetzen ist. Die Menschen wollen die Liebe, aber sie leben so, dass sie sie nie pflegen können. Das ist ein bisschen komödiantisch aufgebaut. ich möchte gerne über mich selber lachen in diesem Film."

Interview: Christel und Hans Strobel


Bio-Filmografie

Usman Saparov, Jahrgang 1938, studierte 1958-62 an der Kamerafakultät der All-Unions-Filmschule, arbeitete als Kameramann an zehn Spiel- und mehr als zwanzig Dokumentarfilmen, 1977-78 studierte er an der Filmhochschule WGIK Moskau in den Fächern Regie und Drehbuch und ist seit 1979 als Spielfilmregisseur tätig.
Spielfilme: "Das kleine Kamel", 1979 (Kurzfilm); "Ein Mann von ach Jahren", 1982 (dt. Verleihtitel, Originaltitel: "Männliche Erziehung"), "Abenteuer auf der grünen Insel", 1985; "Engelchen, mach Freude", 1992
Ludmila Papilova, Drehbuchautorin und Journalistin bei der Zeitung "Turkmensta Iskra" (Turkmenischer Funke)

 

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