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Ausgabe 17-1/1984

echt tu matsch

Gespräch mit Claus Strigel und Bertram Verhaag von 'Denkmal-Film'

(Interview zum Film ECHT TU MATSCH)

Claus Strigel und Bertram Verhaag arbeiten inzwischen seit sieben Jahren zusammen. In dieser Zeit sind neben dem Kinofilm "Was heißt'n hie Liebe?" und vielen Dokumentarfilmen auch drei Kinderkurzspielfilme entstanden ("Klaufieber", "Typisch Weiber" und "Wer wohnt im Wohnzimmer?"). Mit "Echt tu matsch" stellen die Denkmal-Filmer nun ihre bisher größte Spielfilmproduktion vor.

Kurzinhalt: In der Dante-Realschule tobt das Leben, denn die Kinder und Jugendlichen haben die Macht über den Schulbetrieb übernommen. Direktor Zander hat sich eigentlich auf dieses Experiment eingelassen, weil er seinen Schülern beweisen möchte, dass Schule so nicht funktionieren kann. Doch die Schülerinnen und Schüler der Klasse 7a nehmen die Sache so energisch in die Hand, dass darüber nicht nur Herr Zander ins Schwitzen gerät.

KJK: Wie ist die Idee zu "Echt tu matsch" entstanden?
Claus Strigel: "Wir haben uns schon in zwei Kinderfilmen mit – abstrakt gesagt – struktureller Gewalt gegen Kinder beschäftigt. Dabei ging es um Mädchen- und Jungenrollen und um das Zusammenwohnen von Eltern und Kindern. Wir haben dabei jedes Mal die Verhältnisse auf den Kopf gestellt, um eingefahrene Verhaltensweisen und Ungerechtigkeiten deutlich zu machen. Mit dieser Vorgeschichte sind wir auf das Thema 'Schule' gekommen und haben plötzlich mit Erstaunen festgestellt, dass etwas erstaunlich Sinnvolles dabei herauskommt, wenn man die übliche Machtstruktur einer Schule einmal radikal auf den Kopf stellt: Kinder müssen nicht mehr lernen, was im Lehrplan steht, egal, ob es sie interessiert oder nicht, sondern sie lernen aus eigener Neugierde, aus eigenem Impetus. Aus dieser Grundidee ist in 1 1/2 Jahren Arbeit eine lange Geschichte entstanden, in der sehr viel passiert. Dabei sind die Themen 'strukturelle Gewalt', 'Lernen', 'Schule' ziemlich in den Hintergrund getreten. Im Vordergrund steht die Geschichte, die erzählt wird und die aus vielen Fäden besteht: die Beziehung zwischen Uli und Bastian, die Entwicklung der Klasse 7a, die Versuche des Direktors, mit der neuen Situation zurecht zu kommen, die Playback-Band, um nur einige zu nennen. Dabei ist der Film auch von einer 15-Minuten-Idee auf eine 90 Minuten lange Spielhandlung angewachsen."

Wen konntet Ihr für diese Idee begeistern?
Bertram Verhaag "Wir haben dieses Exposé an viele Fernsehanstalten geschickt und dabei von Redakteur Pierre Le Page von der Kinderfilmredaktion des SFB eine positive Antwort bekommen. In Koproduktion mit dem SFB ist der Film dann auch entstanden."
Claus Strigel: "Die Zusammenarbeit mit Pierre Le Page hat dem Film erst das Gesicht gegeben, das er jetzt hat."

Wie ist der Film "echt tu matsch" finanziert worden?
Claus Strigel: "Der SFB hat sich mit 320.000 DM an der Produktion beteiligt. Den Rest mussten wir selbst aufbringen, teils indem wir Schulden gemacht haben, teils in Form von Rückstellungen eigener Gagen, Gerätemieten usw. Gleichzeitig waren viele Mitarbeiter und Darsteller bereit, für eine Minimalgage für diesen Film zu arbeiten, einfach weil sie die Filmidee begeistert hat und weil sie das Projekt unterstützen wollten."
Bertram Verhaag: "So haben wir auch nicht 35mm gedreht, sondern auf Super 16-Format, das für die Kinofassung jetzt auf 35mm aufgeblasen wird."

In eurem Film spielen 25 Jugendliche im Alter von 13, 14 Jahren mit, eine ganze Schulklasse. Wie habt ihr diese Kinder gefunden? Wie habt ihr euch mit den Kindern auf die Dreharbeiten vorbereitet?
Bertram Verhaag: "Wir mussten zunächst einmal eine Schule finden, in der wir drehen konnten. Das stellte sich als sehr schwierig und langwierig heraus. Es ist uns schließlich gelungen, für eine Schule in München-Neuperlach, die vom Architektonischen her unseren Vorstellungen entsprach, eine Drehgenehmigung für die Sommerferien zu bekommen. Wir kannten schon einige Kinder in Neuperlach von früheren Dreharbeiten. Über diese Kinder haben wir viele andere kennen gelernt. Außerdem sind wir in alle Jugendeinrichtungen des Viertels und auf Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche gegangen, haben unsere Idee vorgetragen und Jugendliche gefragt, ob sie Lust und Zeit hätten. Bei dieser Suche hat sich die Filmgeschichte auch noch teilweise verändert. So haben wir zum Beispiel in einem Freizeitheim eine Playback-Gruppe kennen gelernt, eine Gruppe von sechs Jugendlichen, die mit selbst gebastelten Holz- und Metallinstrumenten zu Rockmusik selber Show mimen. Diese Band hat uns so gut gefallen, dass wir sie gleich in unsere Geschichte eingebaut haben.
Wir hätten auch gerne einige ausländische Kinder mit in der Klasse gehabt. Das ist leider daran gescheitert, weil diese meist während der ganzen Sommerferien in ihre Heimatländer fahren. Das fanden wir schade, weil in diesem Viertel ein recht großer Anteil ausländischer Kinder in den Klassen ist.
Mit einer Auswahl von Kindern, die Lust und Zeit hatten, und auch bereit waren, auf ihre Ferien teilweise zu verzichten, um bei dem Film mitmachen zu können, spielten wir mit Video einzelne Szenen des Films durch und stellten so langsam eine Klasse von 25 Kindern zusammen."

Dreharbeiten mit so vielen Kindern und Jugendlichen stellen andere Ansprüche an Regie und Organisation als eine Filmproduktion, die nur mit professionellen Schauspielern arbeitet. Die Mentalität von Kindern steht ja eigentlich auch im krassen Gegensatz zu den Sachzwängen, die während solcher Dreharbeiten oft gegeben sind. Wie seid ihr mit diesen Widersprüchen umgegangen?
Claus Strigel: "Die Produktion von einem Kinderfilm, wie wir ihn machen, ist sicher völlig anders als ein Film mit lauter Profis, also erwachsenen Schauspielern. Einige Mitarbeiter von uns haben teilweise auch ziemlich gestaunt und sich erst einmal an die Produktionsbedingungen, die doch sehr durch die Kinder bestimmt wurden, gewöhnen müssen. Aber trotzdem ist es so, dass die Kinder sich auch in die organisatorischen Notwendigkeiten – wie zum Beispiel dass das Schulgebäude nur begrenzt zugänglich war – ganz bewundernswert eingefügt haben. Es gab ein Entgegenkommen von beiden Seiten. Was mich wirklich beeindruckt hat, ist, dass sowohl von den 25 Jugendlichen aus der Klasse als auch von den bis zu 70 Jugendlichen, die ansonsten in der Schule mitgespielt haben, nie einer zu spät gekommen ist oder gefehlt hat in den 30 Drehtagen. Obwohl wir uns durch Verschiebungen oft um Stunden oder sogar halbe Tage verspätet haben. Die Jugendlichen waren immer da."
Bertram Verhaag: "Ja, wir haben versucht, uns nach den Notwendigkeiten und dem Rhythmus der Kinder zu richten. Ich würde sagen, das ist uns auch gelungen und zwischen uns ist ein sehr gutes Verhältnis entstanden. Das hat dazu geführt, dass sie mit sehr großer Bereitwilligkeit mitgemacht haben, obwohl sie wirklich extrem beansprucht worden sind, einfach durch die Hitze, dass sie nicht zum Baden gehen konnten usw. Eine Szene zehnmal zu wiederholen, ist schon eine immense Anstrengung für ein Kind, ganz anders als für einen Schauspieler, der darauf eingestellt ist und es als seine Arbeit begreift."

Nun mehr zum Inhalt von "Echt tu matsch". Euer Film arbeitet mit einer Rollenverkehrung zwischen Schülern und Lehrern, wobei die Schüler zum Teil ganz knallhart die klassischen Repressionen der Schule übernehmen und sie gegen ihre Lehrer verwenden. Warum habt ihr diese Form gewählt?
Claus Strigel: "Ein ganz äußerlicher Grund ist der, dass es ein stinklangweiliger Film wäre, wenn wir nur eine positive Utopie einer alternativen Schule, von freiem Lernen etc. gemacht hätten. Wir wollten eine Geschichte erzählen, eine spannende Geschichte. Da ist eben der Machtkampf und auch die Ausweglosigkeit, in die der arme Direktor gerät, wesentliches und emotionales Element der Geschichte.
Ein tiefer liegender, eher theoretischer Grund dafür, dass wir auch die Repressionen von den Kindern nachahmen ließen, ist der, dass plötzlich ausbrechende Freiheit mit Sicherheit nicht zu gewaltlos utopischen Verhältnissen führt. Vielmehr bildet sich zunächst mal eine Anti-These zu dem Gewesenen, das Pendel schlägt in die entgegengesetzte Richtung aus. Unser Film hört eigentlich auch in diesem Gegenentwurf, der teilweise auch aggressiv und dem Direktor gegenüber gemein und brutal ist, auf. Es wird nicht erzählt, wie es weitergeht."
Bertram Verhaag: "Das ist auch ein wichtiger Auseinandersetzungspunkt: Was passiert eigentlich, wenn Menschen, wie in unserem Film die Kinder, die vorher unter einem bestimmten Druck gestanden sind, plötzlich der Freiheit ausgesetzt sind? Ist man überhaupt dazu in der Lage, etwas anders zu machen? Ich finde es sehr wichtig, sich mit diesem Phänomen auseinander zu setzen und nicht so zu tun, als ob Kinder, wenn sie plötzlich das Sagen hätten, schlagartig in der Lage wären, eine menschliche Gesellschaft herzustellen. Das ist leider nicht so."

"Echt tu matsch" ist der Versuch, einen unterhaltsamen Film zu machen und gleichzeitig Denkanstöße zu geben, wie ihr sie gerade auch erläutert habt. Wen wollt ihr mit dem Film erreichen?
Claus Strigel: "Im Wesentlichen denken wir an Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 9, 10 bis vielleicht 16 Jahren. Von dem her, wie uns selbst die Geschichte des Films betroffen hat, durch die Erinnerung an die eigene Schulvergangenheit, glaube ich, dass der Film für Erwachsene genauso wichtig und interessant ist. Schule ist eine Erfahrung, die wir alle durchmachen mussten und die in uns allen ziemlich tief sitzt, vieles ist davon auch unverarbeitet. Ich bin ziemlich sicher, dass der Film da einiges lockern und noch mal zur Verarbeitung hochbringen wird."

Man könnte sagen, der Grundgedanke von "Echt tu matsch" ist der, dass eine Schule ohne Druck möglich wäre. Das erinnert ein bisschen an die Ideen der antiautoritären Erziehung, wie sie im Zuge der Studentenbewegung entstanden sind. Heute sind ja leider entsprechende Reformen im Bildungswesen wieder weitgehend zurückgenommen worden. Geht der Film da nicht an unserer Zeit vorbei?
Clans Strigel: "Ob Reformen zurückgenommen werden oder nicht, die ursprünglichen Bedingungen von den Kindern aus gesehen – ob sie unter autoritärem Druck besser lernen können oder wenn an ihre Interessen angeknüpft wird – das ändert sich nicht. Inwieweit hier in der BRD das Experiment, das Direktor Zander an seiner Schule durchführt, real an einer Schule möglich wäre, das bezweifle ich sehr. Wir hoffen, dass der Film nicht nur im Kino oder Fernsehen läuft, sondern auch in Schulen und auf Schulveranstaltungen gezeigt wird, denn dort wird er sicher kontroverse Diskussionen provozieren."
Bertram Verhaag: "Für uns persönlich war auch ein wichtiger Anstoß für die Idee zu diesem Film, dass wir vor einigen Jahren einen hervorragenden Dokumentarfilm gesehen haben, wo jemand Schüler beobachtet hat vom ersten bis zum letzten Schuljahr. Nur beobachtet, die Kamera in die Klasse gestellt. Man hat gemerkt, wie im ersten Schuljahr die Kinder lebendig waren, aufzeigen, fragen, etwas wissen wollen, und wie das von Jahr zu Jahr weniger wird. Im letzten Schuljahr sitzen die Kinder nur noch gelangweilt rum, suchen sich möglichst davor zu drücken, auf Fragen antworten zu müssen; sie selbst haben überhaupt keine Fragen mehr. In diesem Dokumentarfilm wurde so deutlich, wie Neugier und Wissensdrang der Kinder vollkommen kaputt gemacht wurden durch den Unterricht, den sie in den acht Jahren erfahren haben.
In gewisser Weise waren ja auch die Dreharbeiten mit den Kindern, wo sie jeden Tag sehr diszipliniert gearbeitet haben, so etwas wie Schule. Nur haben sie das anders erlebt, und zwar meines Erachtens nicht deshalb, weil sie sich bereits als Filmstars gefühlt haben, denn eine solche Stimmung haben wir überhaupt nicht bei den Kindern geweckt. Es war vielmehr die kreative Zusammenarbeit, in der jeder ernst genommen wurde und wichtig war und die uns allen Spaß gemacht hat."

Das Gespräch führte Ursula Winklhofer

 

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