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Ausgabe 18-2/1984

"Kinderfilm richtet sich auch an die kindlichen Fähigkeiten der Erwachsenen"

Gespräch mit Regisseur Arend Agthe und Produzent Michael Smeaton zum Film "Flussfahrt mit Huhn"

(Interview zum Film FLUSSFAHRT MIT HUHN)

Die Frankfurter Filmwerkstatt GmbH wurde im März 1980 von Filmschaffenden aus dem Rhein-Main-Gebiet gegründet. Die vier Gesellschafter, zwei Tonmeister, ein Kameramann und ein DFFB-Absolvent, begannen ihre Produktionstätigkeit unter anderem mit der Absicht, Filmarbeit über die Fernsehauftragsproduktion (von ZDF und HR) hinaus, in der Region zu ermöglichen. In Zusammenarbeit mit HE-Film und den örtlichen Bürgerinitiativen entstand 1981/82 der zweistündige Dokumentarfilm "Startbahn West". 1983 entstanden die Kinokomödie "Kassensturz" von Rolf Silber und "Flussfahrt mit Huhn" von Arend Agthe. In Vorbereitung befinden sich, neben neuen Puppentrickfilmen, zwei Spielfilmprojekte von Beate Klöckner (Buch und Regie: "Kopfschuss") mit den Titeln "Karriere" und "Mein lieber Schatz", sowie der neue Film von Rolf Silber "Sternenkrieger". "Flussfahrt mit Huhn" wurde erstmals beim KinderFilmFest der Berlinale vorgestellt und soll im Laufe dieses Jahres in die Kinos kommen.

KJK: Wie entstand die Idee zu dem Kinderfilm "Flussfahrt mit Huhn"?
Arend Agthe: "Ich habe ja für 'Sesamstraße' und andere Vorschulprogramme gearbeitet, diese Sachen waren alle sehr didaktisch und aus einem pädagogischen Konzept heraus entwickelt. Mein Interesse, ein Kinderabenteuerthema anzugehen, kam mehr von der Kinderliteratur her, bezogen auf die Klassiker 'Moby Dick' oder 'Die Schatzinsel', aber immer mit dem Anspruch auf die heutige Realität der Kinder. Ich habe ein Ambiente gesucht, wo landschaftlich sehr stark was Deutsches drin ist, da kommt eigentlich nur der Berg, die See oder der Fluss in Frage. Ursprünglich hatte ich mal eine Idee für einen Erwachsenenfilm, die Fiktion einer Expedition, bei der jemand eine Flusslandschaft zum unentdeckten Gebiet erklärt und quasi eine Reise durch die Bundesrepublik macht ..."

Das ist ja jetzt auch noch partiell enthalten ...
Arend Agthe: "Ja, das sollte ursprünglich viel stärker sein. Ich habe diese Idee immer periodisch im Kopf bewegt, aber nie Notizen gemacht. Eines Tages dachte ich, der Film ist fertig, dann hab' ich mich hingesetzt und alles in 14 Tagen aufgeschrieben. Das mache ich häufig so, dass ich mir die Filme ziemlich genau im Kopf ausdenke, oft bis in die Dialoge hinein, und das dann erst niederschreibe."

Das ist ungewöhnlich, sonst werden in der Regel ja recht viele veränderte Drehbuchfassungen erstellt.
Arend Agthe: "Es hat eine einzige Drehbuchüberarbeitung gegeben und dann während der Dreharbeiten noch eine Dialogüberarbeitung."

Haben die Kinder an den Dialogen noch etwas verändert?
Arend Agthe: "Unter den vier Kindern waren drei, die noch nie Film gemacht hatten. Die Ausnahme war die Julia Martinek, die schon in mindestens zehn Filmen mitgearbeitet hat – bei Fernsehproduktionen und Vorschulprogrammen. Und die Julia arbeitet erstaunlich professionell und von ihr kam sehr oft: Sowas sag' ich nicht, das würde ich lieber so formulieren."

Wie hast du denn die anderen Kinder gefunden, die noch nichts mit Film zu tun hatten?
Arend Agthe: "Der erste Schritt war, in die Schulen zu gehen und Gesichter anzugucken, eine Vorauswahl zu machen und interessante Kinder zu fragen, ob sie generell Lust hätten, dann die Genehmigung der Eltern einzuholen und ein Polaroidbild von ihnen zu machen. Der nächste Schritt war dann eine Probeaufnahme mit Video."

Bei den Videoaufnahmen hast du dann eine kleine Szene spielen lassen?
Arend Agthe: "Da habe ich ganz unterschiedliche Sachen machen lassen: Für mich ist interessant, wie sprechen Kinder, wie artikulieren sie und sind sie gelöst. Als Opening habe ich immer ein Interview gemacht. Ich war der Interviewer einer Fernsehanstalt, und sie müssen antworten. Danach kamen so ein paar Lockerungsübungen, Balancieren auf einer imaginierten Linie oder auch Pantomimisches, was sie sich selbst ausgedacht haben, und zum Schluss immer eine Szene aus dem Drehbuch, die wir mit einfachen Requisiten gestellt haben. Nachdem wir unsere vier Kinder hatten, haben wir die komplette Geschichte in einem Tagungsort durchgespielt. Das war für mich sehr wichtig, da man ja nie chronologisch drehen kann, sondern in der Filmarbeit den Film zerstückelt, nach dem Kriterium der Rationalität, und dadurch bekommen viele Kinder sehr oft einen starken Frust."
Michael Smeaton: "Dieses Tagungsheim war im Taunus, die Eltern waren nicht dabei, und wir waren auch den ganzen Tag allein mit den Kindern."
Arend Agthe: "Das war unheimlich gut, und das würde ich auch immer wieder so machen."
Michael Smeaton: "Wir haben von Anfang an darauf geachtet, dass die Eltern nicht dabei sind, damit sie die Kinder nicht durch ihre Anwesenheit irgendwie beeinflussen."
Arend Agthe: "Gruppendynamisch war das eine gute Vorbereitung. Dann haben wir eine Probe mit, der Bootstechnik gemacht, in der die Kinder miteinbezogen waren."

Hatten die Kinder denn vorher schon mal in einem Boot gesessen?
Arend Agthe: "Nein, alle nicht, aber zur Bedingung hatten wir gemacht, dass sie schwimmen können."

Das ist ja umso beachtlicher...
Arend Agthe: "Jetzt sind sie perfekt."

Für mich ist der Film eine witzige Verfolgungsjagd. Der Ausgangspunkt ist ein realistischer – vermindern die komischen Momente nicht diesen Ansatz?
Arend Agthe: "Ja, vielleicht vermindern sie das Realistische, aber trotzdem sind sie dramaturgisch notwendig. Für mich ist da der amerikanische Film ein Vorbild, der von Haus aus ja sehr realistisch und auch naturalistisch ist, aber immer auch eine Brechung und eine Humorebene hat, ob man den amerikanischen Krimi nimmt oder den Western. Wenn er gut gemacht ist, hat er immer diese Brüche. Das ist richtig, das führt weg von der realen Ebene und wird zum Teil ein bisschen irreal, aber das ist eine Gratwanderung, die man machen muss und man bekommt gerade dadurch eine zusätzliche Spannungsebene."

In deinem Film gibt es eine Situation, wo die Kinder in einem Fabrikgebäude festsitzen, eine absolute Notsituation. Vom konventionellen Kinderfilm hätte ich erwartet, jetzt kommt der Erwachsene und holt sie da raus – so nach dem Motto: Ohne die Erwachsenen kommen Kinder nicht zurecht. Dass das in diesem Film nicht passiert, hat mich unheimlich gefreut. Die Kinder befreien sich selbst.
Arend Agthe: "Das hatte ich von vornherein so geplant. Als die Kinder gefangen sind, kehrt sich die Situation total um: Bis dahin haben sie ihre ganze Phantasie und ihre ganze Energie aufgewendet, um dem Opa zu entkommen und plötzlich kippt es um und sie sehnen sich sogar nach ihm, sie projizieren ihn mit Befreier. Deshalb habe ich mich entschlossen, das gerade nicht zu tun, denn sonst hätte ich den Kindern auch die Rolle der Selbstständigkeit genommen, die ja sehr stark angelegt ist: Kinder arbeiten sich selbst durch die Realität und da sie es ohne die Erwachsenen tun, müssen sie dabei auch ganz schön Federn lassen."

Der Film wird auch von euch als Kinderfilm tituliert, so toll ich das finde, ist es ja auch eine Eingrenzung und es reduziert die Breitenwirkung, denn für mich stecken in "Flussfahrt mit Huhn" auch ein Reisefilm oder eine Komödie.
Michael Smeaton: "Bisher haben wir immer vom Abenteuerfilm gesprochen, ein Abenteuerfilm für Kinder und Erwachsene. Ich glaube, dass der Film auch für Erwachsene interessant sein kann."
Arend Agthe: "Es wäre schön, wenn der Film am Nachmittag in einer Familienschiene in die Kinos kommen könnte."

Eventuell auch in den Abendvorstellungen, ich würde es dem Film schon zutrauen.
Arend Agthe: "Aber den Kinotheaterbetreibern nicht. Von der Hauptidentifikation ist das ein Film für Kinder, denn es geht um vier Kinder von acht bis dreizehn Jahren."

Ich kann mir aber vorstellen, dass manch ein Onkel oder Lehrer gern so sein möchte wie der Opa im Film, auch der bietet Identifikation ...
Michael Smeaton: "Das dachte ich beim Lesen des Drehbuchs auch, dass Erwachsene die Möglichkeit haben, sich mit ihren Träumen von früher – jeder hätte gern mal so eine Abenteuerfahrt unternommen – identifizieren können, aber auch mit dem Großvater, denn irgendwann werden wir auch in ein Alter kommen, wo es ein heimlicher Wunsch ist, wenn Kinder oder Enkel so was anstellen, dass wir uns dann so verhalten könnten."

Die Frankfurter Filmwerkstatt hat den Film produziert. Wie schätzt ihr als Produzenten die Situation des Kinderfilms ein?
Michael Smeaton: "Ich bin ja eigentlich kein Kinderfilmmensch, und wir haben uns nie als Kinderfilmmacher definiert. Erst durch die Arbeit mit Arend haben wir angefangen, uns intensiver damit auseinander zu setzen und sind Mitglied im Förderverein Deutscher Kinderfilm geworden. Und ich hab das Gefühl, dass auch der Kinderfilm in einer Krise steckt."

Der steckt in einer permanenten ...
Michael Smeaton: "Ich meine auch, dass die Macher in einer Krise stecken. Wenn ich an Kinderfilm denke, assoziiere ich immer pädagogische, didaktische Filme, die irgendwo den Zeigefinger verstecken und die Kinder belehren: So müsst ihr sein!"
Arend Agthe: "Ich würde es in der bundesdeutschen Filmszene begrüßen, wenn auch mal irgendein etablierter Filmemacher wie Herzog oder Schlöndorff anfangen würde, einen Kinderfilm zu machen. Aber dabei nicht pädagogisch-kopflastig drangeht, sondern mit dem Gefühl von Kind, das er selbst in sich bewahrt hat. Ich sag das jetzt ein bisschen polemisch, doch da käme bestimmt kein schlechter Kinderfilm raus. Ich komme selbst aus der Pädagogik, bin Lehrer ..."

Aber deinem Film haftet nun überhaupt nichts Pädagogisches an.
Arend Agthe: "Auf ein ideologisch-didaktisches Konzept kommt es überhaupt nicht an, damit ein Kinderfilm gut ist. Ich sehe gesellschaftlich eine ungeheure Gefahr darin, dass Kinder in ein Ghetto gedrängt werden. Sie werden immer in irgendwelche Ecken gedrückt, tagsüber sind sie im Kindergarten, in der Vorschule, in der Schule, dann gibt es Kinderkino oder auch bestimmte Fernsehleisten für sie. Und dann sind da Pädagogen, die sagen, die Kinder muss man ganz besonders anfassen, das sind Wesen, die haben nichts mit uns Erwachsenen zu tun. Ich sehe im Kind immer schon ganz viel Erwachsenheit, wie ich auch im Erwachsenen was Kindliches erkenne, was vielleicht verschüttet ist, was ich aber durch den Kinderfilm auch gerne mobilisieren würde: Der Kinderfilm richtet sich auch an die kindlichen Fähigkeiten der Erwachsenen – das wäre mein Ansatz."

Mike, du hast von der Krise der Macher gesprochen, wo liegt die?
Michael Smeaton: "Filmemachen ist ein Handwerk – Regie führen ist ein Handwerk und Drehbuch schreiben ist ein Handwerk. Dann gibt es vielleicht Leute, die können beides oder auch Leute, die können nicht beides und machen es trotzdem. Wenn jemand sein Regiehandwerk versteht und sein Drehbuchhandwerk, dann kann man einen Kinderfilm drehen. Ich finde es fatal, wenn sich die Regisseure und Schreiber der Kinderfilme immer nur als Profi-Kinderfilmer sehen und sagen, jetzt weiter zum nächsten Kinderfilm. Vielleicht ist unser nächster Film mit Arend wieder ein Kinderfilm, vielleicht machen wir aber auch zwischendurch einen 'Tatort'. Durch diese Identität Nur-Kinderfilmer verflacht das auch ein bisschen. Manchmal kommt auch so etwas Wehleidiges dazu: Ich werde gar nicht beachtet, ich bekomme gar kein Geld. Es wäre viel schöner, wenn man das erweitern könnte: Wir sind Filmleute, Produzenten, Regisseure, Verleiher, und wir wollen nicht nur einen Film für Erwachsene, sondern auch einen für Kinder, und wir kümmern uns jetzt um beides."

Das Gespräch führte Manfred Hobsch

 

Biografie

Arend Agthe – Geboren 1949 in Rastede bei Oldenburg. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie. Zunächst Theaterarbeit, ab 1969 Kurzfilmarbeit mit F. K. Wächter und Robert Gernhardt. Mit diesen und Bernd Eilert 1972 Gründung eines Filmkollektivs (Arnold Hau Film). 1972-74 Mitarbeit bei 'Pardon'. 1975 Staatsexamen.

Michael Smeaton – Geboren 1952. Produzent und Produktionsleiter. Mitbegründer des Verbands Deutscher Nachwuchsfilm und der Frankfurter Filmwerkstatt. Ab 1976 Mitarbeit bei Fernsehauftragsproduktionen, 1978 freier Tonmeister und Aufnahmeleiter. Seit 1980 Filmwerkstatt Frankfurt.

 

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