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Ausgabe 25-1/1986

"Eines Tages haben wir keine Kinderfilme mehr"

Fragen an Werner Grassmann

Interview

Werner Grassmann ist einer der beiden Geschäftsführer des Abaton-Kinos in Hamburg. Das Abaton-Kino liegt im Hamburger Universitätsviertel und kann am ehesten als progressives Programm-Kino beschrieben werden. Es bietet in seinem kleinen Saal (ca. 100 Plätze) und in seinem großen Saal (ca. 300 Plätze) neben einem gepflegten Repertoire vor allem ein ausgewähltes Programm mit neuesten internationalen Filmen an, über die eine monatlich erscheinende hauseigene Zeitung informiert. Täglich werden in beiden Sälen vier Vorstellungen gegeben (darunter täglich um 16 Uhr eine Kindervorstellung), sonntags zusätzlich Matineen. Zwei Kneipen, das "Bistro" und das "Abatinn", sind dem Kino direkt angegliedert.

KJK: Wie lange machen Sie schon Kinderkino?
Werner Grassmann: "Im Abaton machen wir seit etwa zehn Jahren Kinderkino. Aber richtig begonnen haben wir Mitte Januar 1985, und zwar haben wir in der Zeit 'Flussfahrt mit Huhn' gespielt. Der Verleih, Nickelodeon, hatte für diesen Film Vertriebsförderungsmittel bekommen und damit eine große Werbekampagne gestartet. Davon haben wir profitiert, und der Erfolg hat uns überrascht, aber auch ermutigt, weiterzumachen."

Und seitdem machen Sie regelmäßig Kinderkino?
"Ja, wir spielen täglich um 16 Uhr für Kinder und ihre Begleitpersonen. Meistens sind es Gruppen von fünf, sechs Kindern zwischen sechs und zehn Jahren mit einer erwachsenen Person. Manchmal kommen ganze Kindergeburtstagspartys her. Übrigens sind für uns die Erwachsenen ganz wichtig, weil sie meistens die Entscheidung treffen, welcher Film gesehen wird. Daher kommt es auch, dass z. B. Astrid-Lindgren-Filme immer gut besucht werden. Die kommen also dann meistens mit dem Auto angefahren, und zwar nicht nur mit dem Mercedes aus Blankenese (Villenvorort an der Elbe, d. Red.), sondern auch mit Kombiwagen aus Harburg (Arbeitervorort von Hamburg). Das heißt: Das Einzugsgebiet ist inzwischen die ganze Stadt. Wir haben mittlerweile schon ein richtiges Stammpublikum. Und um das zu halten, müssen wir regelmäßig und zu festen Zeiten spielen und außerdem gut dafür werben, und zwar genauso gut wie für einen Erwachsenenfilm, das heißt, dass das Kinderfilmprogramm ernst genommen werden muss."

Wie stellen Sie sich auf das spezielle Kinderpublikum ein?
"Erst Mal muss man sich um die Kinder ganz besonders kümmern, um sie richtig ansprechen zu können. Wir sind da insofern in einer glücklichen Lage, als unter unseren Mitarbeitern eine ganze Reihe Studenten sind, die Sozialpädagogik studieren, die also auch einen Nerv haben, mit Kindern umzugehen. Da gibt es tausend kleine Dinge, die beachtet werden müssen, angefangen damit, dass Kinder häufiger aufs Klo müssen als Erwachsene. Oder: Die Kinositze sind ja relativ hoch, und wenn die Knirpse gar so klein sind, können sie nicht über die Lehne gucken. Also zeigen wir ihnen, dass man auch auf einem hochgeklappten Sitz sitzen kann, was sie natürlich toll finden, weil man damit rauf- und runterjuckeln kann. Oder: Die Kinder rennen hin und her und spielen Kriegen mit Gejuchze und Geschrei. Das versuchen wir möglichst wenig einzudämmen. Aber wenn es gar zu schlimm wird, reden wir halt mit den Kindern. Am allerwichtigsten ist natürlich, dass die Filme die Kinder ansprechen."

Wie sieht denn Ihr Kinderprogramm aus?
"Schade ist es, dass eigentlich nur Filme besucht werden, die bekannt sind, die also entweder durch gute Werbung bekannt gemacht werden oder die man sonst schon kennt, sei es vom Fernsehen oder sei es von der Buchvorlage her. Was sehr gut geht, sind die Filme mit Astrid-Lindgren-Geschichten. Was sehr schlecht geht, sind amerikanische Zeichentrickfilme einschließlich Walt Disney. Die finden keinen Anklang. Die eigentliche Faszination geht aus vom Kinder-Erzählkino, weil sich die Kinder am besten darin wiederfinden, was beim Zeichentrickfilm nicht der Fall ist. Was die Kinder nicht so interessiert, sind sozialkritische Filme, aber darin unterscheiden sie sich ja überhaupt nicht von den meisten Erwachsenen. Aber auf Kombinationen von Märchen und Alltag fahren sie voll ab. Da hat der Arend Agthe mit seinem 'Flussfahrt mit Huhn' genau den Nerv getroffen, er hat reales Kino gemacht mit einem Schuss Utopie. Ich bin auf seinen nächsten Film 'Küken für Kairo' sehr gespannt."

Wie trägt sich denn Ihr Kinderfilmprogramm? Ist es ein Zusatzgeschäft?
"Wir sind mit dem Besuch zufrieden. Das Kinderfilmprogramm trägt sich im großen und ganzen selbst, wirft manchmal sogar einen Überschuss ab, z. B. bei 'Die Kinder von Bullerbü', bei dem am Samstag über 220 Kinder kommen, in der Woche aber sehr viel weniger. Also gehen wir am Wochenende in das große Kino, in der Woche aber in das kleine. Das heißt also: Das Wochenend-Programm trägt das Gesamt-Kinderprogramm mit. Von einem 'Geschäft' kann man aber insgesamt beim Kinderkino nicht sprechen."

Wie viel kostet der Eintritt?
"Fünf Mark Einheitspreis. Ich halte das für zu hoch, wenn man bedenkt, dass die Anfahrt ja auch eine ganze Stange Geld kostet. Wir streben vier Mark an, das muss aber noch sehr genau kalkuliert werden. Da wir Zuschüsse nicht bekommen, müssen wir die Zusammenarbeit mit Schulen und Kindergärten suchen, um über sie und über die Eltern die Kinder zu motivieren, wieder einmal ins Kino zu gehen, damit sie sehen, dass es da eine ganz andere Erlebniswelt gibt als zuhause vor dem Fernseher. Wenn sich das rumspricht und mehr Kinder kommen, können wir den Preis senken."

Bieten Sie Rahmenprogramme wie Spielnachmittage oder Malaktionen an?
"Dafür haben wir weder Personal noch Räume. Aber wir brauchen so einen Rahmen auch gar nicht, weil wir statt dessen etwas bieten können, was die Kinder wirklich am meisten fasziniert: ein richtiges Kino, in das auch Erwachsene gehen, mit einer großen Leinwand und all dem Drum und Dran – dass es dunkel wird, dass man bequem sitzen kann, dass man auch Schokolade knabbern kann. Das alles ist für sie ein großes Erlebnis."

Welches waren bei Ihnen in 1985 absolute Kinohits und welche Filme waren Flops?
"'Stormboy'; 'Der schwarze Hengst'; 'Pim, Pam, Pummelchen' oder etwa Jerry-Lewis-Filme waren totale Flops. Dagegen 'Emil und die Detektive' sehr gut, 'Räuber Hotzenplotz' vorzüglich, die Lindgren-Filme toll, auch 'Tim und Struppi' ging gut, und vor allem eben 'Flussfahrt mit Huhn', der bei uns sechs Wochen lang en suite lief und ein paar tausend Kinder als Zuschauer hatte. Nicht gut gegangen ist merkwürdigerweise 'Konrad aus der Konservenbüchse', der woanders ja ganz erfolgreich war. Aber 'Die unendliche Geschichte' war bei uns auch nicht unbedingt ein Renner. Übrigens auch nicht 'Bananen Paul' oder 'Rosi und die große Stadt' oder 'Der rote Strumpf', trotz Inge Meysel, die aber wohl bei einem progressiven Publikum wie unserem nicht so ein besonders gutes Image hat."

Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation des deutschen Kinderfilms und welche Wünsche hat der Kinoleiter Grassmann an die Kinderfilmproduktion?
"Also: Früher war der Kinderfilm eine wichtige Einnahmequelle für alle Kinobesitzer am Sonntagnachmittag, und zwar vor allem mit Märchenfilmen. Diese Zeit ist natürlich vorbei, nicht zuletzt verursacht durch das Fernsehen. Heute ist ein Kinobesuch für die Kinder ähnlich wie ein Theaterbesuch. Im Kino erleben sie eine ganz spezielle Welt und so etwas wie einen kulturellen Mittelpunkt, und so wird das Kino auch von ihnen angenommen. Auf der Produktionsseite bedeutet das, sich darauf einzustellen, sich nicht auf modernistische Experimente einzulassen, sondern handfestes Kino zu machen mit guten Büchern und guten Regisseuren. Der neue deutsche Kinderfilm hat leider nach meiner Erfahrung beim Publikum ein ziemlich negatives Image und war daher, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch wirtschaftlich nicht erfolgreich."

Aber das Filmförderungsgesetz geht nun mal von der Wirtschaftlichkeit aus.
"Ich finde, der Kinderfilm ist beim FFG völlig falsch aufgehoben. Kinderfilm hat etwas mit Kultur zu tun, und Kultur ist Ländersache. Also müssen Kinderfilmproduktionen in erster Linie von den Ländern gefördert werden. Da gibt es ja auch schon ganz gute Ansätze: in Berlin, in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und jetzt auch in Hessen. Aber das reicht noch nicht aus, um ein ganzes Jahr hindurch Kinderkino in der Bundesrepublik zu machen. Wir müssten erreichen, dass jährlich zunächst einmal drei, vier wirklich gute Kinderfilme produziert werden, die beim Publikum auch erfolgreich sind und einige Wochen im Kino laufen. Dann hätten wir für das Kinderkino, zusammen mit dem vorhandenen Repertoire und ausländischen Filmen eine Grundlage, auf der wir aufbauen können und von der aus wir weitere Zuschauerkreise erschließen können."

Welche Perspektiven sehen Sie für das Kinderkino im Abaton?
"Wir werden weitermachen, aber eines Tages werden wir keine Kinderfilme mehr haben, wenn es so weitergeht. Denn wenn wir immer mehr auf Mittelmäßiges oder noch Schlechteres zurückgreifen müssen, wird unser Publikum müde und bleibt weg. Also kommt es auf gezielte Produktions- und Vertriebsförderung an. Denn die Abspielseite, also die Kinoszene, ist dem Kinderfilm gegenüber aufgeschlossen, aber sie hat nicht die richtigen Filme."

Das Gespräch führte Bernt Lindner

 

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